Monika Düker: „Lösen Sie Ihr Versprechen ein, einen gesellschaftlichen Frieden in dieser so wichtigen Frage herzustellen“

Unterrichtung der Landesregierung und Aktuelle Stunde auf Antrag der GRÜNEN im Landtag zum Kohleausstieg

Monika Düker (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ist diese Bund-Länder-Einigung zum Kohleausstieg nun tatsächlich der große Durchbruch für den Klimaschutz, der Quantensprung, der Erfolg, mit dem nun alle Anliegen zusammengebracht werden, wie uns heute der Ministerpräsident hier weismachen will? Ist diese Vereinbarung wirklich die Umsetzung der Empfehlung der Kommission Wachstum und Beschäftigung, in der sich angeblich alle wiederfinden müssen?
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ja!)
– Ja. Ich fange mit einem „Ja“ an, liebe Kolleginnen und Kollegen. Auch aus unserer Sicht ist es selbstverständlich ein Erfolg, wenn die Beschäftigten, die ihre derzeitigen Arbeitsplätze verlieren, nicht ins Bergfreie fallen, sondern abgesichert werden. Natürlich ist das ein Erfolg. Natürlich ist es auch ein Erfolg für diese Region, dass 15 Milliarden Euro an Strukturfördermitteln dem Rheinischen Revier eine Zukunftsperspektive geben können. Selbstverständlich ist das alles ein Erfolg. Ich denke, RWE kann es auch nur als Erfolg werten, wenn ein Unternehmen 2,6 Milliarden Euro Entschädigung für alte, abgeschriebene, nicht mehr wirtschaftliche und rentable Kraftwerke bekommt, ohne dass darauf ein rechtlicher Anspruch besteht. Die Frage ist nur: Ist das wirklich noch angemessen? Diese Frage haben wir aber heute nicht zu bewerten.
Jetzt kommt das Nein. Für mich ist es kein Erfolg, und es ist auch kein Erfolg für zwei große Verlierer, die sich bei dieser Vereinbarung als Verlierer fühlen müssen, Herr Ministerpräsident. Diese zwei Verlierer hatten keine Interessenvertreter am Tisch, als dieser Deal besiegelt wurde. Zum einen ist das der Klimaschutz, und zum anderen sind es die vom Tagebau unmittelbar betroffenen Menschen.
(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Unglaublich!)
Wegen dieser Verlierer, die sich als Verlierer fühlen müssen, kann dieser Erfolg kein Erfolg für alle Beteiligten sein. Acht Mitglieder der Kohlekommission bilanzieren aus meiner Sicht völlig zu Recht – ich zitiere aus der Stellungnahme –:„Mit der Bund-Kohleländer-Einigung zum Kohleausstieg zum 15. Januar 2020 sehen wir Buchstaben und Geist der in den Empfehlungen der Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung erzielten Kompromisse vor allem mit Blick auf den Klimaschutz so- wie den Umgang mit den vom Braunkohletagebau betroffenen Menschen grob verletzt.“
Herr Ministerpräsident, dieser Satz ist an Eindeutigkeit nicht zu überbieten. (Beifall von den GRÜNEN)
Herr Herter, die Kohlekommissionsmitglieder nennen nicht irgendwelche Details, die sie in der Vereinbarung nicht wiederfinden. Sie sagen, die Betroffenen seien „grob verletzt“. Wenn Sie Ihre Rechnungen vorstellen, Herr Ministerpräsident, meinen Sie offenbar, dass Herr Professor Schellnhuber nicht rechnen kann. Er hat diese Vereinbarung nämlich auch unterzeichnet.
(Beifall von den GRÜNEN – Marc Herter [SPD]: Der hat dazu einen Vorschlag gemacht!)
– Warten Sie einmal ab, das kommt gleich noch. – Sie haben mit dieser Vereinbarung aus unserer Sicht eine große Chance, einen mühsam errungenen und breit getragenen gesellschaftlichen Kompromiss aufs Spiel gesetzt.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie haben doch gar kein Interesse daran!)
