Mehrdad Mostofizadeh: „Wir brauchen nicht nur Empathie für die Branche, sondern wir brauchen sehr klare Spielregeln“

Antrag der SPD-Fraktion zu Arbeitnehmerrechten

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen Vorwurf muss ich den Kollegen von den Sozialdemokraten an dieser Stelle vielleicht doch machen: Angesichts der Redebeiträge der Kollegen von CDU und FDP hätten wir es vielleicht doch in den Ausschuss überweisen sollen.
So wie Herr Lenzen hier argumentiert hat, spricht nur einer, der sich bei einem Thema ertappt fühlt, wo er nichts zu bieten hat, Herr Kollege Lenzen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Herr Schmitz, was ist denn das für ein Verweis auf den Bundesrat, wenn Sie sagen, wir sollten die Beratung im Bundesrat abwarten? Das ist doch kein parlamentarisches Gremium, son- dern die Kammer zur Koordination der Landesregierungen. Dazu bedarf es einer Positionierung dieser Landesregierung in Nordrhein-Westfalen.
 (Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Nachdem ich Sie beide gehört habe, gibt es ja offensichtlich materiell massive Unterschiede. Die FDP sagt: Wir brauchen überhaupt keine Verschärfung. Wir brauchen nur den Bundesfinanzminister ein bisschen anzuschwärzen, dass er die Finanzkontrolle anspitzen soll; ansonsten ist alles prima.
Herr Kollege Lenzen, sonst müssen wir offensichtlich von dornigen Chancen sprechen, wie Herr Lindner das hier immer vorgetragen hat. Das ist nicht unsere Politik. Hier muss etwas getan werden. Hier sind die Ärmsten der Armen betroffen. Hier müssen wir handeln.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich komme noch mal auf das zurück, was Kollege Dudas gesagt hat: Wir sprechen über Arbeitsverhältnisse, von Menschen, die aus dem Ausland – zum Teil mit Touristenvisum – ein- reisen, sich bis zu drei Monate hier aufhalten, in ihrem Bus schlafen müssen, nach wenigen Monaten ohne Sprachkenntnisse wieder zurückreisen, 1.000 Euro pro Monat verdient haben und mit dieser Art der Arbeit – das muss man auch dazu sagen – den ganzen Markt kaputt- machen.
So geht das nicht. Da dürfen wir nicht wegsehen. Da müssen wir handeln, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der SPD: Genau!)
Ich hatte mir als einen wichtigen Punkt, Herr Kollege Lenzen, wirksame Kontrollen aufgeschrieben. Wenn wir das ernst meinen, muss der Bund natürlich auch mehr bei der Finanzkontrolle machen – gar keine Frage.
Aber natürlich haben wir auch als Land Möglichkeiten, hier reinzugehen. Die Bezirksregierungen kontrollieren selbstverständlich auch. Wenn es dort Hinweise gibt …
Offensichtlich gibt es die ja schon, wenn man einfach nur an diesen Unternehmen vorbeiläuft. Da muss man ja gar nicht die Unterlagen prüfen. Man sieht ja schon, wenn sich die Fahrer auf den Parkplatz stellen, die Gardinen runterziehen und dann schlafen gehen, dass da was schieflaufen muss.
Da dürfen wir doch nicht wegsehen, Herr Arbeitsminister Laumann. Da müssen wir einschreiten und mitmachen, damit das eben nicht gemacht wird.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich will das noch ergänzen. Kollege Dudas hat ja einige Zahlen dazu genannt, über welches Phänomen wir an der Stelle sprechen. Sie sprachen etwas vorsichtig von überwiegend von abhängig Beschäftigten.
Die Größenordnung ist: Ganze 6 % der Paketzustellerinnen und -zusteller arbeiten in Vollzeit – 6 %. Alle anderen sind scheinselbstständig, teilzeitbeschäftigt und minderbezahlt.
Allein bei den Stichprobenkontrollen ist herausgekommen: Mindestens 20 % sind ganz klar tarifwidrig und arbeitsgesetzwidrig beschäftigt. Das ist die Situation, die wir schwarz auf weiß haben. Wahrscheinlich sieht es noch viel schlimmer aus, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Was hält Sie denn davon ab, die Nachunternehmerhaftung einzuführen? Selbst ordnungspolitisch ist doch überhaupt nicht nachzuvollziehen, was CDU und FDP hier vortragen. Wir haben doch das Beispiel aus der Fleischbranche, in der das mit Zustimmung der CDU gemacht worden ist.
