Mehrdad Mostofizadeh: „Wir brauchen starke Kommunen, einen starken Klimaschutz und einen sozialen Zusammenhalt, der diesen Namen auch verdient“

Gesetzentwurf der Landesregierung zum Haushaltsplan 2021

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über den Landeshaushalt 2021 und den entsprechenden Entwurf dazu. Herr Kollege Löttgen hat gleich zu Beginn seiner Rede großes Feuer aufgefahren, indem er erklärte, was dieser Haushalt für die Kommunen angeblich bedeuten solle.
Lieber Herr Finanzminister, es ist schon ein einmaliger Vorgang, den wir hier beobachten müssen. Sie entnehmen über 9,7 Milliarden Euro aus dem Rettungsschirm, weitere 2 Milliarden Euro aus der Allgemeinen Rücklage, veruntreuen somit fast 12 Milliarden Euro und geben keinen Cent davon den Kommunen ab. Anstatt in die Zukunft zu investieren und die Kommunen zu schützen, lassen Sie die Menschen und die Kommunen in Nordrhein-Westfalen im Regen stehen. Das ist die Wahrheit über diesen Haushalt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Weil der Kollege Löttgen damit so fulminant angefangen hat, will ich jetzt zumindest auf drei, vier Punkte, was die Kommunen angeht, eingehen.
Wir haben im Haushalt 2020 noch eine Zuführung zum Stärkungspaktfonds in Höhe von 350 Millionen Euro. Früher waren es 440 Millionen Euro. Dieses Geld sparen Sie dauerhaft zulasten der Kommunen ein. Von einem Altschuldenfonds ist nichts zu sehen.
(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
Von einem Konzept ist nichts zu sehen. Der Ministerpräsident hat dies noch im Jahr 2019 als die wichtigste Aufgabe für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen postuliert. Sie sind an der Stelle völlig gescheitert.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration)
– Herr Minister Stamp, Sie sprechen gerade so freundlich in meine Richtung. Deshalb ein zweiter Punkt: Das Flüchtlingsaufnahmegesetz wartet seit drei Jahren auf eine Reform. Sie haben seit zwei Jahren ein Gutachten vorliegen. Ich habe in den Haushalt geschaut und mit Freuden festgestellt, dass Sie zumindest eine Summe hineingeschrieben haben. Die ist mit rund 110 Millionen Euro größer als im letzten Jahr. Das ist ungefähr das, was man braucht, um das Lenk-Gutachten für ein Jahr umzusetzen.
Ein Flüchtlingsaufnahmegesetz liegt dem Parlament nicht vor. Es liegt dem Parlament auch nicht vor, wie Sie mit den Geduldeten umgehen wollen. Es liegt dem Parlament nicht vor, wie Sie mit den Jahren 2017 bis 2020 umgehen wollen.
Nur zum Vergleich: In den Jahren 2016, 2018 und 2019 hat das Land 2 Milliarden Euro weniger für die Unterbringung von Geflüchteten ausgegeben. Hier sparen Sie erneut Milliarden zulasten der Kommunen ein. Das ist die Wahrheit, die man hier verkünden muss.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Was dem Ganzen die Krone aufsetzt, ist, dass Herr Löttgen für sich reklamiert, die 1 Milliarde Euro KdU-Entlastung sei quasi das Werk der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Erstens hat der Ministerpräsident einen anderen Vorschlag gemacht. Zweitens ist das samt und sonders Bundesgeld. Ich finde es schon ein Stück unverschämt, sich das so auf die Fahnen zu schreiben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Aber schauen wir uns an, was dieser Haushalt ansonsten bringt, Herr Kollege Rasche. Er müsste eigentlich Investitionen in die Zukunft bringen. Das, was die Kollegin Düker hier vorgetragen hat und was zitiert worden ist, halten wir für völlig richtig. Dieser Haushalt muss nämlich mit zwei Krisen umgehen, einerseits mit der Coronakrise, mit der Gesundheitskrise, und andererseits muss er den Kampf gegen die Klimakrise, die fortwährend besteht, berücksichtigen. Das kann man nur mit zielgerichteten Investitionen, und dazu bietet der Haushalt nur Ansatzpunkte.
