Monika Düker (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen haben wir zum Brand in Moria viele starke Worte, viele Kommentare gehört. Es war die Rede von einem Fanal, von einer moralischen Bankrotterklärung der EU und davon, dass die Trümmer von Moria für eine gescheiterte europäische Asylpolitik stünden.
Moria steht aber nicht erst seit dem Brand, sondern seit Jahren für eine fehlgeleitete europäische Politik. Das geschah nicht aus Nachlässigkeit, sondern das war und ist eine bewusste europäische Politik, die auf Abschreckung setzt. Diese Politik muss dort enden, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden und ihre Geltung verlieren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wenn es die Europäische Union nicht schafft, ihren in vielen Verträgen und Konventionen festgeschriebenen Wertekanon in konkrete Politik umzusetzen, verliert sie ihre Glaubwürdigkeit nach innen und außen.
Die Ursache für die Katastrophe war das sogenannte EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen von 2016. Das war der Beginn des Verrats an den europäischen Werten. Allen war klar, dass dieser Pakt nicht funktionieren konnte; er war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
In den sogenannten Hotspots sollten schnelle und faire Asylverfahren durchgeführt, anerkannte Schutzbedürftige verteilt und Abgelehnte zurückgeführt werden. Nichts davon hat funktioniert! Die Asylverfahren dauern immer noch Jahre. Rückführungen werden – nachvollziehbar und voraussehend – auch gerichtlich verhindert. Die Anerkannten werden nicht verteilt, sondern unversorgt ihrem Schicksal überlassen.
Das Ergebnis sehen wir seit Jahren in Moria. Es ist eine Schande für Europa: überfüllte Lager, unhaltbare Zustände – ich brauche das nicht weiter auszuführen, denn wir kennen sie alle – und kein Schutz vor Corona. Es war doch nur eine Frage der Zeit, bis die Situation vor Ort eskalieren musste.
Das Schlimme daran ist, dass das europäische Kalkül dabei Abschreckung war, und das auf Kosten der Menschen und ihrer Würde und auf Kosten der Glaubwürdigkeit der Europäischen Union.
(Beifall von den GRÜNEN)
Jetzt liegen diese Werte in Trümmern. Die Antwort darauf kann nicht allen Ernstes sein, dort ein neues Lager aufzubauen und die gescheiterte Politik mit den bestehenden alten Problemen fortzuführen.
Ja, es bleibt natürlich eine Herkulesaufgabe – und davor darf man sich auch nicht drücken –, eine gemeinsame europäische Asylpolitik zu schaffen, die auf Ordnung und Humanität fußt, auf Rechtsstaatlichkeit, auf Solidarität und nicht nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, der Grenzsicherung.
Wir müssen das Dublin-System beseitigen. Es ist auch Ursache dieses Chaos in Europa, dass Geflüchtete in dem Land bleiben müssen, in das sie zuerst einreisen. Damit werden viele Länder mit der Aufnahme alleingelassen.
Ja, jetzt muss eine Koalition der Willigen vorangehen. Diejenigen, die nicht mitmachen, sollen dann zahlen. Wir können nicht länger warten.
Aber, Herr Ministerpräsident, solange dies nicht gelingt, können und dürfen wir doch angesichts der dramatischen Situation auf den Inseln nicht einfach wegschauen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass ein mutiges, entschlossenes Vorangehen Deutschlands – sagen Sie es ruhig: ein deutscher Alleingang – mit einem nationalen Aufnahmeprogramm eine europäische Lösung eben nicht verhindert, sondern im Gegenteil. Deutschland kann, sollte und muss jetzt mit gutem Beispiel vorangehen, ein Zeichen setzen. Auf dem Weg zu einer europäischen Verständigung ist das keine Blockade, sondern aus meiner festen Überzeugung hilfreich.
