Mehrdad Mostofizadeh: „Wir wollen dieses Land, so schwierig die Situation ist, in allen Bereichen stärker und handlungsfähiger machen“

Unterrichtung der Landesregierung zur Corona-Pandemie

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Preuß, Sie haben eben geschildert, woher das Personal kommen könnte. Damit haben Sie auch völlig recht. Natürlich können wir die Leute im Medizinischen Dienst oder andere fragen. Das haben wir im AGS schon diskutiert. Frau Kollegin Schneider hat davon berichtet, dass sie sich selbst bereit erklärt hat, wieder ihren Dienst im Krankenhaus aufzunehmen, wenn das denn gewünscht wird.
Darum geht es doch: Herr Minister, fangen Sie doch erst einmal an, die Leute zu fragen, und koordinieren Sie vonseiten des Landes Dienstpläne, wie sie eingesetzt werden können. Fangen Sie erst einmal diejenigen auf, die das machen wollen. Dann wären wir einen Schritt weiter, Herr Minister Laumann.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Machen wir doch!)
–  Das ist Quatsch, Herr Minister? – Okay.
Herr Ministerpräsident, ich will ausdrücklich sagen: Ich nehme Ihnen das ab. Der stellvertretende Ministerpräsident hat auch noch einmal betont, dass wir die Woche jetzt ernsthaft nutzen sollten. Ich glaube, dass wir bei § 15 – die anderen Punkte sind auch geschildert worden
–  eine Lösung finden können, wenn man es denn will. Deswegen habe ich das eingangs auch gesagt.
Sie wissen mindestens so gut wie ich, wenn nicht sogar noch viel besser, dass es jetzt sehr darauf ankommt, die Leute, die in den Arztpraxen und in den kurativen Bereichen sitzen, über Kurzarbeit reden oder sie schon angemeldet haben, die zum Teil keine Schutzkleidung haben, die aber trotzdem sagen: „Ich habe doch nicht den Beruf gelernt, um mich jetzt aus dem Staub zu machen; ich will mich einsetzen und beim Gesundheitsamt melden, um am Wochenende zusätzlich zu meiner Praxistätigkeit Abstriche, Prüfungen usw. zu machen“, mitzunehmen. Die können wir doch auch einladen.
Wir könnten doch ein Gesetz erlassen, das der Gesetzeslage zum Katastrophenschutz ähnelt. Es geht doch eher um die andere Seite. Die Arbeitnehmer müssen – wie das bei der Freiwilligen Feuerwehr der Fall ist und wie das früher beim Katastrophenschutz war – freigestellt werden, über Kinderbetreuung verfügen und einen Entschädigungsanspruch bekommen. Meines Erachtens sollten sie zusätzlich auch noch einen Zuschlag für ihr besonderes Engagement erhalten.
Das wird doch alles machbar sein. Das muss doch der Vorschlag sein, der von diesem Landtag ausgeht und nicht die Ansage: Wir müssen diejenigen zwangsrekrutieren, die wir nicht herzaubern können. – Zitat von Gesundheitsminister Laumann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist unser konkreter Vorschlag, mit diesem Sachverhalt umzugehen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich möchte noch einen zweiten Punkt ansprechen. Wir haben auch im Gesundheitsausschuss darüber gesprochen, Herr Minister, dass sich viele Studierende zur Hilfe bereit erklärt haben. Die Beispiele hat Herr Kollege Kutschaty angesprochen. In Essen sind es Hunderte von Menschen gewesen. Auch in Münster – ganz in der Nähe Ihrer Heimatstadt – sind es ganz viele gewesen. Doch die werden nicht auf die Intensivstationen gehen, sondern in anderen Bereichen eingesetzt werden müssen. Die können dem Gesundheitsamt bei statistischen Auswertungen helfen und auch bei vielen anderen Dingen, die zu tun sind.