(Beifall von den GRÜNEN)
Deswegen erlaube ich mir auch einen Blick auf das Krisenmanagement der Landesregierung in diesem Jahr. Die Krise hat nämlich die Menschen nicht alle gleich getroffen. Die Menschen sind unterschiedlich betroffen.
Wie schützt man denn Kinder, die man nicht sehen kann? Wie schützt man Menschen, die kein Home haben? Wohin sollen sie sich denn zurückziehen? Denken wir an die vielen Familien, die ihre Bekannten, Freunde, Mütter, Kinder in den Pflegeeinrichtungen, in den Behinderteneinrichtungen wochenlang nicht besuchen können. Familien sind verzweifelt aufgrund dieser Situation.
Wir müssen dafür Sorge tragen, dass eine solche Situation so nicht wieder auftritt. Dafür müssen wir alles tun. Wir müssen das Bestmögliche für die Menschen in diesem Land organisieren, damit wir sie einerseits schützen, für Gesundheitsschutz sorgen und andererseits dafür sorgen, dass sie zusammenleben können, sich begegnen können, dass die Wirtschaft funktioniert, dass die Schule funktioniert.
Das ist unsere Aufgabe und kein parteipolitisches Gezänk, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Deswegen haben wir von Beginn an gesagt, dass wir daran konstruktiv mitarbeiten. Wir haben uns sehr genau mit dem auseinandergesetzt, was die Landesregierung vorgelegt hat. Auch wir sind im lernenden Prozess, sind nicht die Besserwisser oder Besserredner.
Deswegen haben wir sofort, als das Pandemiegesetz der Landesregierung vorgelegt wurde, gesagt: Nein, ein solches Gesetz, das mit Zwangsrekrutierung, mit der Beschlagnahmung von medizinischen Apparaten arbeitet, geht mit uns nicht. Wir haben aber nicht einfach nur „Halali“ gerufen, sondern wir sind auf die Regierung zugegangen und haben erklärt: Wir machen ein besseres Gesetz. – Wir haben in intensiven Verhandlungen dafür gesorgt, dass die schlimmen Passagen herausgenommen wurden, dass ein Freiwilligenregister vorliegt.
Herr Gesundheitsminister, nutzen Sie es doch! Bauen Sie doch jetzt die Strukturen in den Gesundheitsämtern auf! Stärken Sie die Kommunen! Das Geld ist da. Sorgen Sie für Personal und für starke Strukturen vor Ort in Nordrhein-Westfalen!
(Beifall von den GRÜNEN)
Aber dann, kurz danach, musste der Ministerpräsident offensichtlich die Chance nutzen, und er hat die sogenannte Heinsberg-Studie vorgelegt. Ich habe überhaupt nichts gegen Studien, ganz im Gegenteil. Eigentlich müssten wir mehr Forschung betreiben, mehr wissenschaftliche Dokumentationen machen.
Aber es ging um etwas anderes. Es ging darum, einen PR-Gag zu landen. Es ging darum, die These der Landesregierung: „Wir müssen jetzt planlos öffnen“ zu unterstreichen. Dabei bot diese Studie überhaupt keinen Anlass dafür. Die sogenannte verantwortungsvolle Normalität, die Herr Laschet ausgerufen hat, wurde nicht hier in Nordrhein-Westfalen geklärt, sondern mit einer vernünftigen Struktur durch die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten Ende April dieses Jahres – eine klare Niederlage für den Landeschef Armin Laschet.
Ich frage mich auch, warum diese Landesregierung ihren Krisenstab nicht aktiviert hat. Jede staatliche und kommunale Ebene in Nordrhein-Westfalen – von der Bezirksregierung bis zu den Kommunen – hat einen Krisenstab aktiviert. Warum machen sie das? – Weil sie dafür sind, dass die Maßnahmen und die Risiken abgeschätzt werden, dass gleichzeitig eine einheitliche Kommunikation stattfindet.
Lieber Herr Ministerpräsident, stattdessen haben Sie eine Ersatzkommunikation in der Staatskanzlei angelegt. Das ist nicht sachgerecht, das ist keine gute Krisenstrategie.