Die Erweiterung des deutschen Aufnahmekontingents, wie wir gestern aus den Medien erfahren konnten, von 150 auf 1.553 anerkannte Asylsuchende kann dabei nicht alles sein. Diese Zahl ist für mich ein humanitäres Feigenblatt.
Ich bin froh über jede Familie, die wir damit aus ihrem Elend befreien. Aber es geht doch um mehr als um Signale oder buchhalterisches Schönrechnen, wie wir es gestern in der Bundespressekonferenz vernehmen konnten.
Ich persönlich freue mich auch, dass einige in der Christlich Demokratischen Union das C in ihrem Namen noch nicht ganz vergessen haben.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Oh!)
Eine Gruppe um Norbert Röttgen fordert diesen nationalen Alleingang, weil er sagt: Jetzt muss geholfen werden! – Er fordert, 5.000 Schutzbedürftige notfalls auch im Alleingang aufzunehmen. Auch wir Grüne fordern dies.
Ich frage mich heute, Herr Ministerpräsident: Warum steht Ihr Name nicht unter diesem Brief? Warum können Sie diesen Weg nicht mitgehen? Warum verstecken Sie sich hinter Herrn Seehofer? Warum reden Sie nur und handeln nicht?
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Wir haben in NRW mutige Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister, die sagen: Wir haben Platz. – 2.000 Aufnahmeplätze sind angemeldet. Ich finde es dann nur noch zynisch, wenn ein christlich-sozialer Innenminister – das muss man sich einmal vorstellen – verbietet, Menschen in Not zu helfen.
Die Kommunen rufen doch nicht zur Anarchie auf. Es geht doch einfach und schlicht um konkrete Hilfe. So etwas kann man doch in Deutschland nicht verbieten.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
An die Adresse all derjenigen hier im Raum, die meinen, aus Angst vor dem Wähler an der Urne könne man sich nicht so weit vorwagen: Am 13. September haben wir hier in Nordrhein-Westfalen das Gegenteil erlebt. Auch mit einer humanitären Haltung kann man in Deutschland Wahlen gewinnen. Angst darf nicht der Motor einer solchen Abschottungspolitik sein.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der CDU)
Diesen Mut und diese Haltung, die hier viele Kommunen und im Übrigen auch andere Ministerpräsidenten mit einem eigenen Landesaufnahmeprogramm zeigen, hätte ich mir von unserem Ministerpräsidenten gewünscht, und ich hätte das auch erwartet.
Erst werden vollmundig 1.000 Plätze angeboten, man reist nach Moria, macht medienwirksame Bilder – alles gut und schön. Ich nehme Ihnen Ihre Betroffenheit auch ab. Das war ehrliche Betroffenheit und ehrliche Empörung. Aber man kann nicht auf der einen Seite 1.000 Plätze anbieten und sich dann auf der anderen Seite hinter Seehofer verstecken und sagen: Das muss alles in einem europäischen Kontext gelöst werden, und solange machen wir gar nichts. – Humanität kann man nicht rhetorisch postulieren und dann nicht danach handeln.
Wenn das größte Bundesland mit einem Aspiranten auf die Kanzlerkandidatur jetzt mutig und entschlossen Haltung zeigt, sich an die Spitze der Koalition der Willigen in unserem Land NRW gemeinsam mit den Kommunen stellt und mehr Druck in Berlin macht, dann glaube ich, kann da mehr gelingen.
Wir haben auch ein Beispiel: Thüringen und Berlin haben ein eigenes Landesaufnahmeprogramm aufgelegt; sie haben es zumindest versucht und bei Herrn Seehofer um Zustimmung gebeten. Aber noch nicht einmal das machen Sie, Herr Laschet.
Ich fordere Sie auf: Machen Sie mehr! Handeln Sie! Machen Sie mehr Druck in Berlin! – Dabei können Sie mit unserer vollen Unterstützung rechnen. Ich bin gespannt, ob Sie heute unser Angebot annehmen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN)