Meral Thoms: „Wir Grünen setzen selbstverständlich auf Prävention und damit auch auf die empfohlenen Impfungen“

Zum Antrag der FDP-Fraktion zu HPV-Impfungen

Portrait Meral Thoms

Meral Thoms (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gehen wir zusammen in das Jahr 1995. Eine junge Frau – nennen wir sie Nicole – ist schwer verliebt. Sie und ihr Freund Markus haben das erste Mal Sex. Viele weitere Male und Partner sollten noch folgen.

Heute könnte Nicole 42 Jahre alt sein, vielleicht gestandene Geschäftsfrau und Mutter, möglicherweise erkrankt an Gebärmutterhalskrebs. Gebärmutterhalskrebs wird in 95 % der Fälle durch die sexuell übertragbaren HP-Viren ausgelöst. Nicole, unser fiktiver Fall, könnte eine von 4.400 Frauen sein, die in Deutschland jährlich an Gebärmutterhalskrebs erkranken, oder eine von 1.600 Frauen, die jährlich an dieser Krankheit sterben.

Die gute Nachricht: Durch den Fortschritt in der Medizin hat sich für junge Frauen von heute etwas geändert. Seit 2006 können wir Mädchen vor Gebärmutterhalskrebs schützen. Denn seitdem gibt es die HPV-Impfung.

Allerdings waren 2020 nur rund die Hälfte der unter 15-jährigen Mädchen geimpft. Damit können wir natürlich nicht zufrieden sein. Bei den gleichaltrigen Jungen ist es noch nicht einmal jeder Fünfte. Und der Blick auf die Jungen ist wichtig; denn einerseits sind sie Übertrager der Viren, und andererseits senkt eine HPV-Impfung für sie auch das eigene Krebsrisiko.

HPV-Impfungen, aber auch andere Impfungen wie die gegen Corona sind bedeutende Errungenschaften der Medizin, von denen die Menschheit als Ganzes profitiert. Impfen schützt uns vor lebensbedrohlichen Krankheiten. Wenn möglichst viele Menschen geimpft sind, ist der Schutz für uns alle, für uns als Gemeinschaft besonders hoch.

Wir Grünen setzen selbstverständlich auf Prävention und damit auch auf die empfohlenen Impfungen. Wir begrüßen daher ausdrücklich die Idee für weitere Aufklärungskampagnen. Denn es gilt, das Misstrauen gegenüber lebensrettenden Impfungen zu senken und die Motivation für Impfungen deutlich zu erhöhen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Auch der Idee, den Zugang zu Impfungen so niedrigschwellig wie möglich zu halten, stimmen wir zu.

Jedoch, liebe FDP, braucht es an dieser Stelle realitätsnahe Herangehensweisen, die tatsächlich auch umsetzbar sind. Wenn wir junge Menschen erreichen wollen – das ist hier die Zielgruppe –, sind Impfkampagnen an Schulen selbstverständlich naheliegend. Aber wie genau soll das durchgeführt werden? Woher soll das Impfpersonal kommen?

(Zuruf von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD] – Elisabeth Müller-Witt [SPD]: Das hat man Jahrzehnte bei der Schluckimpfung in Schulen gemacht!)

Wer soll sich an den Schulen um die notwendige – Sie haben es gesagt, Frau Kapteinat – ausgiebige Aufklärung kümmern? Wer soll sich um die Impfzustimmung der Eltern kümmern, die wir hier brauchen? Die Lehrkräfte? Wie stellen wir sicher, dass wir wirklich alle erreichen, auch die Eltern, die kein Deutsch sprechen? Haben wir mehrsprachiges Aufklärungsmaterial und mehrsprachige Kräfte, die die Eltern aufklären? Welche Rolle kann und soll der Öffentliche Gesundheitsdienst spielen?

Die Kampagne, die Sie vorschlagen, soll freiwillig für Schulen sein. So weit, so gut.

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Frau Kollegin, es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage des Abgeordneten Klute. Würden Sie sie zulassen?

Meral Thoms (GRÜNE): Am Ende gerne. – So weit, so gut. Aber wie stellen wir sicher, dass gerade an Schulen, die vor großen Herausforderungen stehen, solche Programme durchgeführt werden? Wie stellen wir sicher, dass wir keinen jungen Menschen außen vor lassen, nur weil seine Schule nicht mitmacht, weil seine Schule keine Zeit hat, weil Kräfte fehlen?

Noch eine Frage an die FDP: Warum sollten nur HPV-Impfungen an Schulen durchgeführt werden, also Impfprogramme für HPV-Impfungen?

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Weil da die Quote besonders niedrig ist!)

Schauen wir auf Masern. Bei Masern haben wir in Deutschland noch immer keine Herdenimmunität erreicht.

In Deutschland haben wir stets neu ausbrechende Erkrankungsherde. Deshalb steht Deutschland der weltweiten Ausrottung der Masern entgegen. Auch das ist ein Fakt.

Also, liebe FDP: Wir sind bei Ihnen, und wir sehen den Bedarf an Prävention und natürlich auch an Aufklärung über notwendige Impfungen. Aber wir haben, wie hier erwähnt, zahlreiche Fragen in Bezug auf die Umsetzung und mit Blick auf die wichtige Gesundheitsgerechtigkeit.

