Meral Thoms: „Es sind die Ursachen der Lieferengpässe, die wir langfristig und strategisch angehen müssen“

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der "AfD"-Fraktion zur Medikamentenversorgung

Portrait Meral Thoms

Meral Thoms (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachrichten über Lieferengpässe zu grundlegenden Medizinprodukten wie Kochsalzlösung sind natürlich besorgniserregend. Es ist daher völlig verständlich, dass Patientinnen und Patienten angesichts solcher Meldungen verunsichert sind.

Wenn ich zum Arzt gehe, wenn ich zur Ärztin gehe, erwarte ich, dass die notwendigen Medikamente und auch die Produkte in der Praxis oder in der Apotheke vorrätig sind. Das war in unserem Land jahrzehntelang Normalität, und das soll auch zukünftig Normalität und Selbstverständlichkeit bleiben.

Dass hingegen in den letzten Jahren immer häufiger Arzneimittel knapp werden, ist schlicht und ergreifend nicht hinzunehmen. Gerade Kochsalzlösung, dieses einfache Produkt, ist für den medizinischen Alltag in der Klinik oder in der Praxis unverzichtbar. Es muss in Deutschland immer und überall vorrätig sein.

Gleichzeitig haben wir aber auch als Politik die Verantwortung, keine Panik zu schüren und trotzdem klar auf die aktuelle Situation hinzuweisen. So gibt es bei der Kochsalzlösung einen Liefer-, aber eben keinen Versorgungsengpass.

Alternative oder gleichwertige Produkte werden zum Teil importiert oder in Krankenhausapotheken hergestellt. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat bisher keinen Versorgungsmangel festgestellt. Das heißt, die grundlegende medizinische Versorgung ist gesichert.

Im Bereich der Kinderarzneien stellt sich die Lage aktuell sogar deutlich entspannter dar als im Vorjahr. Bei den Fiebersäften gibt es keine Lieferengpässe, bei den Antibiotikasäften ist der Lieferengpass bei Penicillin V bis Ende Oktober behoben. Eine Substitution durch vergleichbare Wirkstoffe ist derweil möglich.

Dies soll jedoch nicht relativieren, ganz im Gegenteil. Doch die Menschen sollen auch wissen, dass ihre medizinische Versorgung nicht gefährdet ist. Sie sicherzustellen, ist und bleibt unsere wichtigste Aufgabe, die Aufgabe aller Akteure im Gesundheitswesen.

Bei der Suche nach Lösungen müssen wir uns die langfristigen Ursachen der Lieferengpässe, die gerade bestehen, genauer anschauen. Ein zentrales Problem liegt in der globalen Vernetzung unserer Lieferketten. Viele Medikamente werden in wenigen Ländern außerhalb von Europa produziert. Wenn es dort, zum Beispiel in Asien, zu Produktions- oder Logistikproblemen kommt, dann sind wir hier in Europa, in Deutschland, in NRW direkt betroffen. Genau diese Abhängigkeit von globalen Lieferketten führt dazu, dass selbst einfache und preiswerte Produkte wie die Kochsalzlösung plötzlich knapp werden.

Doch wie genau sind wir eigentlich in diese Situation geraten? Die Antwort ist: Wir haben viel zu lange und zu einseitig bei patentfreien Arzneimitteln nur die Kosten in den Blick genommen. Es zeigt sich ein deutlicher Fehler im System, wenn ausgerechnet die günstigen und leicht herzustellenden Medikamente oder Produkte in Deutschland knapp werden.

Die Zuständigkeit für die Bewertung der Versorgungslage und auch für die Möglichkeit, entsprechende Maßnahmen zu treffen, liegt nicht beim Land NRW, sondern beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und damit auf der Bundesebene. Der Bund hat die Problematik der Lieferengpässe erkannt und im letzten Jahr schon wichtige Schritte unternommen, um die Lage zu verbessern.

So wurden beispielsweise Fest- und Rabattverträge für Kinderarzneimittel abgeschafft. In Krankenhausapotheken, bei pharmazeutischen Unternehmen und im Großhandel wurden Bevorratungspflichten verschärft. Bei Ausschreibungen sorgten gesonderte Lose dafür, dass die Produktion von Medikamenten wie Antibiotika in Deutschland und auch in Europa wieder ausgebaut wird. Mit diesen ersten Schritten werden wir unabhängiger von ausländischen Lieferanten.

Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte soll ein Frühwarnsystem zur Erkennung von drohenden Lieferengpässen eingerichtet werden. Diese Maßnahmen sind wichtig. Sie wirken langfristig, und sie zeigen zum Beispiel bei den Kinderarzneien erste Wirkung. Ob sie hingegen für alle betroffenen Medikamente und Produkte auf Dauer ausreichen, bleibt im Rahmen einer Evaluation abzuwarten. Es ist wichtig, hier weiterhin genau hinzuschauen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Klar ist aber auch, diese Produktionslinien lassen sich nicht von heute auf morgen verändern. Wir brauchen eine Doppelstrategie:

Erstens. Wir müssen langfristig zu einer Diversifizierung von Lieferketten kommen.

Zweitens. Wir müssen kurzfristig handlungsfähig sein, wenn es, wie jetzt bei den Kochsalzlösungen, zu Lieferengpässen kommt. Um das zu erreichen, ist es gut, dass zum Beispiel die Austauschregeln für Apotheken bei fehlenden Medikamenten auf gesetzlicher Grundlage vereinfacht wurden.

Die Landesregierung, das ist wichtig zu betonen, stellt sich den Fragen von Lieferengpässen. Ebenso müssen wir aber auch klar benennen, dass unsere Handlungsmöglichkeiten in dieser Frage begrenzt sind. Lieferketten sind ein globales Problem. Ihre Regulierung fällt primär in den Aufgabenbereich des Bundes und der EU. NRW kann in dem Zusammenhang bedingt Einfluss auf die internationale Produktion nehmen.

Trotzdem ist das Land NRW natürlich nicht untätig. Wir sind aktiv. Über den Bundesrat hat sich die Landesregierung stets dafür eingesetzt, Lieferengpässe zu bekämpfen. In NRW stehen wir in engem Austausch mit Kliniken und Apotheken bei Beschaffungsschwierigkeiten von Medikamenten. Meldungen über Lieferengpässe werden regelmäßig an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte weitergeleitet. Hier sitzt das Gesundheitsministerium im Beirat, um gerade unsere Perspektive aus NRW und unsere Lageeinschätzung einzubringen.

Lassen Sie uns eines klarstellen: Schnellschüsse, Schuldzuweisungen und gerade Panikmache lösen das Problem nicht.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Es sind die Ursachen der Lieferengpässe, die wir langfristig und strategisch angehen müssen. Gemeinsam mit dem Bund und der EU werden wir weiterhin konsequent an den Lösungen arbeiten und die Versorgungssicherheit stärken. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Mehr zum Thema

Gesundheit