Bei den Paketzustellerinnen und Paketzustellern soll das nicht gehen? Was hält Sie denn davon ab? Reiner Populismus? Die Europawahl? Schlechtes Wetter? – Ich verstehe das überhaupt nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Handeln Sie an der Stelle.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dass alle, die in dem Bereich fachlich unterwegs sind, relativ einer Meinung sind, zeigt doch ein Blick nicht nur in die Literatur, in die Gewerkschaftsszene, sondern auch schlichtweg in die Zeitung. Jeder Zeitungsbericht, der sich damit auseinandergesetzt hat, kommt zu ähnli- chen Ergebnissen, was die Schwere des Problems betrifft. Alle kommen zu dem Ergebnis, dass wir die Haftung natürlich auf die Unternehmer abwälzen müssen.
Natürlich muss es auch eine Dokumentationspflicht geben, Herr Kollege Lenzen, denn wenn das Geschäftsmodell nur so funktioniert, dass man diese Preise nur ohne Dokumentation halten kann, ist etwas faul bei diesem Geschäftsmodell. Dann geht das Geschäftsmodell möglicherweise nicht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Es ist für mich kein Gewinn an Digitalisierung, wenn man jeden Tag drei Pakete bestellen kann und fünf Pakete wieder zurückschickt. Das ist kein nachhaltiges Geschäftsmodell. Wenn das nur auf den Knochen der Beschäftigten zu bezahlen ist, dann ist das falsch. Dann gehört das hier nicht rein.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor einigen Jahren noch, Herr Minister Laumann, als Sie als junger Abgeordneter – Sie erzählen ja immer so schön aus der Vergangenheit – tätig waren, haben noch Beamtinnen und Beamte Pakete zugestellt.
Ich will überhaupt nicht in diese Zeit zurück, aber wenn Unternehmerinnen und Unternehmer die Paketzustellung und dieses Geschäftsmodell – ich wiederhole mich da, aber das ist mir wichtig – nur deswegen darstellen können, weil sie Löhne von unter 5 Euro die Stunde zahlen können und es ansonsten nicht darstellbar ist, ist etwas nicht in Ordnung.
Wir Grüne fordern erstens eine andere gesetzliche Grundhaltung, zweitens mehr Kontrollen – natürlich gerade beim Bund, natürlich muss der Zoll da reingehen – und drittens ein klares Hinsehen der Öffentlichkeit, statt zu sagen: Da sind ein paar Chancen, die sollten wir nicht kaputtreden. – Wir müssen hier handeln. Da schließen wir uns dem Antrag der SPD an.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt doch kaum einen Bereich, in dem es so dramatisch ist wie bei den Paketzustellern. Lassen Sie uns handeln. Schließen wir uns der SPD an diesem Tag an.
Dann müssen Sie in der Großen Koalition auch einfach mal aus dem Quark kommen und nicht immer vor der Europawahl eine Pirouette nach der anderen drehen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Arbeitsminister Laumann, Sie haben hier am Pult ausgeführt, nach Ihrer Auffassung müssten die gesetzlichen Regelungen für diesen Bereich den für die Fleischbranche geltenden Bestimmungen angeglichen werden. Da kann ich Ihnen nur sagen: Dann muss das Parlament diesem Antrag zustimmen; denn genau das ist der Gegenstand der heutigen Auseinandersetzung.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Der zweite Punkt ist allerdings – ich habe bei der Debatte nämlich sehr genau zugehört –, dass Kollege Lenzen von der FDP etwas anderes vorgetragen hat. Er hat nämlich gesagt, wir bräuchten keine gesetzlichen Änderungen, sondern nur mehr Kontrolle.
(Jochen Ott [SPD]: So ist es!)
Am Ende eines Bundesratsverfahrens kann also stehen, dass Herr Laumann eine aus meiner Sicht nachvollziehbare Meinung hat, diese Landesregierung sich im Bundesrat aber enthält. Das ist doch der Punkt, über den wir hier heute reden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Gordan Dudas [SPD]: Das isoliert den Minis- ter!)
Eines will ich noch einmal sehr deutlich machen, Herr Minister Laumann. Wir brauchen nicht nur Empathie für die Branche, sondern wir brauchen sehr klare Spielregeln. Angesichts der Zahlen, die Sie selbst vorgetragen haben – Sie erwähnten 91 % Beanstandungen –, brauchen wir eine sehr klare Kante gesetzlicher Art und bei der Kontrolle. Sie können sich doch nicht dahinter verstecken, dass im Antrag die Kontrolle nicht angesprochen wird. Sorgen Sie also bei Ihren Kolleginnen und Kollegen dafür, dass es zu mehr Kontrolle kommt, dass die Landesregierung entsprechenden Druck im Bundesrat ausübt und dass diesem Antrag hier heute zugestimmt wird. Dann hätten wir eine klare Linie und nicht die Herumeierei, die Sie hier präsentiert haben. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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