Mehrdad Mostofizadeh: „Wir nennen das einen Einstieg in ein Einwanderungsgesetz“

Unterrichtung der Landesregierung zu den Ergebnissen des Flüchtlingsgipfels

Mehrdad Mostofizadeh

###NEWS_VIDEO_1###
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich in Richtung von Herrn Kollegen Stamp sagen: Wenn Frau Göring-Eckardt von einem Septembermärchen spricht, spricht sie nicht darüber, wie viele Menschen gekommen sind, sondern sie hat versucht, ihrer Freude darüber Ausdruck zu geben, wie die Willkommenskultur an den Bahnhöfen ist und dass die Menschen die Flüchtlinge aufnehmen und begrüßen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Was das mit Romantik zu tun hat und warum Sie sie dieser Stelle diskreditieren müssen, das bleibt, glaube ich, Ihr Geheimnis.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von Dr. Joachim Stamp [FDP])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zunächst einmal ausdrücklich meinen Dank und meinen Respekt gegenüber der Ministerpräsidentin zum Ausdruck bringen. Sie hat nicht nur auf der Ministerpräsidentenkonferenz – sie ist dabei von anderen Mitgliedern der Landesregierung intensiv unterstützt worden – sehr gute Arbeit geleistet, sondern sie hat auch mit uns sehr vertrauensvoll zusammengearbeitet und auch – das ist aus den Beiträgen der anderen Fraktion deutlich geworden – dieses Parlament jederzeit und in vollem Umfang unterrichtet. Ich möchte Ihnen ganz herzlich für diese Arbeit danken.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich möchte Ihnen auch, liebe Frau Ministerpräsidentin, danken, dass Sie klare Worte bei der Bewertung gefunden haben. Sie haben gesagt: Es ist ein Kompromiss, der in Berlin geschlossen worden ist, und dieser Kompromiss ist nun umzusetzen. – Das teilen wir ganz ausdrücklich.
Sie haben auch klare Worte für das gefunden, was vorher auf dem Tisch gelegen hat, nämlich die, so nenne ich es zumindest, „Liste des Grauens“ aus dem Bundesinnenministerium,
(Heiterkeit von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Ministerin Sylvia Löhrmann)
die eine Woche vor dem Gipfel auf den Tisch gelegt worden ist. Was da aus Berlin gekommen ist, war komplett inakzeptabel.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich sage es auch ganz eindeutig: Bei diesem Kompromiss gibt es eine ganze Menge sinnvoller Regelungen, die getroffen worden sind, und einiger Unsinn wurde verhindert – das ist eben schon erwähnt worden –, leider nicht jeder Unsinn. Aber da sind wir uns in den Koalitionsfraktionen ganz einig, und der Versuch, einen Keil zwischen uns zu treiben, wird erfolglos bleiben.
Gut ist, dass die Menschen vom Westbalkan jetzt eine Einwanderungsperspektive über den Arbeitsmarkt haben. Wir nennen das einen Einstieg in ein Einwanderungsgesetz. Wir haben zwar noch kein Einwanderungsgesetz, aber es ist eine ungedeckelte und klare Perspektive, zumindest über den Arbeitsmarkt nach Deutschland regelgerecht einwandern zu können.
Zweitens ist es eine Verbesserung, wenn auch eigentlich schon lange zugestanden, dass die Gesundheitskarte jetzt geregelt wird. Da möchte ich doch noch einmal, Herr Kollege Laschet, darauf hinweisen, dass unter anderem Herr Krings und weite Teile der CDU in Deutschland diese Gesundheitskarte als „unsinnigen Pull-Effekt nach Deutschland“ bezeichnet haben.
(Armin Laschet [CDU] zuckt mit den Schultern.)
Das zeigt doch die Zerrissenheit in der CDU.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Drittens. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt: Der Bund – darauf hat der Kollege Römer hingewiesen – erkennt erstmals an, dass auch er für die Kosten der Flüchtlingspolitik überhaupt zuständig ist. Die Summen, die jetzt ausgehandelt worden sind, sind ein substanzieller Fortschritt in dieser Frage. Das will ich ganz ausdrücklich feststellen.
