Mehrdad Mostofizadeh: „Wir müssen präventiv handeln“

Antrag der SPD-Fraktion zur Schuldnerberatung

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin echt erschüttert, Herr Kollege Untrieser: Gestern haben Sie sich fünf Minuten lagen mit dem Aussehen von Robert Habeck befasst, und heute sagen Sie jemandem aus dem Essener Norden – 27 % der Menschen dort sind überschuldet –: Wir haben 45 Millionen Beschäftigte; im Schnitt geht es den Menschen in Deutschland doch gut. – Das ist doch kein Umgang mit Politik, was Sie hier anbieten!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Und selbst, wenn wir hier 30 Jahre regiert hätten: Sie müssen sich doch mal entscheiden, wo es langgehen soll.
(Dr. Christian Untrieser [CDU]: Sie hatten doch sieben Jahre die Möglichkeit dazu! Ich habe es doch ausgeführt! Sieben Jahre! Da ist doch nichts passiert!)
Die Kollegin hat doch gesagt: Es gibt zwei Bundesländer, in denen die CDU Mitantragsteller eines Antrages ist, der genau die Zielrichtung verfolgt, die SPD und Grüne hier mit ihrem Antrag verfolgen. Die Kolleginnen und Kollegen von der SPD haben den Antrag zuerst gestellt, und weil wir ihn richtig finden, sind wir heute Mitantragsteller geworden.
(Beifall von der SPD – Zurufe)
–  Vielleicht hören Sie mir einmal in der Sache zu. Gönnen Sie mir anderthalb Minuten. Und dann können Sie gucken, ob es vonseiten der Christdemokraten als führende Partei hier in diesem Landtag nicht doch klug wäre, sich dieser hochgradig wichtigen sozialpolitischen Frage anzunehmen.
Es geht um viele Millionen Menschen in diesem Bundesland. Weit über anderthalb Millionen Menschen sind ganz konkret von diesem Thema betroffen. Denen hilft es nicht, zu sagen: Hier hat sieben Jahr Rot-Grün regiert. – Die wollen Antworten von Ihnen haben und nicht immer dieses Getöse, was Sie hier abliefern!
(Beifall von der SPD)
Da passt es sehr gut, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass mir die Schuldnerberatungsstelle Essen gerade heute diesen Atlas hier durch Zufall vorgelegt hat. Noch einmal – ich habe es eben schon gesagt –: 27,2 % der Menschen in der Essener Innenstadt und genauso viele im Essener Norden sind überschuldet. Die haben nicht nur ein bisschen wenig Geld, sondern die sind strukturell überschuldet. Dieses Problem müssen wir angehen.
Frau Kollegin Blask, Sie haben einen ganz wichtigen Punkt gesagt, der von großem Interesse ist: Wir müssen präventiv handeln. Bei denen ist es fast schon – hoffentlich nicht! – zu spät. Da ist die Krise schon so groß, dass sofort interveniert werden muss, da kann nicht sechs Monate abgewartet werden.
Man sollte deshalb auch präventiv die Sache rangehen. Die Schuldnerberatung selbst doch sagt: Wir müssen die Faktoren in Angriff nehmen, die dazu führen: dass man zu viele Handyverträge abschließt, dass man sich etwas Unvernünftiges leistet, dass man sich vielleicht ein Auto kauft, was man sich nicht leisten kann, dass man sich insgesamt von manchen Dingen anstecken lässt oder dass man vielleicht einfach Pech hat. Sie haben da ein paar wichtige Punkte genannt. Eine Trennung – Ehetrennung oder Partnerschaftstrennung, wie auch immer die Konstellation vorher war – ist der wesentliche Faktor für eine Überschuldung, aber auch Wohnen kann dazu führen. Ich vermute mal – ich habe das jetzt nicht nachgeprüft –, dass das in Städten wie Köln, Bonn, Münster eine ganz entscheidende Rolle spielt.
Bitte lesen Sie, liebe Christdemokratinnen und Christdemokraten, den Antrag noch einmal durch. Es geht um eine systematische Frage. Es geht darum, die Schuldnerberatung und die Verbraucherinsolvenzberatung, die fachlich ein Gebilde sein müssen, zusammenzuführen, ihnen eine gemeinschaftliche rechtliche Grundlage zu bieten und die Finanzierung zusammenzuführen – genauso wie die Bayern es gemacht haben, genauso wie die Sachsen es gemacht haben und genauso wie andere Bundesländer auf dem Weg sind, das zu tun.
Den Antrag können Sie meinetwegen noch umstricken. Aber sorgen Sie dafür, dass die gesetzliche Basis geschaffen wird, dass es umgesetzt wird. Das Land muss die Finanzierung, die es ohnehin bereitstellt, systematisch so ausbauen, dass wir erstens ein flächendeckendes Angebot haben und zweitens die Kommune nicht sagt: „Wir können nicht mehr zahlen, dann muss das Land einspringen“, oder umgekehrt der Fall eintritt: „Das Land will nicht mehr zahlen, deswegen soll die Kommune einspringen“ oder aber ein Wohlfahrtsverband nicht mehr mitmacht. Das ist doch ein unwürdiges Spiel, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich habe viele von der CDU in der Kommunalpolitik kennengelernt. Die sind nicht so, wie Sie vorgetragen haben; die sind ganz anders drauf.
(Zuruf von der CDU)
Die wollen helfen, die wollen Sozialberatung machen, die wollen eine vernünftige Verbraucherinsolvenzberatung vorlegen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Setzen Sie sich mit denen zusammen, und dann kriegen wir hier ein vernünftiges Ergebnis hin. Ich finde das wirklich nicht mehr in Ordnung. Sie müssen Politik machen! Sie müssen die Verwaltung anweisen!
Und der letzte Satz, den ich Ihnen noch mitgeben will: Sie haben die Chronik nicht ganz vorgelesen. Wir haben noch im Jahr 2017, zwei Monate vor der Wahl, hier einen Antrag mit genau der gleichen Stoßrichtung vorgelegt. Ich könnte jetzt auch sagen: Warum hat die schwarz-gelbe Landesregierung nichts vorgelegt? – Das will ich doch gar nicht machen.
Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Ziel arbeiten; es ist richtig. Die CDU – zumindest diejenigen, die ich in den Kommunen kenne – sieht das ganz genauso. Halten Sie einen Parteitag ab, dann werden Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen vor Ort kennenlernen und eine vernünftige Entscheidung treffen. Stimmen Sie diesem Antrag zu! Es ist eine richtige Entscheidung. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)