(Beifall von den GRÜNEN und Christian Dahm [SPD])
Wir loben ausdrücklich den Umgang mit dem Expertenrat. Wir halten es für klug, so etwas zu machen. Besser fänden wir es allerdings, viel mehr im Parlament zu diskutieren, den Austausch zu suchen. Wieso haben wir denn Angst vor den Menschen in Nordrhein-Westfalen? Warum laden wir die Expertinnen denn nicht in die Runden ein? Wir haben 18 Millionen kluge Menschen. Die können doch mit uns diskutieren.
Wir können hier Beschlüsse fassen, und wir dürfen auch Fehler machen. Aber Herr Kollege Löttgen hat seine Rede ja selbst mit den Worten beendet: Wir müssen viel mehr erklären, was wir hier entscheiden. – Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, vermissen wir gerade bei der Landesregierung an vielen Stellen sehr intensiv.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Ein Beispiel für das Krisenmanagement ist die Schulpolitik. – Liebe Frau Gebauer, Sie rühmen sich heute in einer Pressemitteilung, wie super das alles laufe und wie früh Sie dran gewesen seien. Aber zusammenfassend muss ich sagen: Die Kommunikation stößt bei den Menschen, bei den Lehrerverbänden, bei den Schülerverbänden nicht nur auf Irritationen, sondern sie sind geradezu sauer. Sie sind nicht damit einverstanden, dass sie nachmittags Mails bekommen, die am nächsten Tag umgesetzt werden sollen, dass es einmal hü und einmal hott geht, dass der Ministerpräsident Ansagen von ihnen einsammelt.
(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
Der DigitalPakt Schule wird hier seit zwei Jahren diskutiert. Es wird seit zwei Jahren über die Digitalisierung der Schulen diskutiert, und Sie schaffen es nicht, das umzusetzen. Das ist doch wahrlich kein Ruhmesblatt für die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
– Auch damit, Frau Kollegin, gehen wir konstruktiv um.
(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
Wir machen Vorschläge für einen Plan B. Wir machen Vorschläge für andere Raumkonzepte, für eine Beschulung, wo es möglich ist …
(Zurufe von Henning Höne [FDP] und Franziska Müller-Rech [FDP])
– Herr Kollege, ist doch gut jetzt. Wir können im Schulausschuss weiterdiskutieren.
(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
– Wir machen Vorschläge, wie man es in den Schulen besser machen kann.
(Zurufe von Henning Höne [FDP] und Franziska Müller-Rech [FDP])
Die grüne Fraktion arbeitet konstruktiv und intensiv an den Themen mit. Sie können sich offensichtlich nur noch mit Schreien und Zwischenrufen aufhalten.
(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP] – Norwich Rüße [GRÜNE]: Oh, da liegen die Nerven aber blank!)
An der Stelle mache ich einen ganz klaren Vorschlag. Im Herbst und im Winter werden wir alle 20 Minuten stoßlüften müssen – alle 45 Minuten halte ich nämlich nicht für ausreichend. Entweder, Frau Ministerin, Sie teilen dann Pudelmützen mit dem NRW-Logo aus oder – das hielten wir für richtig – Sie führen das Programm „Gute Schule 2020“ fort und sorgen für eine gute Raumlufttechnik, für einen entsprechenden Umbau. Denn es lassen sich viele Fenster in den Schulen in Nordrhein-Westfalen nicht öffnen – auch aus Sicherheitsgründen nicht –, und das verschweigen Sie ganz offensichtlich der Öffentlichkeit.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Henning Höne [FDP])
Jetzt möchte ich noch auf zwei Vorgänge in der Fleischwirtschaft eingehen, bei denen das Krisenmanagement aus meiner Sicht nicht funktioniert hat.
Erst ist bei Westfleisch ein großer Ausbruch gewesen. Dann hat der Gesundheitsminister gesagt: Ja, geht raus und kontrolliert alle Betriebe in Nordrhein-Westfalen. – Keine vier Wochen später hatten wir einen großen Infektionsausbruch bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück.