(Beifall von den GRÜNEN – Norbert Römer [SPD]: Ja!)
Aber dazu hat Kollege Laschet geschwiegen. Jetzt, nachdem der Gipfel vorbei ist, versucht er wieder, Geländegewinne zu machen und nicht, etwa mit Nachdenklichkeit diesen Gipfel auszuwerten.
Vielmehr spricht er in einem Interview davon, dass man doch jetzt die Vorrangprüfung für Flüchtlinge abschaffen müsse. – Ja, Herr Kollege Laschet, es ist bürokratischer Unsinn, diese Vorrangprüfung durchzuführen, aber es war die B-Seite. Das sei noch mal erklärt: Die B-Seite sind die unionsgeführten Bundesländer, die wie eine Monstranz vor sich hergetragen haben, dass das unbedingt in die Einigung für den Gipfel kommen muss.
(Beifall von den GRÜNEN und Hans-Willi Körfges [SPD])
Natürlich konnte in den letzten Tagen auch die Dauerleier der CDU nicht fehlen, dass in Bayern angeblich alles besser ist.
(Armin Laschet [CDU]: Was ist denn an der Aussage falsch?)
Sie haben es mehrfach versucht mit dem Argument, dass man die Bundesgelder eins zu eins an die Kommunen weiterleiten muss.
Ich zitiere Herrn Maly, den Vorsitzenden des Bayerischen Städtetages. Er sagte in einer Pressemitteilung:
„Positiv ist, dass für die Dauer der Asylverfahren Bund und Länder einen Kompromiss gefunden haben, mit dem man leben kann.“
– Nicht: „der wunderbar ist“, sondern: „mit dem man leben kann.“ –
„Jetzt muss der Freistaat Bayern aber endlich die Kommunen an den Bundesmitteln beteiligen. Bislang hat Bayern hiervon nichts abgegeben.“
Wörtliches Zitat von Herrn Maly.
(Beifall von den GRÜNEN – Andrea Asch [GRÜNE]: Aha!)
Das sagte er am 25. September. Das hört sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, doch völlig anders an als Söders Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht und die Beteuerungen der hiesigen CDU-Opposition, in Bayern sei alles viel besser, und die Bayern behandelten ihre Kommunen noch viel besser als wir in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Für die nicht ganz Kundigen diesem Zusammenhang gebe ich einen Hinweis auf das Gemeindefinanzierungsgesetz. Bayern beteiligt die Kommune 425 € pro Kopf an den Steuereinnahmen des Landes, Nordrhein-Westfalen mit 568 €. Es liegt damit mit Baden-Württemberg an der Spitze. Wenn wir unsere Kommunen wie die Bayern behandeln würden, müssten wir nach den Vorstellungen der CDU 2,5 Milliarden € weniger überweisen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Auch bei der Verteilung der Bundesmittel für Flüchtlinge ist es doch völlig klar: Die 216 Millionen €, die auch vom Bund in diesem Jahr zusätzlich kommen, werden eins zu eins ohne jede Diskussion an die Kommunen überwiesen; da gibt‘s überhaupt keine Debatte.
Auch für 2016 ist doch völlig klar, dass alle Ausgaben der Kommunen dem Sinn folgen müssen, dass diejenigen, die die Flüchtlinge betreuen, natürlich eins zu eins die Kosten erstattet bekommen. In dieser Frage gibt es doch auch überhaupt keinen Dissens. Nur: Wenn allerdings das Land Flüchtlinge unterhält, können Sie nicht verlangen, dass wir den Kommunen Kosten erstatten, die bei uns anfallen. Da bitte ich auch ein Stück um Verständnis.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem dritten Nachtragshaushalt, der heute vorgelegt wird – darauf hat die Ministerpräsidentin bereits hingewiesen –, werden wichtige weitere Schritte der Integration gemacht. 220 Millionen € bekommen die Kommunen in Nordrhein Westfalen zusätzlich für die Unterbringung der Flüchtlinge erstattet.