Das RKI ist im Moment selbst dabei, die Leute zu rekrutieren, die wir für diese Tätigkeiten brauchen. In Essen ist die Feuerwehr unterwegs, um vor Ort Abstriche zu machen. Das Drumherum können auch andere organisieren. Unser Job muss es sein, das zu koordinieren, es zueinander zu bringen und ein Personalkonzept vorzulegen, wie das alles gemacht werden kann.
Folgendes scheint mir die Überlegung bei diesem Gesetzentwurf gewesen zu sein. Die ersten Artikel befassten sich damit, wie man das Bundesrecht umsetzt und wie die Zuständigkeiten sind. Dann kam – so stelle ich mir das in meiner naiven Politikgläubigkeit vor – der Gesundheitsminister und sagte: Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass wir im schlimmsten Fall die letzten Kräfte zusammenziehen und zwangsrekrutieren können. – Das ist das falsche Signal zum falschen Zeitpunkt. Das ist nicht richtig ausgearbeitet. Was fachlich dazu zu sagen ist, haben Kollegin Düker und Kollege Kutschaty soeben schon vorgetragen.
Reparieren Sie das in den nächsten sechs Tagen! Dann besteht auch die Chance, dass das im Parlament eine breite Zustimmung erhält. Dann wären wir im Parlament von Nordrhein-Westfalen in einem zentralen Bereich der Krisenbekämpfung einen ganz wichtigen Schritt weiter. Es ist mein Angebot, das gemeinsam zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich komme zu einem zweiten zentralen Bereich. Wer steht jetzt gerade in besonderer Weise unter Druck? Das sind diejenigen, die in der Pflege unterwegs bzw. medizinisch tätig sind, aber natürlich auch diejenigen, die ganz extremen Einschränkungen unterliegen. Die wichtigste operative Ebene sind doch die Städte, Gemeinden und Kreise in Nordrhein-Westfalen. Diese müssen doch genauso wie die Solo-Selbstständigen und die anderen ein klares Signal bekommen: Ihr werdet handlungsfähig bleiben, euch werden keine Haushaltssperren auferlegt, auch ihr werdet Geld – und zwar in einer Milliarden-Größenordnung – vom Land bekommen, um diese Krise zu stemmen.
Frau Ministerin Scharrenbach, ich möchte Ihnen an dieser Stelle Folgendes sagen. Wir haben es letzten Freitag im Ausschuss dezidiert diskutiert. Sie haben den Hinweis gegeben, es komme irgendetwas. Und dann kam ein Brief an die Abgeordneten von CDU und FDP, man
werde tätig werden. Selbst in der Frage der Benehmensherstellung für die heutige Sitzung des Ausschusses für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen sah es das Ministerium nicht für nötig an, die Abgeordneten aller Parteien über das Vorhaben zu informieren. Das finde ich nicht nur nicht in Ordnung, sondern es ist auch nicht sachgerecht, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ich sage Ihnen auch, um welche Punkte es geht, bei denen ich anderer Meinung bin, als ich es in der dpa-Meldung gelesen habe. Wir brauchen ein klares Aussetzen der Gemeindeordnung bei den Paragrafen 75 und 76, sonst kommt es zu Haushaltssperren. Es kann gar nicht anders gehen. Dies muss gesetzlich festgelegt werden, und das kann nicht mittels Verordnung geschehen. Darauf hat Herr Kutschaty bereits hingewiesen. Ein Gesetz kann nur durch ein Gesetz außer Kraft gesetzt werden und nicht durch eine Verordnung. Das müssen wir hier im Landtag tun.
(Beifall von den GRÜNEN und von Serdar Yüksel [SPD])
Hierfür ist auch keine Hektik notwendig. Das können wir in einem normalen parlamentarischen Verfahren abhandeln, sachlich vorbereiten, auf den Tisch legen und dann beschließen.
Dazu gehört auch – das hat Kollegin Düker angesprochen –, dass wir für die Kommunen echtes Geld benötigen. Es ist gut, wenn die Ministerin sagt, dass die Kosten isoliert werden. Das ist vernünftig. Es ist auch gut, dass man die Kosten nicht im nächsten Jahr als zusätzliche Verschuldung zu verzeichnen hat – bilanziell natürlich schon –, sondern man es über einen längeren Zeitraum verzinst abbezahlen kann.
