Mehrdad Mostofizadeh: „Wenn wir ehrlich wären, müssten wir deutlich mehr in die Pflege investieren, gerade in die Altenpflege“

Antrag der SPD-Fraktion zur häuslichen Pflege

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Wortbeitrag des Kollegen Preuß wollte ich mit der Bemerkung einsteigen: Der macht es sich aber ein bisschen einfach und beschreibt die reale Situation der Pflege nicht richtig, wenn er meint, man müsse sich nur an Recht und Gesetz halten; dann würde schon alles funktionieren.
Frau Schneider aber sagt an diesem Redepult offen: Ohne Sozialdumping, ohne Überschreiten der Arbeitsschutzgrenzen, ohne das Ausbluten der häuslichen Pflege ist das alles nicht zu machen. – Ich finde es ein starkes Stück, wie Sie hier eben argumentiert haben, Frau Kollegin.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich weise mit Entschiedenheit zurück, dass das ein Modell sein kann. Aber ich stimme Ihnen zu: Im Ergebnis ist es im Moment so. Wir machen die Augen zu.
Selbst die angemeldeten Arbeitskräfte aus Polen, aus Rumänien – der größte Teil kommt ja aus Polen – arbeiten nicht 35 oder 38 Stunden, wie es tarifvertraglich abgesichert ist, sondern sind in der Regel im Haus und bleiben viele Stunden darüber hinaus im Dienst. Davor machen auch viele die Augen zu.
Nicht nur die nicht angemeldeten sind ein großes Problem, sondern auch die angemeldeten Pflegekräfte.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Von wem?
Vizepräsident Oliver Keymis: Von Frau Schneider.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Von ihr schon.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das nehmen wir zur Kenntnis.
(Heiterkeit)
Bitte schön, Frau Schneider.
Susanne Schneider (FDP): Herzlichen Dank, verehrter Herr Kollege, dass Sie die Frage zulassen. Ich wollte nur noch einmal klarstellen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich nicht gesagt habe, dass ich das toleriere, sondern dass ich gefragt habe, welche realistischen Alternativen mir der Antragsteller hier bietet? Schauen Sie bitte noch einmal ins Protokoll. Ich habe mit keinem Wort gesagt, dass ich Schwarzarbeit und kriminelle Machenschaften toleriere.
(Beifall von der FDP)
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Kollegin, ich nehme das, selbstverständlich zur Kenntnis. Was bleibt mir anderes übrig?
(Heiterkeit)
Sie haben gesagt: Wenn man sie vernünftig bezahlen würde, wie es im Antrag gefordert wird,
(Susanne Schneider [FDP]: Wollen Sie noch einmal gucken?)
würde das zu Kosten im fünfstelligen Bereich führen. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn wir den Zustand weiterhin tolerieren, führt das unweigerlich dazu, dass wir hinnehmen, dass die Pflege finanziell nicht ordentlich ausgestattet ist, dass viele Menschen, die bei der häuslichen Pflege unterstützen, nicht den Lohn erhalten, den sie erhalten müssten, und nicht die Arbeitszeiten einhalten können, die einzuhalten wären. Das ist für mich eine logische Konsequenz Ihrer Bemerkung.
Ich meine das eher politisch: Ich will mich nicht damit zufriedengeben, dass wir alle wissen, wie es ist, und nichts dagegen tun.
Frau Kollegin, Sie sind sehr offen damit umgegangen. Es ehrt Sie, dass sie so liberal sind und das klar ansprechen. Das kann aber nicht die Konsequenz unseres politischen Handelns sein.
Herr Kollege Neumann und liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie geben hier nicht den richtigen Weg vor.
Ich bin sehr bei Ihnen, dass wir darüber reden müssen, wie wir die Arbeitsverhältnisse fair gestalten und dafür sorgen können, dass die Pflege abgesichert wird, aber dann muss es ein anderes Rezept sein.
Das Rezept muss sein, in die Quartiere zu gehen, die Kommunen in die Verantwortung zu nehmen, die häusliche Pflege so zu organisieren, dass mehr Personen partizipieren können. Darin unterscheiden wir uns sehr von dem, was die FDP in dieser Legislaturperiode immer wieder durchzusetzen versucht.
Auch der Minister ist aus meiner Sicht auf dem völlig falschen Weg, wenn er immer predigt, dass eine verbindliche Pflegeplanung vor Ort der falsche Weg ist und dass die Privaten das schon alles richten würden.
Das müssen wir implementieren, und selbst dann kommen wir nur ein kleines Stückchen weiter.
Frau Kollegin, Sie haben angedeutet, dass die Menschen dann ins Heim kommen sollten. Wir haben doch überhaupt nicht die Pflegekräfte, um das abzubilden, wenn wir nicht in Kauf nehmen, dass das keine Fachleute mehr sind, dass die Leute in den Heimen aufbewahrt werden, wobei wir ja in Coronazeiten eine kritische Situation haben.
Herr Kollege Neumann, ihr dritter Aspekt lässt mich tatsächlich ratlos zurück: die im Wesentlichen Polinnen, die nicht nach Deutschland kommen und hier tätig werden können, selbst die hier angemeldeten nicht. In dieser Situation haben viele Angst und wollen auch gar nicht; das muss man auch einmal sagen.
Der Bundesverband der Pflege hat sich dazu sehr klar geäußert. Die Bundesregierung erlässt eben keine Regelung, wie das rechtssicher funktionieren kann, und unterstützt die betroffenen Personen viel zu wenig. Bei diesem Punkt bin ich ganz bei Ihnen; das können wir im Ausschuss noch intensiver erörtern.
In den Antrag hätte aus meiner Sicht die deutlich stärkere Einbettung der Pflegesituation gehört. Der Ausweg kann am Ende nicht sein, eine rechtswidrige Situation nicht zu kriminalisieren, sondern wir müssen schon sagen, wie es richtig gehen soll. Eine reine Amnestie führt uns nicht weiter.
Viele Beschlusspunkte wie zum Beispiel die Forderung, dass man das in der Arbeits- und Sozialministerkonferenz debattieren soll, sind in Ordnung. Dass man eine Dunkelfeldstudie machen soll, um die Dimension festzustellen, finde ich nicht nur in Ordnung, sondern sogar äußerst zielführend.
Herr Minister, was ist denn das Rezept? Wie gehen wir jetzt damit um? Welche Kosten entstehen in der Pflege? – Wenn wir ehrlich wären, müssten wir deutlich mehr in die Pflege investieren, gerade in die Altenpflege.
Das gegenwärtige System, dass wir alles dem Zufall überlassen – so viel zur privaten Vorsorge –, wird nicht funktionieren. Wenn die öffentliche Hand nicht deutlich mehr in die Struk- turen investiert, Barrierefreiheit in Städten ermöglicht und sich in Bezug auf Barrieren für Men- schen mit Behinderung, die sie durch Alter erworben haben, nicht deutlich neu orientiert, wird das zusammenbrechen.
Dann werden Leute wie ich den Zustand hinnehmen müssen, wenn wir pflegebedürftig werden. Das kann in so einem reichen und handlungsfähigen Land nicht das Ziel sein; deswegen müssen wir massiv umsteuern.
Ich bin gerne bereit, die Punkte im Antrag, die vielleicht noch kritisch sind, im Ausschuss intensiv zu diskutieren. Ich finde es gut, dass wir in der Coronaphase auch dieses zentrale Politikfeld beleuchten. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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