Mehrdad Mostofizadeh: „Wir brauchen eine Bürgerversicherung“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zur Gesundheits- und Pflegeversorgung für Nordrhein-Westfalen

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Immerhin hat Frau Kollegin Schneider ihre Rede mit einem wichtigen Bekenntnis zur privaten Krankenversicherung enden lassen und damit das ideologische Fundament, das uns hier im Landtag teilt, noch einmal hart in diesen Landtag hereingerammt.

(Zuruf von der SPD: Genau! Ganz richtig!)

Das ist fast schon Hohn, wenn Sie sich die letzten Wochen und Monate angucken: Ohne die gesetzliche Krankenversicherung wäre fast keine Maßnahme, die der Bundesgesundheitsminister angeordnet hat, administrierbar gewesen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Susanne Schneider [FDP])

An einer Stelle, als es um die Impfung ging, war ich fast schon amüsiert. Ich fand es auch nicht fair, dass die privat niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte nicht impfen durften. Da waren sie einmal systematisch benachteiligt.

Ansonsten wurden auf dem Rücken der gesetzlich Versicherten viele Maßnahmen durchgesetzt, die erst im Nachhinein mühsam durch den Bundeshaushalt nachfinanziert worden sind.

Aber ich finde, diese Debatte brauchen wir jetzt nicht zu führen. Ich finde es auch fast schon albern, wenn Sie darauf abstellen, dass es um die Beschäftigten in der privaten Krankenversicherung gehen würde.

(Zuruf von Susanne Schneider [FDP])

Da schließe ich mich ausdrücklich an. Wir brauchen eine Bürgerversicherung; das ist überhaupt gar keine Frage. Wir brauchen auch viel mehr Solidarität im Versicherungssystem.

Warum hat denn der Bundestag mit den Stimmen von CDU und SPD Pflegedeckel beschlossen? – Weil das System nicht funktioniert, weil die Menschen überlastet sind. Da müssen wir deutlich nachbessern.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich fand zwei andere Punkte symptomatisch für die bisherige Diskussion. Peter Preuß hat in seiner Rede die ganzen Wohltaten, die es in Nordrhein-Westfalen gibt – ich will durchaus konstatieren, dass es da einiges gibt und es auch Fortschritte gibt – aufgezählt.

Aber, Herr Kollege Preuß, ist das allen Ernstes Ihr Blick auf diese Situation? Sind Sie der Meinung, dass in der Pflege alles in Ordnung ist, dass das Gesundheitssystem funktioniert? – Das kann doch nicht wahr sein. Da sind wir offensichtlich in zwei unterschiedlichen Welten unterwegs.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich will noch einen zweiten Punkt, den Kollege Preuß angesprochen hat und der uns offensichtlich fundamental von der Sichtweise der CDU-Gesundheitspolitik unterscheidet, sehr deutlich markieren: Gesundheitspolitik ist nicht reine Versorgungspolitik.

Herr Kollege Preuß hat wörtlich gesagt: Gesundheitspolitik ist gute Versorgung. – Nein, Gesundheitspolitik ist Prävention, gute Aufklärung, gutes Wissen der Patientinnen und Patienten. Gesundheitspolitik heißt auch, Stadtentwicklung zu machen, Versorgung vorzuplanen, die Menschen gar nicht erst krank werden zu lassen. Das ist ein völlig verkürzter Blick, den Sie heute an den Tag gelegt haben, Herr Kollege Preuß.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Aber so richtig ich den Antrag der Kolleginnen und Kollegen der SPD in der Analyse finde, muss ich doch sagen, dass da noch sehr viel Luft nach oben ist. Deswegen ist es gut, dass heute nicht abgestimmt wird, sondern der Antrag in die Beratung geht.

Ich will mit dem kritischsten Bereich anfangen und dann auf ein paar Punkte eingehen, bei denen wir gemeinsam noch ein bisschen nacharbeiten können.

