Meral Thoms: „Psychologische Beratung, die jetzt so nötig wäre, ist in den seltensten Fällen vor Ort“

Zum Antrag der FDP-Fraktion zum Thema "Sternenkinder"

Portrait Meral Thoms

Meral Thoms (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Fehl- oder Tot- oder, wie man es auch behutsam ausdrücken kann, Stillgeburt ist für Frauen immer eine traumatische Erfahrung. In Vorbereitung auf die heutige Debatte habe ich mich mit einer Gynäkologin ausgetauscht, die schon viele Frauen auf diesem sehr schweren Weg begleitet hat. Sie hat mir typische Abläufe geschildert:

Eine Schwangere geht, häufig nichtsahnend, zur Kontrolluntersuchung zum Frauenarzt, häufig tagsüber, ohne ihren Partner oder die Partnerin. Dort erfährt sie dann, dass kein Herzschlag des Kindes mehr im Ultraschall zu sehen ist. Sie bekommt nun entweder ein Medikament, das die Schwangerschaft mit einer schmerzhaften Blutung beendet, oder sie bekommt die Empfehlung, sich zeitnah, vielleicht noch am selben Tag, in einem Krankenhaus operieren zu lassen. In diesem Fall wird die Schwangere ins Krankenhaus eingewiesen. Nach der OP kommt sie, wenn sie Glück hat, auf ein ruhiges Zimmer. Wenn sie nun Pech hat, kommt sie auf ein Zimmer, in dem sie die Schreie der Babys auf der Entbindungsstation hört.

Während dieser häufig sehr, sehr kurzen Zeit bricht für die betroffene Frau eine Welt zusammen. Die Hoffnungen auf Mutterschaft und Familienplanung zerschellen. Nach dem ersten Schock stellen sich Trauer und der Schmerz ein. Viele Frauen werden von Schuldgefühlen geplagt. Psychologische Beratung, die jetzt so nötig wäre, ist in den seltensten Fällen vor Ort.

Die Ärztin, mit der ich gesprochen habe, drückt das Leid der Frauen so aus: Die Mütter werden heulend in den OP gefahren und wachen heulend wieder auf. Sie weinen die ganze Zeit. – Der Austausch mit dieser Ärztin hat mich sehr berührt. Es ist jetzt schwer, den Übergang zu finden, aber ich mache weiter mit meiner Rede.

Wir sprechen bei diesem wichtigen Thema – und auch ich bin dankbar für den Antrag – nicht von Einzelfällen. Circa 12 % der Schwangerschaften enden mit einer frühen Fehlgeburt. Diese Häufigkeit ist den meisten Frauen nicht bewusst. Bei Fehlgeburten kommt es bei 30 % der betroffenen Frauen im Anschluss zu Angststörungen, bei 10 % zu depressiver Symptomatik und bei 34 % zu einem posttraumatischen Belastungssyndrom.

Das Erleben einer Fehl- oder Stillgeburt, das haben wir eben schon gehört, ist immer noch ein Tabuthema in unserer Gesellschaft, und die Betroffenen werden viel zu häufig alleingelassen. Daher ist es richtig, dass wir heute an diesem Ort über dieses Thema sprechen.

Wir müssen uns gemeinsam fragen: Wie gut werden Mütter und werdende Eltern auf die Möglichkeit dieses frühen Verlustes vorbereitet? Wie gut werden Frauen in dieser dramatischen Lebenslage unterstützt, und wo besteht für uns politischer Handlungsbedarf?

Ja, es besteht Handlungsbedarf, ganz eindeutig. Aber wir erleben seit einigen Jahren auch einen Wandel im Umgang mit Fehl- und Stillgeburten. Seit 2013 können Fehlgeborene auf Wunsch der Eltern bestattet und standesamtlich beurkundet werden. Kliniken und Praxen sind rechtlich verpflichtet, Betroffene auf diese Möglichkeiten hinzuweisen. Bei Stillgeburten werden Eltern darin unterstützt, ihr totgeborenes Kind zu verabschieden, indem sie es in den Arm nehmen oder fotografieren.

Rein rechtlich haben wir immer noch einen großen Fokus auf die körperliche Ebene von Fehl- und von Stillgeburten. Der Mutterschutz, das haben wir eben schon gehört, gilt erst ab der 24. Schwangerschaftswoche mit Verweis auf die Notwendigkeit zur Schonung aufgrund rein körperlicher Rückbildungsprozesse. Aber uns ist doch allen klar, zur Gesundheit gehört neben dem körperlichen auch das psychische und soziale Wohlbefinden. Deswegen begrüßen wir die Pläne der Bundesregierung zur Ausweitung des Mutterschutzanspruches auf Fehlgeburten nach der 20. Schwangerschaftswoche.

Wir sollten uns aber zukünftig auch nicht vor weitergehenden Diskussionsvorschlägen verschließen, die einen gestaffelten und freiwilligen Mutterschutz – abhängig von der Schwangerschaftswoche – vorsehen. Bei all diesen Maßnahmen sollte es darum gehen, den Schmerz der Mütter und der Familien respektvoll anzuerkennen und ihnen in ihrer Trauer beizustehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade weil wir diesem Thema eine hohe Bedeutung zumessen, stimmen wir der Überweisung des Antrags an den Fachausschuss zur tiefergehenden Beratung gerne zu. – Vielen Dank.

(Beifall von allen Fraktionen)

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