Meral Thoms: „Wenn wir krisensicher sein wollen, dürfen wir niemanden zurücklassen“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zum Gesundheitsschutz

Portrait Meral Thoms

Meral Thoms (GRÜNE): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Digitale Lösungen haben ohne Zweifel das Potenzial, unseren Gesundheitsschutz erheblich zu verbessern. Gleichwohl haben sie auch – das muss uns klar sein – Grenzen. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen, das mir sehr am Herzen liegt.

Meine 80-jährige Mutter hat Sehstörungen, und digitale Geräte gehören nicht zu ihrem Alltag. Sie hat auch kein Smartphone. Die Corona-App hat für sie deshalb überhaupt nicht funktioniert. Die Warn-Apps, die wir haben und die wir alle auch schon hier im Plenum genutzt haben, kann sie ebenfalls nicht nutzen. Damit kommen wir schon zu einem entscheidenden Punkt des Antrags. Digitale Anwendungen mögen hilfreich sein, aber sie sind nicht automatisch für alle Menschen zugänglich.

Ältere Menschen ohne digitale Kenntnisse oder ohne die entsprechenden technischen Hilfsmittel können wir nicht erreichen, und sie werden auch in diesem Antrag nicht mitgedacht. Wenn wir jedoch krisensicher sein wollen, dann dürfen wir niemanden zurücklassen.

Der Antrag spricht von Digitalisierung als Lösung. Das ist kurz, griffig und klingt sehr gut. Den Kern des Problems trifft das aber nicht, weil digitale Werkzeuge an sich kein Allheilmittel sind.

Wir schließen die Lücken im Krisenmanagement nicht allein durch Technik, wobei Technik natürlich sehr hilfreich sein kann. Wenn es in der Vergangenheit Versäumnisse gab, dann lag dies selten primär an der fehlenden Digitalisierung, sondern es lag primär an einer mangelnden Koordination vor Ort, an einem fehlenden Schnittstellenmanagement, an fehlenden Standards und an fehlenden Routinen von Krisen und Verwaltungsstäben. Sicherlich helfen digitale Lösungen erheblich, für sich genommen sind sie aber kein Allheilmittel.

Ähnliches gilt für die Forderung einer digitalen Erfassung von Lagerbeständen in dem Antrag. Um die Verteilung von Ressourcen effizienter zu gestalten, muss auch hier in erster Linie die Koordination betrachtet und dann optimiert werden.

Ich komme zu einem anderen Punkt. Im Katastrophenfall – das ist klar – muss Wissen schnell und gezielt verfügbar sein. Deswegen hat das Land seit vielen Jahren das digitale Informationssystem Gefahrenabwehr im Katastrophenschutz. Das heißt, es gibt bereits ein System. Deswegen steht hinter der vorgeschlagenen zentralen Wissensplattform, die im Krisenfall alle Informationen für Einsatzkräfte bereitstellen soll, ein großes Fragezeichen. Theoretisch klingt das richtig gut, ist in der Praxis aber mit enormen Hürden verbunden.

Unterschiedliche Krisenlagen benötigen unterschiedliche Informationen. Eine einzige Plattform für alle Krisensituationen birgt deshalb die Gefahr, zu einem Datenmonster zu werden. Zudem liegt dann auch die Frage sehr nahe, wer diese Daten pflegen soll bzw. woher das Personal dafür kommt, ganz zu schweigen von der offenen Finanzfrage.

Darüber hinaus betreibt der Bund mit den Ländern bereits das Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz. Dieses Instrument dient genau der übergreifenden Koordination.

Eine zusätzliche Wissensplattform aus NRW ist daher nicht nur unnötig, sondern sie könnte die Krisenbewältigung sogar noch verkomplizieren. Wir brauchen keine NRW-Insellösung, sondern wir brauchen eine bessere Vernetzung der bestehenden Strukturen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Völlig vergessen haben Sie in Ihrem Antrag den Öffentlichen Gesundheitsdienst. Der kommt einfach nicht vor, obwohl gerade der ÖGD bei öffentlichen Gesundheitsgefahren eine zentrale Rolle im Hinblick auf die Koordination und die Kommunikation einnimmt. Wir stärken den ÖGD gezielt und verankern seine zentrale Rolle im Gesundheitskrisenmanagement im Novellierungsentwurf zum ÖGD-Gesetz.

Der vorliegende Antrag ist unausgegoren, Elemente und Vorschläge passen nicht richtig zusammen. Wir lehnen den Antrag daher ab. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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