Da fragt man sich natürlich schon, wie so etwas passieren kann. Wer wurde denn da wie untersucht? Viel wichtiger ist aber, dass es sich hier um ein System handelt – schon vor Corona –, das auf Dumpinglöhne setzt, das auf Werkverträge und Ausbeutung setzt, das auch darauf setzt, dass die Arbeit der Bäuerinnen und Bauern nicht geschätzt wird und dass Menschen, die aus dem Ausland zum Arbeiten zu uns gekommen sind, in unerträglicher Weise ausgenutzt werden. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss in Nordrhein-Westfalen ganz klar bekämpft und abgeschafft werden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Aber wie hat der Ministerpräsident reagiert? Er sagte: Das, was da in Rheda-Wiedenbrück passiert ist, hat nichts mit den Lockerungen zu tun. – Er hat es auf die Rumänen und Bulgaren geschoben. Warum hat er das so gesagt? – Weil er gerade dabei war, seinen Kurs der angeblich verantwortungsvollen Normalität umzusetzen. Ihm passte das einfach nicht ins Konzept. Er hat die ganze Schuld nach unten weggeschoben.
Das führte dazu, dass Tönnies seine Leute versorgen musste. Stattdessen hätte das Land einschreiten müssen. Die Kommunen hätten dort vor Ort versorgen müssen – medizinisch und personell.
Das haben Sie tagelang nicht getan. Dafür schäme ich mich ein Stück weit.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zum Thema „Testen“ hat Kollege Löttgen einige sehr wichtige Hinweise gegeben.
Ich habe es nicht ganz verstanden, Herr Gesundheitsminister Laumann, warum die Urlaubswelle so überraschend kam und warum Sie dann zugestimmt haben, dass alle Reiserückkehrerinnen und Reiserückkehrer anlasslos getestet werden sollen.
Denn eines muss man sagen: Wir haben trotz des Aufwuchses der Testkapazitäten nur begrenzte Möglichkeiten; im Moment sind wir bei 330.000. Wie wir an Bayern gesehen haben, sind die Labore da schon an der Grenze.
Wir müssen schon sehr genau sagen, mit welcher Strategie wir arbeiten. Wir Grüne sagen: Erst sollen diejenigen getestet werden, die besonders betroffen sind, beispielsweise in den Pflegeheimen, in den Gesundheitseinrichtungen, in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe, und dann diejenigen, bei denen es aufgrund der Risikolage notwendig ist. Eine solche Strategie haben Sie monatelang nicht vorgelegt. Jetzt ist es ein Stück besser geworden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch von der SPD, anlassloses breites Testen ohne klare Strategie lehnen wir Grüne ab. Wir brauchen eine klare Teststrategie, die dafür sorgt, dass besonders Betroffene geschützt werden können, dass die Tests vorliegen und dann immer weiter nach Risikolage durchgeführt werden können. Dafür setzen wir uns sehr eindeutig ein.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich möchte noch betonen, dass uns die Gastronomie in besonderer Weise am Herzen liegt. Sorgen Sie doch dafür, das dort durch ein Investitionsprogramm Möglichkeiten der Raumlüftung geschaffen werden können, dass die Erfassung der Menschen, die besonders wichtig ist – das ist ja keine Bestrafung, sondern die Menschen sollen geschützt werden –, digital und datenschutzgerecht passiert, um für eine bessere Nachverfolgung zu sorgen.
Aus meiner Sicht geht vom Landtag, von der Landesregierung eine völlig falsche Kommunikation aus. Helfen Sie der Gastronomie! Schaffen Sie eine Zukunftsperspektive! Die Innenstädte und Zentren brauchen die Gastronomie, sonst fallen weitere Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen weg.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich möchte hier auch die unmittelbare Verbindung zum Haushalt ziehen. Durch diese Krise müsste eigentlich allen klar sein, dass wir für einen schlanken Staat am Ende eine hohe Rechnung zahlen werden. Wir müssen dafür sorgen, dass die Strukturen für obdachlose Menschen dauerhaft verbessert werden. Wir müssen in den Städten dafür sorgen, dass die Gesundheitspolitik ebenso möglich ist wie der Aufbau starker öffentlicher Einrichtungen.
