Mehrdad Mostofizadeh: „Wir bräuchten eine Sozialversicherung, die solidarisch ist und insgesamt den Beschäftigten hilft“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zur Pflege

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion freut sich so sehr auf meinen Beitrag, dass Sie direkt mit unfairen Anschuldigungen meiner Person gegenüber in den Beitrag einsteigt; vielen Dank dafür auch.

(Thorsten Klute [SPD]: Ach komm! – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Zu sagen „Jetzt wird’s sachlich“, kann man nicht unbedingt als unfair betrachten!)

Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass das, was im Antrag der SPD niedergelegt ist, in – ich habe es nachgezählt – sechs Drucksachen an anderer Stelle schon mal komplett diesem Landtag vorgelegen hat.

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Es ist aber noch nicht umgesetzt worden!)

Es ist ein Sammelsurium von bekannten Hinweisen der SPD,

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Nichts Neues!)

die nichts Neues bringen und auch die Pflege in Nordrhein-Westfalen nicht 1 cm nach vorne bringen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Allerdings schafft es die SPD erneut – im Antrag nicht zu lesen, jetzt aber in der Rede vom Kollegen Klute vorgetragen –, solche Punkte wie „die Pflege brennt lichterloh“ … Sie haben sehr wohl auf die Demonstration hingewiesen, nämlich in der Einleitung Ihres Antrags, wobei man sich schon fragen muss, was die Demo bei allem Respekt vor den Leuten, die dort demonstriert haben, in der Sache mit den Pflegepunkten zu tun hat. Die anderen Punkte, die dort verhandelt worden sind, kann ich sehr gut verstehen.

Da Sie immer sagen, wir sollen nicht immer auf den Bund schielen und nicht aufs Land, muss ich zumindest einige Bemerkungen machen: Die Pflegeversicherung in Deutschland ist nun mal ganz allein Bundessache. Da habe ich auch eine ganz klare Position, möglicherweise sogar verschärft gegenüber der, die die SPD im Bund vorträgt: Ich halte die private Pflegeversicherung, so, wie sie in Deutschland besteht, für nicht in Ordnung. Es gibt sie auch nur deshalb, weil die Hälfte der privatversicherten Menschen im öffentlichen Dienst als Beamtinnen und Beamte tätig ist und sich das quasi nicht aussuchen kann.

(Thorsten Klute [SPD]: Da sind wir uns einig!)

Dieses Modell ist ein absolutes Auslaufmodell. Wir bräuchten eine Sozialversicherung – nicht nur Pflege, da ist es noch am einfachsten, das umzustrukturieren, sondern auch eine Krankenversicherung –, die solidarisch ist und insgesamt den Beschäftigten hilft.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

In der Pflege – das will ich an der Stelle auch noch mal sagen – ist es tatsächlich dramatisch, weil diejenigen, die über die Beihilfe und privat versichert sind, sich im Zweifel einen Pflegeheimplatz leisten können. Alle anderen, die normal versichert sind und durchaus ein Leben lang gut eingezahlt haben, werden fast immer … Jetzt ist es durch den Deckel etwas besser geworden, aber viele Jahre lang sind sie immer zumindest nach gewisser Zeit zu Taschengeldempfängerinnen und ‑empfängern geworden, was unwürdig ist; das ist völlig richtig.

Jetzt zu den Punkten, die in Ihrem Antrag stehen. Kollege Klute, mich ärgert schon, dass Sie sich so billig vom Acker machen. 18,5 Jahre haben hier in Nordrhein-Westfalen keine Sozialdemokratinnen oder Sozialdemokraten im Gesundheitsministerium gesessen. Sie wissen ganz genau, dass Koalitionen immer nur so funktionieren, dass beide Partner mitmachen müssen.

Aber auch das Bild von der Pflege und der Gesundheitspolitik in Nordrhein-Westfalen ist völlig verzerrt – da komme ich auf ein paar einzelne Punkte zurück –: Die Zahl der Ausbildungsplätze in der Pflege sind in keinem anderen Bundesland so sehr gestiegen wie in Nordrhein-Westfalen: von 10.000 fast verdoppelt.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Allein in den letzten drei Jahren noch nach altem Recht – ich habe es mir extra herausgeschrieben – ist ihre Zahl in Nordrhein-Westfalen um 25 % angestiegen. Ausgerechnet das einzige Jahr, in dem es in Nordrhein-Westfalen ein bisschen heruntergeht, zitieren Sie dann, ohne das in den Kontext zu setzen. Nordrhein-Westfalen ist, obwohl wir das größte Flächenland sind, das stärkste Ausbildungsland in der Pflege überhaupt. Wir sind die Besten ever. Das finde ich schon eine absolut verzerrte Darstellung, wie Sie es hier machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Sie vergessen etwas völlig – das spricht auch ein bisschen für ein Bild, wie Pflege zu organisieren ist –: Sie sprechen davon, dass die Landesregierung ein Programm gegen Gewalt in der Pflege auflegen soll. Warum denn das? Warum denn nicht die Pflegekammer? Die ist fachlich zuständig und kann von unten heraus diese Konzepte entwickeln.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Natürlich vergessen Sie die immer, weil Sie die Pflegepersonen überhaupt nicht in Ihren Konzepten mitdenken.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Widerspruch von der SPD)

