Monika Düker: „Diese Eingriffe waren in dieser Form nicht in Ordnung – das ist kein juristisches Klein-Klein“

Unterrichtung der Landesregierung zur Corona-Pandemie

Monika Düker (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe für meine Fraktion vor einer Woche in der Debatte hier zu diesem Gesetz erklärt, dass Demokratie auch in Krisenzeiten Handlungsfähigkeit zeigen muss. Wir müssen dazu nicht als Parlament Verfassungsgrundsätze infrage stellen. Das Parlament darf sich nicht – das wollen wir auch nicht – aus der Verantwortung verabschieden und der Regierung Blankoschecks erteilen.
Herr Kollege Löttgen, das hat nichts, aber auch gar nichts mit Misstrauen einem engagierten christdemokratischen Minister gegenüber zu tun. Ich hoffe auch nicht, Herr Laumann, dass Sie das so verstanden haben.
Herr Ministerpräsident, da ging es auch nicht nur – Sie haben das ein bisschen kleingeredet – um rechtstheoretische Abhandlungen im Klein-Klein. Nein, mit dem vorgelegten Gesetz – das haben uns die als Sachverständige hinzugezogenen Verfassungsrechtler alle bestätigt und ins Stammbuch geschrieben – wurde unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig in Grundrechte eingegriffen. Diese Eingriffe waren in dieser Form nicht in Ordnung. Das ist kein juristisches Klein-Klein.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Deswegen haben wir das in der letzten Woche auch nicht beschlossen.
Es war gut, dass wir uns der Herausforderung gestellt haben. Mit der Verabschiedung des Pandemiegesetzes, die heute hoffentlich in großem Einvernehmen erfolgt, zeigen wir, dass wir diesem Anspruch auch gerecht geworden sind: Parlamentsrechte nicht zu beschneiden und gleichzeitig eine handlungsfähige Demokratie zu haben, die der Situation und den Anforderungen gerecht wird.
Vor einer Woche habe ich auch erklärt, dass vorausschauende Politik – da sind wir uns einig, Herr Laschet – einerseits zu diesen Handlungen führt, die auch notwendig sind, um Durchgriffsrechte für die Gesundheitsbehörden zu schaffen. Nach Treffen der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie muss vorausschauende Politik aber andererseits auch darüber nachdenken, nach welchen Kriterien die Entscheidungen über potenzielle stufenweise Lockerungen der Maßnahmen erfolgen können.
Schwierige Abwägungen stehen bevor. Die Analyse der sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen gehört natürlich dazu, damit die Verhältnismäßigkeit der Eingriffe im Einzelfall immer wieder neu dahin gehend bewertet werden kann, was am Ende verantwortbar ist. Dafür braucht Politik weitere Erkenntnisse.
Wir haben es begrüßt, dass der „Expertenrat Corona“ dazu von Ihnen einberufen wurde. In diesem Zusammenhang haben wir darum gebeten, diese Debatte auch ins Parlament zu holen und sie transparent zu führen. Da geht es um wichtige Dinge für die Menschen in diesem Land. Sie haben einen Anspruch darauf, dass Politik sich öffentlich damit auseinandersetzt.
Auch diesem Anspruch werden wir heute gerecht. Ich bedanke mich ganz herzlich dafür, Herr Laschet, dass Sie unserer Anregung gefolgt sind. Aber ich muss dazusagen: Nicht in Ordnung finde ich es, zuerst die Presse zu informieren und danach ins Parlament zu kommen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
In der Debatte über Lockerungen muss man nach unserer Meinung berücksichtigen, dass es am Ende keine Zweiklassengesellschaft geben darf, wenn es um Grundrechte geht. Die Lockerungen dürfen unsere Gesellschaft auch nicht spalten. Daher halten auch wir die Isolierung älterer Menschen für unsolidarisch und nicht zielführend.
Nicht zielführend und nicht hilfreich ist zudem, dass jetzt der Wettlauf darum eröffnet wird, wer denn der Erste ist, der in die Kameras die ganz konkreten Lockerungen verkündet. Alle wollen nicht, dass das Herr Söder ist.