Es war ein Kompromiss, und die, die jetzt diese Vereinbarung unterzeichnet haben, stellen sich immer noch hinter diesen Kompromiss, obwohl sie sich mehr gewünscht haben. Sie haben die Chance vertan, diesen Kompromiss tatsächlich eins zu eins umzusetzen. Aus unserer Sicht muss das im Gesetzgebungsverfahren dringend nachgebessert werden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Erstens. Der Ausstiegspfad wird nach hinten verlagert. In den Dreißigerjahren wird einiges nach hinten verlagert, und damit – so die Kommissionsmitglieder – können die Emissionsminderungsziele nicht erreicht werden.
Zweitens. Ganz wesentlich ist, dass der Ausstieg auch ein Einstieg sein muss. Das haben Sie offenbar vergessen. Die notwendigen verlässlichen Rahmenbedingungen für Investitionen zum Ausbau der erneuerbaren Energien werden nicht geschaffen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Damit erreichen wir nicht die Klimaziele, die von der Kommission beschlossen worden sind. Darüber hinaus gefährden Sie die gerade von Ihnen so hoch gepriesene und wichtige Versorgungssicherheit, indem Sie weiterhin den Ausbau der Windkraft blockieren, statt ihn zu befördern.
(Beifall von den GRÜNEN)
Drittens. Mit Datteln 4 geht entgegen der eindeutigen Empfehlung der Kommission ein neues Kohlekraftwerk in Betrieb. Sie haben heute nicht dargestellt, wie die äquivalenten CO2-Mengen denn eingespart werden sollen. Herr Pinkwart, Sie haben das einen Sieg der Vernunft genannt. Das ist kein Sieg der Vernunft, das ist eine klimapolitische Mogelpackung, die Sie vorlegen. Sie haben heute nicht darstellen können, wie die Klimaschutzziele mit einem neuen Kohlekraftwerk erreicht werden können.
(Beifall von den GRÜNEN)
Viertens. Hier geht es nicht nur um Zahlen und Berechnungen, sondern ganz konkret – das ist mir auch ganz wichtig – um Menschen und deren Schicksale. Einer wichtigen Bitte der Kommission wird auch nicht gefolgt.
(Widerspruch von Josef Hovenjürgen [CDU])
– So steht es im Kommissionsbericht, lieber Kollege Josef Hovenjürgen. Ich zitiere nur aus dem Kommissionsbericht, zu dem Sie sich immer so gerne eins zu eins bekennen. Im Kommissionsbericht wird eine Empfehlung ausgesprochen, und die lautet: Mit den Tagebaubetroffenen vor Ort soll die Landesregierung in einen Dialog über die Umsiedlung treten.
Herr Ministerpräsident, Sie waren im November 2018 in den Dörfern. Das war gut. Sie haben mit den Menschen gesprochen. Ich habe auch mit den Menschen gesprochen. Die haben Ihnen sicher von dem Gefühl, an RWE ausgeliefert zu sein, erzählt. Sie haben von Entschädigungsregelungen erzählt, die nicht als sozialverträglich empfunden werden.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Reden Sie einmal mit den Arbeitnehmern!)
Sie haben von der Zerrissenheit in den Dörfern erzählt. Die einen wollen gehen, die anderen wollen bleiben. Das geht durch ganze Familien. Das zerreißt Familien. Das sind psychische Belastungen, die wir uns alle miteinander gar nicht vorstellen können. Die Menschen leben zwischen Resignation und Kampf um die Heimat.
Dann haben Sie den Menschen vor gut einem Jahr versprochen, dass Sie diese Gespräche fortsetzen werden, und gesagt: Wir bleiben im Dialog. – Herr Ministerpräsident, damit haben Sie bei den Menschen hohe Erwartungshaltungen erweckt. Die Menschen haben Ihnen vertraut, und dieses Vertrauen, das die Menschen in Sie gesetzt haben, haben Sie bitter enttäuscht, denn Sie haben sich noch nicht einmal bemüht, dieses Versprechen einzuhalten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sie haben sich noch nicht einmal bemüht, dieses Dialogversprechen einzuhalten, und Sie haben sich noch nicht einmal bemüht, bei den Dörfern zu schauen, wie und wo etwas verändert oder gerettet werden kann.
Wie wollen Sie denn den Menschen erklären, dass der Tagebau Inden – auch das war eine Kommissionsempfehlung, die nicht eingehalten wird – mit dem dazugehörigen Kraftwerk Weisweiler einfach so fünf Jahre früher, als von der Kommission empfohlen, beendet wird? Wie wollen Sie den Menschen in Keyenberg, in Kuckum, in Beverath, in Oberwestrich, in Unterwestrich, auf dem Eggerather Hof oder auf dem Holzerhof denn erklären, dass das früher beendet wird, sie aber trotzdem den Baggern weichen müssen?