Statt die Standards für barrierefreie Wohnungen in der Landesbauordnung, wie es jetzt geplant ist, abzusenken, müssen wir für bezahlbaren Wohnraum und barrierefreie Wohnungen sorgen. Das ist die Aufgabe des Landes Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
An der Stelle möchte ich einen weiteren Punkt ansprechen, der offensichtlich viel mit Ideologie zu tun hat. Ausgerechnet die Arbeitslosenzentren wollen Sie jetzt nicht mehr bezuschussen. Wir reden gerade mal über einen Betrag von 1,2 bis 1,3 Millionen Euro. Es geht also nicht um Haushaltskonsolidierung. Die Menschen, die sich sowieso schon schwerer tun und isoliert sind,
(Zuruf von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales)
haben dann keinen Treffpunkt mehr. Aus der Finanzierung verabschiedet sich die Landesregierung. Das können wir überhaupt nicht verstehen.
Damit unmittelbar im Zusammenhang steht die soziale Beratung von Geflüchteten. Viele Tausend Menschen bangen jetzt um ihren Job, weil die Landesregierung offensichtlich das bisherige Prinzip der Subsidiarität und der Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden aufkündigen will. Warum machen Sie das? Was treibt Sie in einer so schwierigen Phase dazu, diese wichtigen Bestandteile aufzukündigen? Wir Grüne können das nur ablehnen und werden das in den Haushaltsberatungen auch deutlich machen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Natürlich spielt die Wirtschaft eine wichtige Rolle. Die Krise machte ja deutlich, dass es nicht gut ist, von Billiglieferanten abhängig zu sein. Centprodukte wie Masken oder auch Grundsubstanzen für Medikamente konnten nicht mehr geliefert werden. Da verwundert es schon, dass ausgerechnet das Lieferkettengesetz und andere Maßstäbe von der Landesregierung infrage gestellt werden. Wir brauchen mehr Unabhängigkeit und nicht weniger.
(Beifall von den GRÜNEN)
Auch die andere große Krise, die Klimakrise, ist nicht verschwunden. Der dritte Dürresommer in Folge hinterlässt seine Spuren. Ganze Fichtenwälder sind bedroht und kaputtgegangen. Die deutsche Buche – man möge sich das vorstellen – ist tatsächlich in Gefahr und an vielen Stellen davon bedroht, unwiederbringlich zu verschwinden. Ich will diese Liste nicht verlängern; man könnte noch über Kastanien und viele andere Dinge reden.
Doch die Erfahrungen aus der Krise haben noch etwas anderes gezeigt. Wir haben das Potenzial für die Umwelt, für das Klima und für eine Verkehrswende. Noch nie waren die Menschen mehr bereit, so viele Veränderungen auf sich zu nehmen. Sie sind solidarisch, sie nehmen die Maßnahmen an; da würde ich Herrn Löttgen sogar zustimmen.
Lassen Sie uns doch darauf aufbauen und das zum Fortschrittsmotor machen. Das dürfen wir nicht wieder links liegen lassen, sondern darauf werden wir uns sehr intensiv einstellen müssen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Aber was macht der Landeshaushalt? Die Unternehmen brauchen gute Rahmenbedingungen und die Zuversicht, dass sich Investitionen in Klimaschutz auch lohnen. Die öffentliche Hand hat natürlich die Aufgabe, mit gutem Beispiel voranzugehen, die energetische Sanierung von Gebäuden, die Auswahl des Fuhrparks oder die Beschaffung von Material klimagerecht durchzuführen. Dieser Vorbildfunktion kommt die Landesregierung jedoch leider nicht nach.
Bestes Beispiel ist Ihr Kampf, Herr Minister Pinkwart, gegen den dringend notwendigen Ausbau der Windenergie. An der Stelle betreiben Sie eine völlig fehlgeleitete ideologische Antiindustriepolitik.
(Beifall von den GRÜNEN)
Aber es lohnt auch ein Blick in den Haushalt 2021.
(Henning Höne [FDP]: Wie ist der denn …)
Herr Minister Laumann, Sie sagten am 1. April hier im Plenum:
„Wer nach der Krise nicht den Landesrechnungshof am Arsch hat, der hat alles verkehrt gemacht.“
Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Kollege Laumann: Auch der Umkehrschluss funktioniert leider nicht. Man kann sowohl vom Rechnungshof kritisiert werden als auch alles falsch machen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Das beweisen Sie mit diesem Haushalt nicht zum ersten Mal.