(Heiterkeit bei den GRÜNEN)
Das sollte doch nicht Maßstab des politischen Handelns sein. (Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Herr Stamp, in allen Ehren, dass Sie in der Challenge mit Herrn Söder der Erste sein wollen! Mich hat aber wirklich irritiert, dass Sie schon gestern wussten, dass zahlreiche Geschäfte – so war es im Zitat von Ihnen zu lesen – bereits Ende dieses Monats wieder öffnen.
Ich finde es unverantwortlich, das jetzt so zu verkünden, Herr Stamp. Das sollte man nicht machen.
(Zuruf von Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration)
– So habe ich es der Presse entnommen. Die Quelle kann ich Ihnen gerne nachliefern.
Solche Aussagen verunsichern jetzt. Wir sollten nicht mit konkreten Benennungen von Daten die Leute verunsichern. Das verstehen wir nicht unter verantwortungsvollem Handeln.
Am Mittwoch wird es in Berlin hoffentlich gelingen, Herr Ministerpräsident, sich auf einheitliche Kriterien zu verständigen – selbstverständlich immer unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten.
Große Versammlungen – das ist uns wohl allen klar – wird es auf längere Zeit wohl nicht geben. Zwar ist das für die Fußballfreundinnen und -freunde eine harte Botschaft. Ich vermute allerdings, dass solche Dinge lange nicht möglich sein werden. Aber in Bezug auf Schule und Kita sind die nächsten Schritte wahrscheinlich absehbar. Dort könnte schnell abgestuft gelockert werden.
Wir meinen nach wie vor, dass wir, um diese Entscheidungen treffen zu können, statt der Nennung von Kalendertagen wissenschaftliche Kenngrößen brauchen, auf deren Grundlage Kontakteinschränkungen wieder gelockert werden können, also eine risikoangemessene, schrittweise Lockerung erfolgen kann.
Wie können zum Beispiel – das wurde noch heute Morgen von den Wissenschaftlern angesprochen – Hygienemaßnahmen aussehen, um Kitas und Schulen schrittweise wieder öffnen zu können? Je strenger sich die Menschen an die Vorgaben halten, desto mehr kann dann auch gelockert werden.
Wir können uns auch gut vorstellen, dass für den Weg aus dem Lockdown digitale Lösungen helfen können. Statt Massendaten über Funkzellen abzurufen, ist es aus unserer Sicht jedoch wesentlich zielführender, mit einer freiwilligen und zielgenauen App Kontakt- und Bewegungsdaten auf dem eigenen Gerät aufzuzeichnen – das ist ja gerade in der Entwicklung –, die dann benutzt werden können, um bei einer Infektion zu ermitteln, mit wem der Infizierte Kontakt hatte. Personen, die durch diesen Kontakt gefährdet sind, können dann problemlos anonymisiert informiert werden. Außerdem kann man eine Risikobewertung vornehmen und schnell Infektionsketten unterbrechen. Das wäre ein hilfreiches Instrument, das aus unserer Sicht begleitend zu den Abwägungen, wann Lockerungen beschlossen werden können, mit auf den Weg gebracht werden muss.
(Beifall von den GRÜNEN)
Mit dem überarbeiteten Gesetzentwurf der Landesregierung zeigen wir als Parlament heute, dass unser Rechtsstaat auch in Ausnahmesituationen und Krisen funktioniert. Das heißt: Wir werden dem Anspruch an das Parlament als Gesetzgeber, aber auch als Kontrollinstanz der Regierung gegenüber – Herr Minister Laumann, das bitte ich nicht persönlich zu nehmen; aber diesen Auftrag haben wir verfassungsrechtlich – mit diesem Gesetz gerecht. Wir haben Befristungen, Überprüfungen, Evaluierungsklauseln und vor allen Dingen Parlamentsvorbehalte bei grundlegenden Grundrechtseingriffen eingeführt. Und das ist auch gut so.
Wir haben uns Stellungnahmen von Sachverständigen angehört und sie einbezogen. Wir haben miteinander gerungen. Das war auch nicht immer leicht. Aber es war in weiten Teilen davon geprägt, dass alle Gesprächspartner sich konstruktiv am Erreichen eines
lösungsorientierten Ergebnisses beteiligt haben. Ich glaube auch, dass wir ein solches Ergebnis erzielt haben.