(Zuruf von Thomas Schnelle [CDU])
Es liegen doch die Berechnungen vor, dass seit 2016 … (Bodo Löttgen [CDU]: Das gibt es ja nicht!)
– Von dem Kollegen Löttgen kommt bestimmt gleich wieder der Verweis auf 2016. Seit 2016 sind drei Jahre vergangen.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ja, genau!)
In diesen drei Jahren gab es das Pariser Klimaschutzabkommen, es gab einen Klimaschutz- plan der Großen Koalition, und es gibt einen Kommissionsbericht.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Henning Höne [FDP] – Weitere Zurufe – Glocke) Hier besteht die einmalige Chance …
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Scheinheilig ist das!)
Sie haben eine entsprechende Rückendeckung. Letztes Jahr im September waren über 1 Million Menschen für einen konsequenten Klimaschutz auf der Straße.
(Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident – Weitere Zurufe – Glocke)
Ihnen standen viele Brücken zur Verfügung, über die Sie hätten gehen können, um dieses Versprechen eines konsequenten Ausstiegs auch einzulösen.
(Zuruf von Henning Höne [FDP])
Das muss sich doch auch in einer Verkleinerung des Abbaugebiets Garzweiler niederschlagen. Aber Sie haben heute nicht erklärt, warum Sie das nicht tun können.
(Beifall von den GRÜNEN – Lachen von Dietmar Brockes [FDP] – Josef Hovenjürgen [CDU]: Doch! Aber Sie haben nicht zugehört!)
Wir haben von Ihnen zu Garzweiler heute nur gehört, dass Ihnen offenbar, genauso wie Herrn Hartmann, die Fantasie fehlt, wie das in Garzweiler gehen könnte.
(Norwich Rüße [GRÜNE]: Genau so ist das!)
Wir erwarten aber keine Fantasie, sondern wir erwarten Fakten, und die haben Sie heute nicht geliefert.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie halten sich nicht an die Fakten!) Das können Sie den Menschen offenbar nicht erklären.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
Ich finde es unsäglich, Herr Ministerpräsident, dass Sie sich aus der eigenen Verantwortung stehlen und einen einzigen Tagebau – das gibt es in ganz Deutschland sonst nicht – mit einem Bundesgesetz und nicht mittels einer Leitentscheidung des Landes regeln wollen, wie es üblich wäre.
(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])
Damit haben Sie ja auch überhaupt nichts zu tun; das hat es Ihnen ja alles die Bundesregierung diktiert. – Nein, Sie wollen sich hier bewusst aus der Verantwortung stehlen: Lasst das mal den Bund machen; dann muss ich nicht die Entscheidungen erklären und belegen, warum das notwendig ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Fazit. Das, was die Landesregierung uns heute angekündigt hat, ist kein Paket der Vernunft.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Pfui!)
Das, was Sie uns hier vorlegen, ist ein Paket der Unmenschlichkeit.
(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU: Och! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Unerträglich! Scheinheilig bis zum Gehtnichtmehr!)
Sie gefährden ohne Not den durch den Kommissionsbericht mühsam erreichten gesellschaftlichen Frieden.
(Henning Rehbaum [CDU]: Das ist Doppelmoral!)
Unklar bleibt auch – entgegen den Äußerungen des Ministerpräsidenten –, wie es am Tagebau Hambach weitergeht. In der Vereinbarung heißt es, dass der Hambacher Forst gemäß der WSB-Kommission entgegen der bisherigen Genehmigung nicht für den Tagebau in Anspruch genommen wird. Was machen wir denn jetzt mit diesem Satz?
Offenbar in ganz naiver Vorstellung ist der Bürgermeister von Merzenich, Ihr Parteikollege Herr Gelhausen, letzten Donnerstag davon ausgegangen, dass mit dieser Entscheidung sein Ortsteil Morschenich nicht abgebaggert wird und er seine Zukunftsplanungen für den Ort fortsetzen kann. Das war Donnerstagmorgen.
Donnerstagnachmittag musste er dann erfahren, dass Rolf Martin Schmitz Journalisten mal eben erklärt, dass sowohl Manheim als auch Morschenich für Abraum abgebaggert werden sollen
(Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident) und der Wald eine Insel werden soll.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Herr Schmitz hat unrecht!)