Wir freuen uns auf die Debatte im Ausschuss und stimmen der Überweisung selbstverständlich zu. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Und jetzt stimmen Sie, wie angekündigt, der Zwischenfrage des Kollegen Klute zu?

Meral Thoms (GRÜNE): Ja, natürlich.

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Bitte schön, Herr Klute.

Thorsten Klute (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident, und vielen Dank, liebe Frau Kollegin. – Als Vater zweier Töchter ist es, ehrlich gesagt, gar nicht so einfach, an der Stelle zuzuhören. Es sei die Frage erlaubt, wenn Sie Zweifel haben, dass genügend Impfpersonal da ist, um Impfungen an unseren Schulen durchzuführen, wie wir das übrigens schon seit Jahrzehnten immer wieder hatten: Woher nehmen Sie dann den Optimismus, die viel zu niedrige Impfquote auf andere Weise irgendwo außerhalb von Schulen erhöhen zu können? Sie setzen ja offensichtlich ausschließlich auf außerschulische Impfungen. Wenn Sie Zweifel haben, dass es genügend Personal für Impfungen in Schulen gibt, woher nehmen Sie den Mut, überhaupt die Impfquote steigern zu können?

(Beifall von der SPD und der FDP)

Meral Thoms (GRÜNE): Vielen Dank für die Frage, Herr Klute. Ich denke, die Fragen sind sehr berechtigt, wie man solch eine große Impfkampagne umsetzen kann und wie man gewährleisten kann, dass wirklich jeder junge Mensch, wenn wir das an Schulen machen, die Chance hat, an dieser Impfkampagne teilzunehmen. Die Fragen sind berechtigt: Wie können wir hier die Eltern aufklären? Sind die Kräfte, die wir an den Schulen haben, die wir rekrutieren können, und unser Öffentlicher Gesundheitsdienst mehrsprachig? Sind die Materialien mehrsprachig?

(Thorsten Klute [SPD]: Ja, wofür sind sie denn da?)

Wir sind nicht so blauäugig, zu sagen, dass wir das machen, sondern gehen, wie ich gesagt habe, gemeinsam in den Ausschuss. Wir thematisieren diese offenen Punkte und werden daran arbeiten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Wie Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen sein dürfte, ist eine Kurzintervention von der Kollegin Schneider angemeldet. Sie können sie hier am Redepult beantworten oder auch von Ihrem Platz. Die Kollegin Schneider hat jetzt für 90 Sekunden das Wort.

Susanne Schneider (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Werte Frau Kollegin, Sie haben unter anderem ausgeführt, dass wir bei Masern immer noch keine Herdenimmunität haben. Mit Blick auf die Geschichte dieses Hauses muss ich sagen: Das liegt auch daran, dass Ihre langjährige grüne Gesundheitsministerin jegliche Initiative zur Masernimpfung in diesem Haus hat ablehnen lassen. – Dies für Sie zur Info.

(Beifall von der FDP und Lisa-Kristin Kapteinat [SPD])

Ich bin mir sicher, dass Schulen das gemanagt bekommen. Und wenn nur 90 % der Schulen mitmachen möchten, erreichen wir 90 % der Kinder.

(Beifall von der FDP und der SPD)

Die Kinder haben sicher auch die Möglichkeit, sich in einer anderen Schule impfen zu lassen, wenn ihre Schule es definitiv nicht möchte.

Ich erinnere jetzt einfach einmal daran, dass es früher – ich komme aus Baden-Württemberg; Kollegin Freimuth sagt, dass es das auch in Nordrhein-Westfalen gab – flächendeckend an Schulen für Mädchen die Rötelnimpfungen gab, was überhaupt kein Problem war und auch auf freiwilliger Basis erfolgte. Das müssten wir doch in NRW mit HPV auch hinkriegen.

(Beifall von der FDP und der SPD)

Vizepräsident Rainer Schmeltzer: Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Sie haben jetzt 90 Sekunden lang die Möglichkeit, zu erwidern.

Meral Thoms (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider, für die Kurzintervention. Das gibt mir die Möglichkeit, noch einmal zu betonen, dass uns wirklich wichtig ist, dass wir Gesundheitsgerechtigkeit haben und alle jungen Menschen die Chance haben, durch diese Impfung erreicht zu werden – gerade auch solche an Schulen mit besonderen Herausforderungen, wo wir einen Fachkräftemangel haben und nicht sicherstellen können, dass wir die notwendigen Aufklärungsmaterialien und die notwendige, um das noch einmal zu sagen, möglicherweise mehrsprachige Aufklärung haben. Sie wissen, wie hoch der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit internationalen Wurzeln an unseren Schulen ist. Das müssen wir also gut diskutieren: Haben wir hier die gleichen Chancen für alle an Schulen?

Deswegen freue ich mich – ich sage es noch einmal – auf die Debatte im Ausschuss, die sicherlich sehr lebhaft wird. Sehr gut!

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Thorsten Klute [SPD]: Sie tragen mit dazu bei!)

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