Zwangsverpflichtungen – auch das war uns sehr wichtig – wird es nun nicht mehr geben. Freiwillige bekommen verbindliche Freistellungsansprüche und Entschädigungen. Der Versicherungsschutz ist geregelt. Mit diesem Angebot an die Menschen werden wir, glaube ich, der Aufgabe auch mit Freiwilligen gerecht. Wir brauchen dann keine Zwangsmaßnahmen o- der Dienstverpflichtungen von Menschen mehr.
(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])
Zum Schluss möchte ich noch kurz einige Dinge ansprechen, die nicht im Gesetz stehen, auf die wir uns aber verständigt haben und die für uns Grüne ganz wichtig sind.
Die Kommunen brauchen jetzt dringend Unterstützung; denn sie leisten vor Ort Enormes, und sie leiden unter enormen finanziellen Belastungen. Deswegen bin ich froh, dass wir verabreden konnten, mit einem Gesetz schnellstmöglich Lockerungen im Haushaltsrecht zu verankern, damit die Kommunen finanzielle Spielräume für die Bewältigung der Krise bekommen. Kommunen können sich – anders als das Land oder der Bund – nicht mal eben per Ratsbeschluss von der Schuldenbremse befreien. Das müssen schon wir tun.
Ich halte es auch für angemessen, dass die Kommunen Lockerungen erhalten. Liquidität muss vor Ort gesichert sein. Wir können die Kommunen nicht noch monatelang damit beschäftigen, einen Nachtragshaushalt nach dem anderen zu erstellen. Denn sie werden die enormen zusätzlichen Ausgaben nicht durch Einsparungen kompensieren können. Deswegen braucht es hierzu sehr schnell Regelungen. Die Zusage der Regierung, dass wir dazu bald einen Gesetzentwurf beschließen können, liegt auf dem Tisch.
(Beifall von den GRÜNEN und Carina Gödecke [SPD])
Ich sage auch ganz klar: Es ist nicht so, dass die Kommunen jetzt einfach mehr Schulden machen können und damit das Problem gelöst ist. Das kann nur eine kurzfristige Maßnahme sein. Wir müssen den Kommunen langfristig, grundsätzlich und nachhaltig helfen. Daher bleibt es bei unserer Forderung.
Zu meinem Bedauern hat sich die Landesregierung hierzu bisher noch nicht bereit erklärt. Diese Erklärung halte ich für dringend nötig. Wir brauchen einen Rettungsschirm für die massiven Steuerausfälle der Kommunen und für ihre überbordenden Ausgaben. Alleine werden sie das perspektivisch nicht kompensieren oder einsparen können.
Die zugesagten Stärkungspaktmittel, die dafür verwendet werden können, reichen nicht aus. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Wann kommt endlich die Ansage der Regierung, dass es auch für die Kommunen einen Rettungsschirm gibt? Die Kommunen warten darauf. Wir unterstützen sie ausdrücklich bei dieser Forderung.
(Beifall von den GRÜNEN und Michael Hübner [SPD])
Damit verbunden ist auch – weil das die Kommunen gerade strukturell unglaublich drückt – die nicht gelöste Altschuldenproblematik. Die Regierung hat es immer noch nicht geschafft, endlich die Altschuldenregelung in Form eines ausgelagerten Altschuldenfonds auf den Weg
zu bringen. Das würde die Kommunen in dieser Krise enorm entlasten. Auch daran muss parallel weitergearbeitet werden, auch und gerade in Krisenzeiten.
Zwar hat die Regierung den Kommunen die Zusage für eine auskömmliche Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung gegeben. Herr Stamp, Sie haben das zugesagt. Sie haben aber das Versprechen, die Pauschalen für die Unterbringung zu erhöhen, bislang nicht eingelöst. Auch darauf warten die Kommunen händeringend. Es drückt sie in dieser Krise umso mehr, dass diese Probleme noch nicht gelöst wurden.