In dem ganzen Kontext – Sie haben es in der Rede zumindest angedeutet – ist von häuslicher Pflege, die zu 80 % von Menschen ohne pflegerische Ausbildung, nämlich von Angehörigen, gemacht wird, fast nichts gesagt. Sie haben nichts zu Konzepten zur Gesundheitsregion gesagt. Sie haben nichts dazu gesagt, wie man präventiv vorgehen kann. Was ist mit verbindlicher Pflegeplanung? Was ist mit den Kommunen? Der größte Akteur in der Pflege sind die Kommunen in Nordrhein-Westfalen –

(Thorsten Klute [SPD]: Das stimmt nicht!)

kein Wort in diesem Antrag, kein Wort in Ihren Reden dazu. Aus meiner Sicht ist es fachlich mindestens überschaubar, was Sie hier wieder abliefern.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Dann komme ich zu einem Kernpunkt. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie sich haben provozieren lassen. Gestern gab es eine durchaus beeindruckende Pressemitteilung vom finanzpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion. Dieser Antrag schreit ja wieder danach: 80 Millionen Euro mehr für den Pflegerettungsschirm. – Kollege Klute sprach gestern von Milliarden mehr für die Krankenhausfinanzierung, die ja aus unserem Haushalt kommen müssen.

(Thorsten Klute [SPD]: 2 Milliarden Euro!)

Gleichzeitig klagen Sie gegen den laufenden Haushalt 2023, in dem genau diese Mittel bereitgestellt werden. Dann kriege ich diese Pressemitteilung in die Hand. In der Pressemitteilung steht – ich übersetze das mal in meine Worte –: Die Notlage für Nordrhein-Westfalen besteht gar nicht. Die Lage hat sich zum Ende des Jahres deutlich verbessert. Deswegen gibt es gar keine Notlage in Nordrhein-Westfalen.

Gleichzeitig stellt der Bundesfinanzminister aber einen Nachtragshaushalt mit der Begründung auf, dass in Deutschland sehr wohl eine Notlage besteht, weil Nord Stream 2 kaputt ist und wegen ein paar anderer Punkte. Nordrhein-Westfalen steht wirtschaftlich mit Blick auf die Grundstoffindustrie aufgrund dieser Energieereignisse deutlich stärker unter Druck als der Bund. Wollen Sie mir allen Ernstes erklären, dass in Deutschland die Notlage besteht, aber in Nordrhein-Westfalen nicht? Ist das die Meinung der SPD von Nordrhein-Westfalen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Sie haben dann auch noch die Frechheit, zu sagen, wir wollten ja gar nicht die Hilfsprogramme, die wir in dem Programm abgebildet haben und die jetzt natürlich verausgabt sind, behindern. Deswegen haben Sie nicht den Sofortvollzug bei der Klage beantragt, sondern darauf gesetzt, dass sie erst nach Abschluss des Haushaltsjahres besetzt werden.

(Jochen Ott [SPD]: Das ist wirklich dreist!)

Das ist doch so was von unseriös, was Sie da machen.

(Jochen Ott [SPD]: Eure Bank hat erklärt, es gibt keine Notlage! Lächerlich ist das!)

Es ist peinlich und einer Ersatzregierung, die im Wartestand ist, überhaupt nicht würdig, was Sie hier abliefern.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Das macht …

(Jochen Ott [SPD]: Die NRW.BANK hat erklärt, es gibt keine! Das ist eure Bank! – Zurufe von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD] und von Thorsten Klute [SPD])

– Ich habe bei der SPD offensichtlich einen Nerv getroffen.

Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass – das ist die Politik der SPD.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die SPD-Fraktion ist nicht in der Lage, die Probleme Nordrhein-Westfalens auch nur ansatzweise zu lösen.

(Jochen Ott [SPD]: Peinlich!)

Das machen Sie immer wieder deutlich, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Jochen Ott [SPD]: Peinliche Rede! – Zuruf von Thorsten Klute [SPD])

Was mir inhaltlich zum Beispiel auch fehlt: Sie sprechen immer wieder von der GemeindeschwesterPlus, ohne irgendetwas Neues dazu zu sagen. Sie haben das jetzt zum achten Mal aufgetischt. Wir hatten zwei Anhörungen dazu, bei denen jeweils herauskam, dass fast alle Expertinnen und Experten darauf hinweisen, dass das nicht das richtige Modell ist, wir eher auf Community Health Nurses setzen und die Primärversorgung stärken müssen und dass in Berlin auch ein Berufsbild abgebildet werden müsste. Das wäre im Übrigen eine gute Idee für Herrn Lauterbach. Die Grünenfraktion steht gerne helfend zur Seite, wenn es da fachliche Fragen gibt.

Kleiner Exkurs: Herr Lauterbach wollte für alle 80.000 Menschen einen Gesundheitskiosk machen. Dazu hätte er Tausende Community Health Nurses einsetzen müssen. Im Moment werden, wenn überhaupt, in ganz Deutschland 200 CHN ausgebildet – so viel zur fachlichen Hinterlegung dieser Konzepte seitens der SPD.

Natürlich werden wir der Überweisung zustimmen. Ich hatte mir vorgenommen – und habe das in weiten Teilen auch getan –, auf die inhaltlichen Punkte einzugehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines kann ich Ihnen nicht ersparen: Natürlich werden wir fachlich beraten, was Sie da machen. Fangen Sie aber doch mal an, ein Gesamtbild der Pflege abzubilden. Hören Sie auf, zu glauben, wenn man Dreck auf die Regierung schmeiße, werde es schon gut werden.

(Thorsten Klute [SPD]: Das ist nicht Dreck!)

Wir müssen in der Sache nach vorne kommen und politisch vernünftig zusammenarbeiten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Thorsten Klute [SPD]: Ihr negiert die Wirklichkeit!)

Mehr zum Thema

Pflege