Monika Düker: „Das ist eine erneute Lebenslüge“

Aktuelle Stunde auf Antrag von SPD und GRÜNEN zum Doppelpass

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Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zum Thema der Aktuellen Stunde komme, möchte ich die Gelegenheit nutzen – da es auch mehrfach angesprochen wurde –, einige Sätze zu meinem gestrigen Rücktritt als flüchtlingspolitischer Sprecherin meiner Fraktion zu sagen.
Ehrlich gesagt überrascht mich dieses große Echo, denn am Ende war es eine ganz persönliche Entscheidung. Herr Stamp, klar sei es Ihnen zugestanden, dass Sie daraus ein bisschen politischen Profit schlagen wollen.
(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Ich habe die Ministerpräsidentin zitiert!)
Seit 16 Jahren gehöre ich jetzt dem Landtag an, und davor war ich zehn Jahre lang kommunalpolitisch aktiv. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Das sind solche Momente, in denen sich auch nach ganz vielen Jahren Berufspolitikertum das Gewissen meldet und sagt: Stopp! Hier ist eine rote Linie überschritten, wo du persönlich nicht mehr mitgehen kannst. – Nicht mehr und nicht weniger war das.
Warum habe ich das gemacht? Die bisherige Praxis in Nordrhein-Westfalen haben wir Grünen immer mitgetragen. Diese sah für Afghanistan keinen generellen Abschiebestopp vor, und deswegen hätten wir Ihren Antrag auch sehr wahrscheinlich abgelehnt, Kollegen von den Piraten. Stattdessen wurde in Einzelfällen – etwa bei schweren Gefährdern oder Straftätern mit terroristischem Hintergrund, die wirklich eine Gefährdung für Land und Leute darstellen – geschaut, dass es möglich sein muss, diese abzuschieben, aber eben nach individueller Einzelfallprüfung. Das waren auch sehr, sehr wenige Fälle. Wir hatten in diesem Jahr 2016 drei und im letzten Jahr gar keinen.
Von dieser Praxis wurde aus meiner Sicht mit dem Sammelcharter abgewichen. Worum ging es da gestern? – Ich glaube, es ging dem Bundesinnenminister darum, ein Exempel zu statuieren, ohne Rücksicht – und das ist der Vorwurf, den ich ihm mache – auf die Menschen, die er in eine ungewisse Zukunft führt. Nach wie vor ist die Menschenrechtslage in Afghanistan nicht so, dass ich es für verantwortbar behalte, dorthin Sammelabschiebungen vorzunehmen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das war der Grund dafür, dass ich gesagt habe: Hier ist meine persönliche rote Linie, und ich möchte nicht, dass Nordrhein-Westfalen sich an dieser Politik beteiligt. Das ist meine Bewertung, bei der ich auch bleibe, und ich hielt es damit für unvereinbar, weiterhin als flüchtlingspolitische Sprecherin meiner Fraktion diese Politik mitzutragen.
Jetzt komme ich zum Thema. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Stamp hat es eben auch aus seinen eigenen Erinnerungen angeführt, und ich kann das ergänzen: 1999 stand ich selber am Wahlkampfstand in Düsseldorf. Wir hatten Kommunalwahlkampf, und neben uns war der CDU-Stand. Es war genauso, wie Sie es gerade geschildert haben:
(Zurufe von der CDU)
Die Kampagne von Roland Koch lief, und alle gingen zum CDU-Stand und sagten: Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben? Wo kann ich hier gegen Türken unterschreiben? – Und die Wahlkämpfer am Stand der CDU sagten nicht: Moment mal, liebe Bürgerinnen und Bürger. Darum geht es nicht. Wir haben eine andere Auffassung zum Doppelpass, und die möchte ich Ihnen gerne erläutern. – Nein! Die Wahlkämpfer von der CDU hielten diesen Leuten die Unterschriftenliste unter die Nase und sagten: Hier können Sie sofort unterschreiben! – Das war die Lage im Jahr 1999. Daraufhin kam es zu diesem Kompromiss mit der Optionspflicht, wie dargestellt.
Dann hatten wir 2005 einen Integrationsminister Laschet. Ich habe mir noch mal seine Zitate rausgesucht. Er hat vor zehn Jahren in einem Interview mit der „taz“ gesagt:
„Viele Kulturen heißt auf Lateinisch: multikulti. Hier leben über drei Millionen Muslime, die bleiben auch auf Dauer hier.“
– Auf die Frage: „Unionspolitiker sagen trotzdem immer noch, Deutschland sei kein Einwanderungsland“, antwortet Armin Laschet 2006:
„Diese These war schon immer falsch. Das war eine Lebenslüge. Wenn in ein Land mehrere hunderttausend Menschen jedes Jahr ziehen, ist das natürlich ein Einwanderungsland. Ich glaube, diese Erkenntnis setzt sich auch in der Union durch.“
– Das sagte Armin Laschet vor zehn Jahren. Ich glaube, da hat er sich hinsichtlich seiner eigenen Partei gründlich geirrt.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Inzwischen wird – ich habe die Zahlen noch mal nachgeguckt – mehr als die Hälfte der Einbürgerungen unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit durchgeführt. Der Doppelpass ist also nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Was sind das für Länder? – Iran, Syrien, Afghanistan, Algerien, Marokko und Tunesien. Das sind alles Länder, in denen die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft laut Gesetz nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Dann wird ein Doppelpass ausgestellt.
Also sind wir doch mal ganz ehrlich, worüber wir heute reden: Wir reden darüber, dass man den türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern diesen Doppelpass nicht geben will. Nur darum geht es. Auch da unterliegt die CDU einer erneuten Lebenslüge. Auch mich haben die Demonstrationen von hier geborenen türkischstämmigen Menschen, die für die Erdogan-Politik auf die Straße gehen, ziemlich fassungslos und besorgt gemacht. Bei diesen Demonstrationen merken wir, dass wir es nicht verstehen, warum diese Menschen für eine Politik, die mit unseren Grundwerte nichts zu tun hat, auf die Straße gehen. Wir fragen uns: Was ist da schief gelaufen?
Herr Kuper, selbstverständlich müssen wir uns alle diese Frage stellen. Aber die Antwort darauf kann doch nicht sein, dass wir jetzt wieder die Optionspflicht machen. Das hat mit der Doppelpassdebatte nichts zu tun – im Gegenteil.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)
Ich glaube im Gegenteil, dass wir die Probleme, die wir hier in der Community haben, nicht mit dieser Antwort lösen können. Das ist eine erneute Lebenslüge, und nach 20 Jahren machen Sie dieselben Fehler noch mal! Das finde ich traurig und schade, denn ich glaube, wir waren auch mit der CDU in diesem Landtag mal weiter. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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