Ich habe eben darauf hingewiesen: Weitere 216 Millionen €, die eins zu eins Bundesdurchleitungen sind, werden wir im Nachtragshaushalt ebenfalls mit verankern. 2.600 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer werden bereitgestellt, 250 neue Stellen für Polizistinnen und Polizisten sowie 150 Personen, die für die Registrierung zuständig sind. Nicht zu vergessen – Stichwort: Beschleunigung der Verfahren –: Es werden auch Dutzende von Richterinnen und Richtern eingestellt, was dazu führt, dass das, was der Bund nicht geschafft hat, in Nordrhein-Westfalen deutlich schneller ablaufen kann.
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegt Nordrhein-Westfalen im Bundesländervergleich ganz vorn. 3.600 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer sind für die Integration im Land mehr als das, was alle anderen Bundesländer gemeinschaftlich auch nur angekündigt haben.
Ich danke der Opposition ausdrücklich dafür, dass sie dem beschleunigten Verfahren zugestimmt hat, sodass wir noch im Oktober die Mittel auszahlen können. Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich will jetzt, weil die Ministerpräsidentin das schon gemacht hat, nicht in aller Breite darauf eingehen, was an sachfremden Punkten hat verhindert werden können. Einige will ich aber doch herausgreifen.
Wir haben verhindert, dass die Länder diese unsinnige Regelung mitmachen müssen, Sachleistungen statt Geld auszugeben. Stellen Sie sich das einmal vor: Da sind dann Beamtinnen und Beamte oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter damit beschäftigt, statt Kleinstbeträge an Geld auszugeben an jeden eine Zigarette, Kaugummis, Bustickets oder Bleistifte auszuteilen. Das ist doch Bürokratiewahnsinn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das Gängeln und das Drangsalieren von Flüchtlingen verkürzt die Verfahren um keine Minute, sondern führt zu weiterem Aufwand, der nicht akzeptabel ist.
Nicht verschweigen möchte ich auch, dass es Zugeständnisse gegeben hat, die meiner Partei nicht leichtgefallen sind. Herr Römer hat bereits darauf hingewiesen. Wenn im Kosovo die Grenzen noch durch die Bundeswehr bzw. durch KFOR-Truppen gesichert werden müssen, haben wir erhebliche Probleme, den Kosovo als sicheres Herkunftsland einzuschätzen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir glauben auch nicht – diese Meinung teile ich ausdrücklich –, dass das dazu führen wird, die Menschen davon abzuhalten, hierher zu kommen und Asyl zu beantragen oder auf anderem Wege ihre Situation zu verbessern. Es hilft auch den BAMF-Mitarbeitern bei den Verfahren nicht, weil der Verfahrensablauf bei einem sachgerechten Asylverfahren trotzdem eingehalten werden muss, solange es – da wird es spannend – bei einem Individualrecht auf Asyl bleibt, es sei denn, die CDU/CSU strebt allen Ernstes an, das Grundrecht auf Asyl einzuschränken. Dann würde ein Schuh daraus werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da schließe ich mich Herrn Römer an: Weder die Landtagsfraktion der Grünen in Nordrhein-Westfalen noch irgendeine andere Landtagsfraktion noch die Bundestagsfraktion wird mittragen, dass das Grundrecht auf Asyl in Deutschland eingeschränkt wird.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Uns liegt ein Kompromiss mit Licht und Schatten vor. Dazu stehe ich. Wir werden, wenn dieser Kompromiss eins zu eins umgesetzt wird – das betone ich ausdrücklich –, diesen Kompromiss auch mittragen. Wir werden keine Koalitionskarte im Bundesrat ziehen. Das setzt allerdings voraus – das will ich auch klar sagen –, dass der Bundesinnenminister und Teile der CDU – da ist Wachsamkeit angesagt – diesen Kompromiss weder verwässern noch anschärfen. Das müssen die Beratungen in den nächsten Tagen zeigen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Herr Kollege Laschet, Sie haben vorhin – ich möchte das von Herrn Römer Ausgeführte fortsetzen – ein paar Punkte in unsere Richtung angesprochen. Ich finde schon, dass die CDU in der Asylpolitik tief gespalten ist. Wenn ich Herrn Strobls Bootsmetapher – das Boot ist nicht voll, aber es sitzen zu viele Falsche drin – höre, dann wird mir fast schlecht.