Das heißt: Kurzfristig müssen wir die Kommunen liquide machen und ihre Liquidität sichern. Perspektivisch und langfristig müssen wir die Kommunen aber finanziell sehr viel besser absichern, damit sie gut durch die Krise kommen.
(Beifall von den GRÜNEN und Michael Hübner [SPD])
Ebenfalls nicht in diesem Gesetz enthalten, Frau Ministerin Gebauer, sind die schulrechtlichen Regelungen. Wir haben allerdings vereinbart, dass dies alles nun in ein Gesetz Eingang findet. Wir hätten uns das auch anders vorstellen können. Aber gut. Wir haben uns darauf geeinigt, dass es dazu ein Gesetz geben wird, und dann stehen wir auch dazu.
Ich möchte für unsere Fraktion allerdings noch einmal sehr deutlich sagen: Für uns ist es wichtig – egal, ob es ein Gesetz oder eine Rechtsverordnung sein wird –, dass die Schulen schnell rechtliche Klarheit bekommen, und sie müssen sich darauf verlassen können, dass für alle Szenarien, die eintreten können, Vorsorge getroffen wird. Eine Sicherung aller Optionen heißt dann auch – das muss auch noch einmal ausgesprochen werden –, Klarheit zu schaffen, ob nach der Klasse 10 oder beim Abitur eine Abschlussvergabe mit einer Durchschnittsnote erfolgt. Auch diese Option steht im Raum.
Wir müssen deutlich signalisieren: Für alle Optionen ist Vorsorge getroffen worden.
Wir sind bereit, das in einem Sonderplenum mit einem sehr zügigen Gesetzgebungsverfahren zu gewährleisten und gesetzlich zu verankern, und ich nehme an, dass wir das sehr wahrscheinlich in der nächsten Woche machen. Je nachdem, was bei der MPK herauskommt, werden wir in der zweiten Osterferienwoche hier bereit sein, das schnell und zügig umzusetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss bleibt auch mir, Dank zu sagen. Zunächst danke ich meinen Kolleginnen und Kollegen Fraktionsvorsitzenden. Wie gesagt, es war nicht immer leicht. Wir haben es uns nicht immer leicht gemacht, aber in weiten Teilen – ich hatte jedenfalls diesen Eindruck – waren alle an einer konstruktiven Lösung interessiert, und mit einigen Beratungsschleifen haben wir das auch gut hinbekommen. Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Monika Düker (GRÜNE): Ich danke unseren Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern – auch das muss mal gesagt werden –, die uns sehr unterstützt haben.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Ich bedanke mich bei denjenigen, die hier im Hintergrund sitzen oder am Stream zuschauen, weil sie im Homeoffice arbeiten.
Ich bedanke mich bei unseren Referentinnen und Referenten in der Landtagsfraktion.
Und ich bedanke mich ganz ausdrücklich, Frau Präsidentin, bei der Landtagsverwaltung, die eine Wahnsinnsarbeit geleistet hat. Vielen, vielen Dank dafür, dass wir das Protokoll so schnell bekommen haben. Und selbst wenn wir noch mitten in der Nacht Änderungsanträge geschrieben haben und diese frühmorgens vorgelegt haben, konnten diese schnell eingearbeitet werden. All das konnte auf den Weg gebracht werden, und dafür möchte ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung noch einmal ausdrücklich danken.
(Jochen Ott [SPD]: Jetzt noch der Dank an Frau Gödecke!)
Und natürlich danken wir auch den Experten und Wissenschaftlern, die uns beratend zur Verfügung stehen, und all denjenigen, die unsere Versorgung sicherstellen, die unsere Kranken versorgen.
Letzter Satz: Bei diesem Dank darf es aber nicht bleiben. Gerade diejenigen, die im Moment systemrelevante Berufe ausüben, brauchen mehr als nur einen Schulterklopfer von uns. Perspektivisch müssen wir dafür sorgen, dass diese Berufe aufgewertet werden,
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
und Wertschätzung hat dann auch etwas mit einer höheren Bezahlung zu tun. Diese haben sie spätestens mit dieser Krisenbewältigung verdient. – Schönen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

Mehr zum Thema

Die Corona-Pandemie