Und jetzt zur Landesregierung: Von der Landesregierung hörten wir von Donnerstag bis Montag, vier Tage lang, genau nichts.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist unwahr! Bleiben Sie bei der Wahrheit! Das ist erbärmlich! – Weitere Zurufe – Glocke)
Wir kennen den Herrn Ministerpräsident ja als eifrigen Twitterer. Aber als Rolf Martin Schmitz erklärte, Manheim und Morschenich müssten weichen, und sich alle darüber aufregten …
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Unsäglich! – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
Sie empören sich über junge Frauen, die in ICEs keinen Sitzplatz bekommen. Sie empören sich über Lieder beim WDR.
(Armin Laschet, Ministerpräsident: Was ist das denn?)
Aber an dieser Stelle haben Sie vier Tage lang geschwiegen. Nach vier Tagen kam dann etwas.
(Armin Laschet, Ministerpräsident: Wir haben es gelöst! – Henning Höne [FDP]: Die eigene Leitentscheidung mal grob ignoriert!)
Die Pressesprecher von RWE twitterten: Der Chef hat sich irgendwie vertan; Morschenich soll doch bleiben.
Den Bürgermeister freut es. Aber damit ist doch noch lange nicht geklärt, wie es mit dem Hambacher Wald weitergeht. Denn wenn Sie Manheim und im Osten weiter abbaggern, schneiden Sie den Wald von wertvollen FFH-Gebieten ab. Ökologisch ist das überhaupt nicht zu rechtfertigen.
(Bodo Löttgen [CDU]: Och! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Es reicht Ihnen nicht! Immer noch einen drauf!)
Und dass man ein Dorf abgebaggert, um Abraum zu gewinnen, ist rational nicht zu erklären. (Beifall von den GRÜNEN)
Was haben Sie eigentlich ein Jahr lang gemacht? Wir wissen doch seit einem Jahr, dass dieser Wald erhalten bleibt. Da hätte man auch mal mit RWE besprechen können, wie man das umsetzt.
Dieses Stück aus dem Tollhaus, das Sie hier abgeliefert haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist an Absurdität nicht zu überbieten.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ihre Rede ist an Absurdität nicht zu überbieten!) Ich fordere die Landesregierung auf: Übernehmen Sie endlich Verantwortung.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Gerade Sie reden von Verantwortung?)
Überlassen Sie die Entscheidung nicht wieder den Gerichten. Es wird doch weitergehen mit den Klageverfahren. Die Stadt Erkelenz kündigt an, zu klagen. Die Bewohnerinnen und Bewohner …
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Die haben nichts getan!)
– Ich habe es so in der Zeitung gelesen. Das können Sie ja gleich dementieren. – Die Anwohnerinnen und Anwohner in den Garzweiler-Dörfern werden klagen. Der BUND wird ein Klageverfahren wegen Enteignung einer Wiese am Hambacher Wald anstreben. Wir haben in Datteln vier anhängige Klagen, die noch nicht entschieden sind.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das möchten Sie doch! Das ist doch Ihr Wunsch!)
Übernehmen Sie politische Verantwortung. Überlassen Sie die Entscheidung nicht den Gerichten, und lösen Sie Ihr Versprechen ein, einen gesellschaftlichen Frieden in dieser für uns so wichtigen Frage herzustellen.
(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie versuchen, der Region den Saft abzudrehen! Unsäglich!)
Mein Fazit: Aus unserer Sicht, aus meiner Sicht wurde der Kompromiss nicht eins zu eins umgesetzt. Der gesellschaftliche Konsens wurde einseitig aufgekündigt. Die Klimaschutzziele sind in weite Ferne gerückt. Hier wurde viel Vertrauen von betroffenen Menschen verspielt.
Wir fordern Sie heute auf: Setzen Sie sich für Nachbesserungen im Gesetzgebungsverfahren ein, damit der Klimaschutz und die Menschen bei diesem aus unserer Sicht unfairen Deal nicht auf der Strecke bleiben.
(Anhaltender Beifall von den GRÜNEN – Henning Höne [FDP]: Alle, die klatschen, ha-ben die Leitentscheidung mitgetragen! – Christof Rasche [FDP]: Regierungsunfähig!)

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