Ich möchte Ihnen ein Zitat aus Ihrer Zeit als Oppositionsführer vorlesen, Herr Ministerpräsident Laschet, das Sie hier vorgetragen haben:
„… keine neuen Schulden und eine Eindrittellösung bei den Steuermehreinnahmen. Das bedeutet Schuldenabbau, Investitionen und Entlastungen der Bürger.“
Vom letzten rot-grünen Haushalt 2017 bis zum Haushalt 2019 stiegen die Steuereinnahmen um 6 Milliarden Euro. Das würde bedeuten, dass 2 Milliarden Euro Schuldenabbau, 2 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen und 2 Milliarden Euro zusätzliche Entlastung bei den Bürgerinnen und Bürgern angekommen sein sollen. Was ist davon übrig geblieben? – Nichts.
Ende 2019 war der Schuldenstand ganze 100 Millionen Euro und nicht 2 Milliarden Euro niedriger. Wo ist die versprochene Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger?
Nehmen wir die Grunderwerbsteuer. Sie haben versprochen, die Grunderwerbsteuer zu reformieren. Von 2017 bis 2019 sind die Einnahmen sogar um eine halbe Milliarde Euro jährlich gestiegen. Selbst für das Jahr 2020 haben Sie Rekordeinnahmen von 4 Milliarden Euro erwartet. Sie hätten also um mehrere Milliarden Euro entlasten können. Aber nicht eine Familie ist um einen Cent entlastet worden.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Henning Höne [FDP])
Am schwersten wiegt jedoch, dass Sie nicht oder falsch investieren. Wir haben Sie im Jahr 2018 aufgefordert, einen Zukunftsfonds „Infrastruktur“ vorzulegen, um den milliardenschweren Sanierungsstau abzubauen. Wenn Sie das umgesetzt hätten, anstatt mit Bilanztricks zu arbeiten, wie es jetzt der Finanzminister macht – mit einem Griff in die Allgemeine Rücklage schönt er seinen Haushalt und veruntreut das Geld, das eigentlich für den Rettungsschirm zur Verfügung steht –, hätten wir besser sanierte Krankenhäuser, besser sanierte Schulen und einen anderen Zustand bei der Digitalisierung. All das haben Sie nicht gemacht, das haben Sie abgelehnt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Was machen Sie stattdessen? Schauen wir doch einmal in den Haushalt. Das Angebot von Herrn Löttgen nehme ich gerne an; denn Sie haben ja das Zitat bewusst manipuliert und verdreht.
Frau Kollegin Düker hat darauf hingewiesen, dass die Investitionsquote gerade mal von 10,2 % auf 10,3 % angestiegen ist, und zwar nicht, weil sie das für schädlich hält, sondern weil sie das für viel zu gering hält. Das war eine bewusste Verdrehung der Tatsachen, Herr Kollege Löttgen. Ich will das mit klaren Zahlen aus dem Haushalt belegen.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
Statt in die Zukunft zu investieren, kürzen Sie sogar. Sie kürzen 20 Millionen Euro bei der Energie- und Klimapolitik. Die Energie- und Klimafördermittel werden um 35 Millionen Euro gekürzt. Fördermittel für eine klimaneutrale Industrie der Zukunft werden komplett gestrichen. Genau das Gleiche passiert mit den Mitteln für urbane Energielösungen, die Sie angeblich voranbringen wollen. Was ist das für ein fatales Signal für eine klimagerechte Investitionspolitik in Nordrhein-Westfalen?
Wir schlagen Ihnen vor: Wir brauchen für die Kommunen eine verlässliche und substanzielle Unterstützung der Landesregierung für Investitionen in Klimaschutz und Klimafolgenanpassung.
Wir schlagen Ihnen vor, über zehn Jahre 500 Millionen Euro für die Nutzung erneuerbarer Energien und für Konjunkturimpulse in diesem Land auszugeben.
Wir schlagen Ihnen vor, Arbeitsplätze mit diesem Geld zu schaffen.
Wir schlagen Ihnen ferner vor, das Personal für diese Strukturen auszustatten, genauso wie Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und andere Bundesländer es gemacht haben.