Stichworte „Pflegekammer“ und „Pflegeberufe“: Ich weiß nicht, warum hier im Landtag diese Pflegekammer von Ihrer Seite noch immer madig geredet wird. Das nutzt weder den Beschäftigten, den Gewerkschaften, noch nutzt es der Pflege. Es führt zu einem Stillstand, zu einem völlig unnötigen Aufhalten einer Entwicklung, die nicht aufzuhalten ist. Vielmehr muss sie gut werden und dazu führen, dass wir in Nordrhein-Westfalen klare und gute Maßstäbe in der Berufspolitik und in der Ausgestaltung der Pflege bekommen.

Hören Sie damit auf! Ich kann das echt nicht mehr hören! Ich finde das falsch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.

(Beifall von den GRÜNEN, Peter Preuß [CDU] und Henning Höne [FDP])

Sie wissen ganz genau, dass die Grünen Kritik am Kammersystem üben, aber das lenkt doch von den eigentlichen Problemen ab. Natürlich müssen die Gewerkschaften für Tariflöhne und für eine gute Entlohnung sorgen. Deswegen müssen wir den Gewerkschaften auch den Rücken stärken, und deswegen ist es auch gut, wenn Hubertus Heil sich dafür auf Bundesebene einsetzt. Auch wenn sich der Minister hier verbal klar positioniert, sind das doch Gefechte, die uns nicht weiterbringen.

Viel wichtiger sind doch andere Punkte, die Sie angesprochen haben: Wie ist das mit der Krankenhausversorgung? – Immerhin gibt es auch da einen Fortschritt in Ihrem Antrag, nämlich wenn Sie sagen, Sie seien nicht mehr für die komplette Abschaffung der Kinder- und Jugendmedizin, sondern für eine Weiterentwicklung. Da hat die Anhörung offensichtlich zu einer Klärung beigetragen.

Im Antrag fehlt mir insgesamt ein anderer Blick. Die Analyse ist in weiten Teilen richtig, aber beim Stichwort „Krankenhausplanung“ geht es nicht um die kleinen Krankenhäuser, die geschlossen werden sollen, sondern es geht darum, den ländlichen Raum zu stärken. Sie haben da einige richtige Punkte angesprochen: Telemedizin, eine gute Vernetzung, eine Hochklassenmedizin im ländlichen Bereich möglich zu machen.

Das wird aber nicht gehen, wenn wir alle Standorte so lassen, wie sie sind. Das funktioniert weder von den personellen noch von den organisatorischen Kapazitäten her. Wir müssen konsolidieren, wir sollten mit geradem Rücken konsolidieren, und wir sollten die Bedingungen für eine bessere Versorgung klar benennen.

Ich erlebe es in meiner Heimatstadt Essen hautnah. Es ist doch nicht vernünftig, Fragen der Diabetes, der Gesundheitsversorgung, der vulnerablen Stadtteile mit einem Krankenhaus zu beantworten, was über Bedarf ist, und gleichzeitig die Fragen der Stadtentwicklung, der Gesundheitsprävention und alles, was Sie richtig aufgeschrieben haben, zu vernachlässigen und die Kommunen damit alleine stehen zu lassen. Da muss man sich schon entscheiden, sowohl bei der Krankenhausplanung als auch bei der Stadtentwicklungsplanung in der Gesundheitsversorgung vor Ort.

Ansonsten entlasten Sie diesen Gesundheitsminister, der viel versprochen hat. Ich bin sehr gespannt, wie gerade sein Rücken bleiben wird, wenn jetzt Bundestagswahlen und im nächsten Jahr die Landtagswahlen anstehen. Ich bin nicht mehr ganz so sicher, ob das, was zusammenkommen muss, zusammenkommt, nämlich einerseits für Prävention zu sorgen an Standorten, die aufgrund von pandemischen Lagen als Redundanz vorhanden sein müssten, und andererseits die Profilierung der Krankenhauslandschaft, wie sie aus meiner Sicht kommen muss. Ich bin sehr gespannt, welche Entwürfe der Minister dazu vorlegen wird.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, mir ist Ihr Blick auch zu individualistisch angelegt – zumindest in diesem Antrag. Ich glaube, bei Ihnen steckt mehr Substanz drin, auch weil ich auf Bundesebene und an anderen Punkten dazu mehr gehört habe. Aber wir dürfen nicht nur die individuelle Gesundheitsleistung sehen, sondern müssen vielmehr das Starkmachen der Bevölkerung viel mehr in den Blick nehmen. Das 90a-Gremium kommt in Ihrem Antrag gar nicht vor. Auch die verbindliche Pflegeplanung für die Kommunen und die Patientinnenzentrierung, also die Patientenmitspracherechte, müssten klarer ausformuliert werden.