Aber wenn der Krediterlass so ausgelegt wird, dass das, was infolge der Coronakrise über 50 Jahre abfinanziert wird, und der Altschuldenfonds durch die Liquiditätsprüfung mit dazuzählen, hätten die Kommunen ein schlechtes Geschäft gemacht. Dann wäre eine Größenordnung von 5 Milliarden Euro, vielleicht von 8 Milliarden Euro, dadurch ersetzt worden, dass die Kommunen 23 Milliarden Euro aus dem Altschuldenfonds nicht mehr bekommen und es selbst zahlen müssen. Damit ständen die Kommunen noch schlechter da als vor der Krise, und das können wir nicht allen Ernstes wollen.
Herr Ministerpräsident, wir brauchen eine Lösung in der Altschuldenfrage und auch eine Lösung im Hinblick auf die Kosten für die Flüchtlingsunterbringung. Das müssen wir gemeinsam in einem Paket machen und dürfen nicht das Stärkungspaktgesetz 2020 so auslegen, als könnten alle Kommunen davon profitieren. Das ist viel zu kurz gesprungen, und es ist in diesem Gesetzentwurf völlig unangemessen formuliert.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ich hätte es als richtig empfunden, Herr Minister Stamp, – das ist allerdings ein kleiner Aspekt, was ich durchaus zugebe – die Kitabeiträge komplett zu erstatten. Das ist aber in der Größenordnung eher der kleinere Teil.
Wichtiger ist, dass die Stärkungspaktkommunen nicht nur 2020, sondern auch 2021 über eine klare Regelung verfügen. Die 343 Millionen Euro sind sowieso drin. Deswegen erwarte ich vom Finanzminister und von der Kommunalministerin noch in dieser Woche – anders kann es ja nicht gehen –, entweder den Teil aus dem Gesetz zurückzuziehen oder eine Konzeption vorzulegen, die nächste Woche zustimmungsfähig ist.
Was jetzt im Gesetz steht, bedeutet, dass die Ermächtigung zum Erlass einer Haushaltssperre nach Gemeindehaushaltsverordnung weiterhin bestehen bleibt. Die müsste jeder Kämmerer zwangsweise anordnen, aber der Rat dürfte sie nicht mehr aufheben. Was ist das für eine Logik?
(Zuruf von Sven Wolf [SPD])
Spätestens jetzt – man muss sich einmal vorstellen, was das vor Ort heißt – müsste der Leiter des Gesundheitsamts, weil es sich um unabweisbare Leistungen handelt, mit einer bürokratischen Anforderung auf den Kämmerer zugehen und sagen: Die Haushaltssperre gilt jetzt nicht, ich muss Masken kaufen und Tests anfordern. – Das kann nicht Ihr Ernst sein.
Das alles, Herr Ministerpräsident, hört sich sehr kleinteilig an. Aber wir müssen doch mit einem klaren Konzept dafür sorgen, dass die Kommunen handlungsfähig sind. Wir müssen das Gesetzliche dafür tun, um das zu ermöglichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will Sie nicht überstrapazieren. Aber wir müssen an den beiden entscheidenden Punkten die Kommunen handlungsfähig und stark machen und vernünftig handeln.
Herr Gesundheitsminister, an dieser Stelle möchte ich abschließend an Sie appellieren. Der Bundesgesundheitsminister und Sie vertreten in Bezug auf die Prüfungen offensichtlich unterschiedliche Auffassungen. Ich möchte auch an die Medizinstudierenden das klare Signal senden – ich hoffe, dass Ihr Erlass dann auch gilt –, dass die Prüfungen dieses Jahr sowohl für M2 als auch für M3 stattfinden.
Alle Vorbereitungen werden getroffen, und die Leute können dann in den Krankenhäusern arbeiten. Das muss das Signal sein. Wir wollen dieses Land, so schwierig die Situation ist, in allen Bereichen stärker und handlungsfähiger machen und uns nicht auch noch im politischen Kleinklein gegenseitig behindern. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)