(Beifall von den GRÜNEN und Hans-Willi Körfges [SPD])
Auch der Versuch, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Situation, die in den Flüchtlingsunterkünften sicherlich nicht einfach ist, mit einem Clash of Civilization zu erklären oder damit, dass Mohammed möglicherweise schuld sei, dass ein wahrscheinlich wirklich frauenfeindlicher Imam Frau Klöckner nicht die Hand gegeben hat, geht nicht. Das ist doch nicht die Ursache dafür, dass es Auseinandersetzungen in Flüchtlingsunterkünften gibt, sondern das ist die Basis für eine Verschärfung der Debatte beim Thema Asylrecht. Das machen Sie ganz bewusst – nicht in Nordrhein-Westfalen, aber Frau Klöckner ist Bundesvize und Herr Strobl ist es auch. Die CDU hat eine klare Teilung zwischen guten Flüchtlingspolitikern und einer Kanzlerin, die versucht, ein humanes Asylrecht durchzusetzen.
(Armin Laschet [CDU]: Was macht denn der Oberbürgermeister in Duisburg? Sie sind immer nur einäugig!)
– Der Oberbürgermeister von Duisburg gehört nicht einmal meiner Partei an. Deswegen bitte ich um Verständnis, dass ich darauf jetzt nicht eingehe.
Herr Laschet, Sie müssen sich schon entscheiden – Sie stehen an einem Scheideweg –, ob Sie die Kampagne eines Volker Rühe aus den 90er-Jahren wiederholen wollen oder ob Sie die Kanzlerin unterstützen, die jetzt angegriffen wird. Die Kanzlerin wird von Herrn Seehofer als Wohlfühlsprechkanzlerin abgetan.
Und ich frage mich allen Ernstes, Herr Laschet, wo die eigenständige NRW-Position war, als Herr Orban in Bayern war.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
„The little dictator“ nannte ihn Jean-Claude Juncker, niemand geringeres als der jetzige EU-Ratspräsident.
(Armin Laschet [CDU]: Lesen Sie die Nachrichten!)
Herr Laschet, wo waren die Christdemokraten aus Nordrhein-Westfalen, um die eigenständige Position darzustellen: „Wir distanzieren uns sehr klar von dieser Art von Politik. Wir stehen hinter der Kanzlerin. Wir sind dafür, das Flüchtlingsthema zu bearbeiten und es nicht für Geländegewinne auszunutzen.“ – Das frage ich mich.
(Beifall von den GRÜNEN und von Hans-Willi Körfges [SPD])
Wer glaubt – dazu empfehle ich einen Blick in den „Stern“ vom heutigen Tage –, mit Parolen Stimmenfang machen zu können, der wird enttäuscht werden. 2014 hat Herr Seehofer bei der Europawahl der AfD die Stimmen zugetrieben. Jetzt ist es bereits so, dass die AfD in Bayern im Gegensatz zu den anderen Bundesländern offenkundig im zweistelligen Bereich zu finden ist. Es ist jetzt die Zeit, klare Kante gegen rechts zu zeigen und nicht Rechts hinterherzulaufen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Es ist jetzt die Stunde der Lösungen. Deswegen müssen wir diesem dritten Nachtrag im Landtag zustimmen. Wir müssen auch dafür sorgen, dass das Paket, das bei der Ministerpräsidentenkonferenz ausgehandelt wird, eins zu eins umgesetzt wird. Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir einen Schritt weiter.
Anschließend wird es weiter um die Integrationspolitik gehen. Ich bitte, dass daran alle mitarbeiten, auf dieser sachlichen Basis voranzukommen. Dann haben wir eine Chance, dieses Thema zu bewältigen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE] – Gegenruf von Christof Rasche [FDP])

Mehr zum Thema

Geflüchtete Menschen