Meral Thoms: „…weil die medizinische Forschung die letzten Jahrhunderte auf Männer fokussiert war“

Zum Antrag der FDP-Fraktion zum "Krankheitsbild Lipödem"

Portrait Meral Thoms

Meral Thoms (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Ihnen die fiktive Geschichte von Anna erzählen, die stellvertretend für ungefähr 3 Millionen Frauen steht, die unter Lipödem leiden. Diese Geschichte basiert auf Schilderungen von Patientinnen.

Anna ist eine 16-jährige Schülerin, die davon träumt, bald eine Ausbildung im Einzelhandel zu beginnen. In dem Jahr, in dem ihre Ausbildung beginnen soll, nehmen Annas Beine an Umfang zu, gerade im Vergleich zum restlichen Körper. Sie probiert alles aus – verschiedene Diäten, treibt Sport, verliert Gewicht –, doch ihre Beine bleiben dick und geschwollen. Als sich zusätzlich zu den Schwellungen auch noch ein starker Druckschmerz entwickelt, findet sie den Weg zu ihrer Hausärztin. Die Diagnose lautet: Lipödem, Stadium 1 von 3.

Das ist eine Störung der Fettverteilung, bei der es zu einer unkontrollierten Vermehrung der Fettzellen im Fettgewebe der Unterhaut kommt – das haben wir eben schon gehört –, und zwar vor allem an Beinen, Hüfte, Gesäß. Der restliche Körper ist eher selten betroffen.

Die bis dato vorgeschlagenen Behandlungen bei Stadium 1 sind Lymphdrainagen und Kompressionsstrümpfe. Das heißt für unsere Anna, dass sie eine Routine beginnt, die von wöchentlichen Lymphdrainagen und dem täglichen Kampf mit Kompressionsstrümpfen geprägt ist. Das junge Mädchen braucht jeden Morgen beinahe eine halbe Stunde, bis sie diese Strümpfe über die schmerzenden Beine gezogen hat. Jeden Morgen wiederholt sich die Tortur.

Doch trotz dieser Bemühungen schreitet die Krankheit voran. Annas Selbstwahrnehmung – man kann sich das bei einem jungen Mädchen vorstellen – leidet enorm unter den sichtbaren Veränderungen ihrer Beine. Sie zieht sich zurück und zeigt mit Mitte 20 Symptome einer Depression.

Diese Geschichte ist kein Einzelfall, etwa 3 Millionen Frauen – es sind fast ausschließlich Frauen – sind von Lipödem betroffen. Die Krankheit tritt häufig in Phasen hormoneller Veränderungen wie der Pubertät auf. Sie führt zu erheblichen Schmerzen, Mobilitätseinschränkungen und psychischen Folgeerkrankungen.

Doch wie bei so vielen Erkrankungen, von denen Frauen betroffen sind, sind Ursache und bestmögliche Behandlung noch nicht ausreichend erforscht. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat daher eine klinische Studie in Auftrag gegeben, um den Nutzen einer Fettabsaugung bei Lipödem für alle Erkrankungsstadien bewerten zu können. Mittels der Ergebnisse der Studie kann bis Mitte 2025 ein Beschluss für alle drei Erkrankungsstadien gefasst werden.

Aktuell werden die Kosten einer Fettabsaugung nur im letzten Stadium von den Krankenkassen übernommen. Die meisten Frauen haben jedoch große Angst vor Stadium 3, da es in der Berufstätigkeit und im Privatleben mit extremen Einschränkungen einhergeht. Zu denken ist hier an große, an hängende Fettlappen, die die Bewegung beeinträchtigen und die auch ohne Berührung mit intensiven Schmerzen und Infektionen in Hautfalten einhergehen.

Viele Frauen lassen sich daher frühzeitig operieren. Deswegen finanzieren 77 % der betroffenen Frauen die Behandlung schon vor dem Erreichen des Stadiums 3 selbst, mehr als 50 % haben sich dafür verschuldet.

Es kann nicht sein – ich glaube, da sind wir uns alle einig –, dass Frauen wiederholt finanziell wie gesundheitlich zurückstecken müssen,

(Beifall von den GRÜNEN)

weil die medizinische Forschung die letzten Jahrhunderte auf Männer fokussiert war und die Anliegen von Frauen zu sehr vernachlässigt wurden. Das muss sich ändern, und das habe ich hier in den Redebeiträgen auch gehört.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir stehen seit jeher für Geschlechtergerechtigkeit in der Medizin und auch in jedem anderen Lebensbereich. Wir stimmen der Überweisung des Antrags zu, und wir sind gespannt auf die Diskussion. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und Anke Fuchs-Dreisbach [CDU])

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