Sie lassen die Potenziale des Klimaschutzes hier in Nordrhein-Westfalen leider auf der Straße liegen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Anstatt in die Dächer zu investieren und Photovoltaikanlagen darauf zu bauen, wie wir es Ihnen vorgeschlagen haben, haben Sie gerade mal eine einzige Photovoltaikanlage initiiert. Hier wird echtes Geld, das vom Bund bereitgestellt wird, das dem Klimaschutz nutzt, das für die Zukunft von Nordrhein-Westfalen wichtig wäre, nicht ausgegeben. Leider wird dadurch auch die Klimabilanz massiv verschlechtert, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Im Rahmen der Coronakrise im Frühjahr und im Sommer hat sich das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung massiv verändert. Es hat mehr Homeoffice gegeben, weniger Präsenzsitzungen. Dadurch wurden Dienstfahrten und viele andere Fahrten überflüssig.
Das Fahrrad erlebte einen fulminanten Zuspruch. Allerdings wurden diese Chancen von der Landesregierung nicht genutzt.
Wir brauchen jetzt einen Ausbau der Fahrradwege. Wir brauchen einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Wir brauchen einen Umbau hin zu klima- und menschengerechten Städten. Das nutzt nicht nur dem Klima, sondern auch den Menschen. Sie haben mehr Platz zum Leben, mehr Platz für die Gestaltung und mehr Platz für eine klimagerechte Verkehrspolitik.
(Beifall von den GRÜNEN)
In Großstädten werden immerhin 30 % der Treibhausgase vom Verkehr emittiert, insgesamt sind es 20 %. Was macht der Verkehrshaushalt? – Auch hier werden weiterhin falsche Prioritäten gesetzt; ich komme gleich zum Radwegeausbau.
Ja, es ist mehr Geld im Haushalt, aber in den vergangenen Jahren wurde dieses Geld nie verausgabt. Sie setzen weiterhin auf den Ausbau von Landesstraßen. Allein der umstrittene und überflüssige Ausbau der A3 von sechs auf acht Spuren kostet 59 Millionen Euro.
(Henning Höne [FDP]: Was ist daran überflüssig?)
Das ist mehr als für sämtliche Radwegeinvestitionen in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung steht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir werden morgen einen Antrag der Grünen-Fraktion zur Überprüfung des Bundesverkehrswegeplans diskutieren. Ich kann Ihnen nur sagen: Wer heute noch der Meinung ist, dass man so monströse Autobahnbauten wie die A52 durch Essen mit 1 Milliarde Euro Kosten planen kann, wer gleichzeitig nicht in der Lage ist, den öffentlichen Nahverkehr oder auch das Schienenprogramm des Bundes zu finanzieren, der setzt die falschen Prioritäten. Wir brauchen hier eine Umkehr. Wir brauchen einen starken öffentlichen Nahverkehr, starke Radwege und eine ganz neue Mobilität.
(Beifall von den GRÜNEN)
Jetzt könnte man ja davon ausgehen, dass auch an anderer Stelle der Rotstift angelegt worden ist. Der Kollege Kutschaty hat darauf hingewiesen, dass das mitnichten so ist. Nach meiner Rechnung sind es sogar 812 Stellen – aber vielleicht müssen wir noch einmal nachsehen, die Zahlen liegen ja nicht so weit auseinander –, die sich Herr Laschet und die Ministerien zusätzlich in den letzten Jahren genehmigt haben. Bei dem, was die Landesregierung hier vorlegt, kann ich nur sagen: von Bescheidenheit und Rückkehr überhaupt keine Spur
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt bietet keine Perspektive für eine Reform in Nordrhein-Westfalen. Er bietet nicht die Umkehr hin zu einer klimagerechten Bewältigung der Krise, sondern nur zögerliche Ansatzpunkte, was die Bekämpfung der Pandemie betrifft.
Deswegen werden wir die Haushaltsberatungen natürlich zum Anlass nehmen und eigene Vorschläge unterbreiten. Wir werden in den Haushaltsberatungen klarmachen, dass es eine Alternative zu diesem Haushalt gibt, der rückwärtsgewandt ist, der Mittelmaß ist, sozusagen das Maß der Mitte.
Wir Grüne werden deutlich machen: Das Land Nordrhein-Westfalen hat mehr verdient. Wir brauchen starke Kommunen, einen starken Klimaschutz und einen sozialen Zusammenhalt, der diesen Namen auch verdient. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)

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