Ich möchte noch zwei Hinweise geben. Auch beim Stichwort „geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung“ und bezüglich dessen, wie Kinder- und Jugendversorgung konkret stattfinden soll, bleiben Sie an wesentlichen Stellen vieles schuldig. Ich will das hier gar nicht durchdeklinieren.

Ich schlage vor, da ich das Thema und auch die Facetten dieses Themas für sehr wichtig halte, dass wir nicht in das Ritual verfallen sollten, wie es Peter Preuß und in Teilen auch Frau Schneider angelegt haben, zu sagen, wir machen schon alles super, die Pflege ist großartig und wir müssen nichts tun. Das, was die Sozialdemokraten dagegengesetzt haben, nämlich wesentliche Punkten ritualisiert abzuschwächen, würde ich nicht tun.

Lassen Sie uns vielmehr in den Ausschüssen genau über diese Facetten des Antrags sprechen. Dann kann es zu einer Verbesserung der Gesundheitspolitik hier in Nordrhein-Westfalen kommen. Denn wir haben viel Verantwortung, die wir auch tragen müssen – nicht nur gegenüber Demonstranten, sondern weil es eine ganz zentrale und wichtige generationenübergreifende Gerechtigkeitsaufgabe ist, die wir lösen müssen.

Wir Grüne würden uns gerne daran sehr intensiv beteiligen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin, Sie werden darauf achten. Vielen Dank. – Ganz kurz nur, Herr Kollege Neumann: Der eine Punkt hat mich natürlich schon dazu gebracht, mich noch einmal ans Redepult zu begeben. Ich habe mich bemüht, hier eine sehr differenzierte Rede zu halten, und habe viele Punkte aufgegriffen. Das hat offensichtlich dazu geführt, dass Sie noch einmal persönlich werden mussten. – An zwei Stellen möchte ich etwas klarstellen.

Sie haben in Ihrem Antrag an ganz vielen Stellen offengelassen, wie Sie es tun wollen. Das 3-Milliarden-Euro-Programm zur Krankenhausfinanzierung lasse ich einmal beiseite. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir in der alten Koalition um 5-Millionen-Euro-Beiträge gestritten haben, als es mehr fürs Krankenhaus geben sollte. Sie formulieren allgemein: Wir wollen die private Pflege stärken. – Die SPD bleibt aber schuldig, wie es dann geschehen soll. Das gilt auch für viele andere Punkte.

Es stimmt aber nicht, dass wir die Krankenhausplanung der Landesregierung mittragen und dass ich mich nur um den Essener Norden kümmere. Gerade da machen wir nämlich den Rücken gerade. Die Sozialdemokraten machen sich hingegen vom Acker. Sie machen dann nämlich beides: Sie sagen, sie seien für das Krankenhaus, das nicht finanziert werden kann – das würde die Stadt Essen 300 Millionen Euro kosten –, und stimmen gleichzeitig einem CDU/Grünen-Antrag zu, in dem steht, dass man all das, was mit Prävention zu tun hat, irgendwie auch machen solle, unter anderem auch Gesundheitslotsinnen und ‑lotsen.

(Zuruf von Frank Müller [SPD])

– Ihr müsst euch schon entscheiden, Frank Müller. Ihr müsst euch in Nordrhein-Westfalen schon entscheiden: Wollt ihr eine faire Krankenhausverteilung mit kompetenten Medizinerinnen und Medizinern,

(Beifall von Dr. Ralf Nolten [CDU] – Zuruf von Sven Wolf [SPD])

oder wollt ihr populäre Politik vor Ort machen? Ich fürchte, ihr entscheidet euch immer für das Letztere. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Mehr zum Thema

Gesundheit