Mehrdad Mostofizadeh: „Wenn wir alles wissen, warum handeln Sie dann nicht nach diesem Wissen?“

Zum Antrag der GRÜNEN im Landtag auf eine Aktuelle Stunde zum Pandemie-Expertenrat

Mehrdad Mostofizadeh

Der Antrag

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich hier freudig den Ministerpräsidenten begrüßen, der auch in der Redeliste angekündigt ist. Wahrscheinlich hat er sich nur kurz verspätet.

(Bodo Löttgen [CDU]: Steht im Stau!)

Er wird sicherlich nicht bei einem Spatenstich in Münster oder bei einer Diskussion in Bonn oder in Essen zugegen sein und deswegen hier unentschuldigt beim Plenum fehlen, sondern sicherlich gleich eintreffen und hier auf der Regierungsbank Platz nehmen. Meine Vorfreude teile ich wahrscheinlich mit dem gesamten Parlament, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Man muss sich allerdings die Frage stellen, die wir hier gestellt haben: Warum hat der Ministerpräsident den Expertenrat aufgelöst?

(Ministerpräsident Armin Laschet betritt den Plenarsaal.)

– Ah, schönen guten Morgen, Herr Ministerpräsident.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Guten Morgen!)

– Warum haben Sie den Expertenrat aufgelöst? Warum haben Sie ihn denn eingerichtet, Herr Ministerpräsident? Ich habe mir die Mühe gemacht und auf der Homepage nachgeschaut, warum Sie ihn eingerichtet haben. Da lese ich etwas ganz Spannendes:

„Unser Land steht vor der schwersten Bewährungsprobe unserer Geschichte.“

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

„In den vergangenen Wochen haben Politik und Verwaltung zahlreiche, teils massive Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Es ist richtig, sich mit aller Entschlossenheit dem Kampf gegen das Virus zu widmen, denn die Bilder aus Italien, Spanien oder New York zeigen unermessliche Tragödien.“

Und das Wichtige ist:

„Wir müssen schon heute Strategien für die Zeit nach der Krise entwickeln.“

Das haben Sie im April oder März letzten Jahres formuliert, Herr Ministerpräsident.

Auf der Pressekonferenz haben Sie, Herr Ministerpräsident, auf die Nachfrage, warum Sie denn den Expertenrat auflösen, geantwortet: Wir wissen doch alles.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Ja!)

Das finde ich schon eine ziemlich steile These, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von den GRÜNEN und Lisa-Kristin Kapteinat [SPD])

Wenn wir alles wissen, warum handeln Sie dann nicht nach diesem Wissen?

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Tun wir doch!)

Warum befasst sich dieses Parlament nicht mit den Fragen, die sich aus dem Expertenrat ergeben?

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Das tun wir doch!)

Sie haben während der letzten 15 Monate nicht ein einziges Mal die Chance ergriffen, die mittlerweile sechs Berichte des Expertenrates hier im Parlament zur Diskussion zu stellen, Herr Ministerpräsident.

(Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident)

Auch im AGS stand das kein einziges Mal zur Diskussion, und auch die Maßnahmen haben Sie nicht mit dem Bericht des Expertenrates in Verbindung gebracht. Ich finde, dass Sie da eine sehr große Chance der parlamentarischen Auseinandersetzung

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Jede Woche wurde berichtet!)

nicht ergriffen haben, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von den GRÜNEN – Bodo Löttgen [CDU]: Wie häufig haben Sie es denn beantragt? – Armin Laschet, Ministerpräsident: Jede Woche wurde berichtet!)

– Herr Kollege Löttgen, gut, dass Sie sich gerade aufregen;

(Bodo Löttgen [CDU]: Nö!)

denn ich kann in diesem Zusammenhang aus Ihrem Antrag zitieren. Wir haben hier am Mittwoch eine sehr würdevolle, wie ich finde, Gedenkveranstaltung durchgeführt, und CDU und FDP formulieren in ihren pandemischen Leitlinien: Nachdem der Schritt vom akuten Krisenmanagement zum souveränen Risikomanagement gegangen wurde, ist nunmehr der Punkt gekommen, Antworten und Lösungen zu suchen für die Zeit nach der Krise.

(Bodo Löttgen [CDU]: Die stehen alle in den sechs Berichten drin!)

– Vielleicht, Herr Kollege Löttgen, sollten Sie an der Stelle eine Stufe ruhiger sein. Sie sprechen von einem souveränen Risikomanagement. Selbst wenn Sie das selbst glauben und sich selbst auf die Schulter klopfen, würde ich angesichts von 100.000 Toten in Deutschland und ungefähr 20.000 Toten in Nordrhein-Westfalen den Ball insgesamt ein bisschen flacher halten und souveräner mit diesem Thema umgehen.

Aber, Herr Ministerpräsident, wir haben sehr viele Handlungsfelder, die überhaupt noch nicht geklärt sind. Wir haben alleine in dieser Plenarwoche – ich greife beispielhaft den sechsten Bericht des Expertenrats auf – viele Punkte diskutiert, zu denen Sie keine Meinung haben. Zum Abwassermonitoring hat die Landesregierung keine Meinung.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Doch!)

Zur Frage, wie der Fortgang der Pandemie betrachtet werden soll, hat die Landesregierung zumindest keine hier im Parlament diskutierte oder vorgetragene oder für mich erkennbare Meinung.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Doch!)

Zwei Punkte möchte ich an der Stelle zentral herausgreifen.

Der erste Punkt ist Kommunikation. Ihnen ist es mehrfach gelungen, aus schwierigen Situationen Krisen werden zu lassen. Das erste deutliche Beispiel dafür war das Superspreader-Event bei Tönnies. Da sprachen Sie von Rumänen und Bulgaren, die hier arbeiten würden, und insofern habe das mit Nordrhein-Westfalen nichts zu tun.

(Zuruf von Gregor Golland [CDU])

Das war ein riesiger kommunikativer Fehler.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Das steht im Bericht!)

Sie haben sich auch nicht beraten lassen, sondern es einfach rausgehauen.

Der zweite, fast in der gleichen Zeit verankerte Fehler war: Sie haben behauptet, dass wir zur verantwortungsvollen Normalität zurückkehren müssten. Was war denn die Folge der verantwortungsvollen Normalität im letzten Frühjahr? Wir hatten saisonal bedingt, aber auch aufgrund der Entwicklung dieser Pandemie die höchsten Inzidenzen im darauffolgenden Herbst und einen monatelangen Lockdown hier in Nordrhein-Westfalen.

(Zuruf von Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration)

Das war eine verantwortungsvolle Normalität? Ich finde das nicht normal. Ich möchte so einen Zustand nicht dauerhaft in Nordrhein-Westfalen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration)

Und was der Expertenrat auch anmahnt und was Sie in Ihren Sonntagsreden immer verkünden, ist,

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Auch montags und donnerstags!)

dass wir einen klaren Schwerpunkt für die Kinder und Jugendlichen setzen müssen.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: So ist es!)

Ja, da sind wir uns alle einig.

(Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident)

Aber wo sind denn die Maßnahmen, Herr Ministerpräsident? Wo findet denn die Schwerpunktsetzung statt? In den pandemischen Leitlinien äußern Sie sich ausschließlich zu Schule; ich möchte das nicht wiederholen. In Bezug auf Schule sind Sie eher ratlos. Der Expertenrat schreibt, dass keine Maßnahmen hinterlegt werden, und er fordert Sie auf, zertifizierte Konzepte zu erstellen, und zwar nicht für Schule, sondern auch für die Freizeit, für Kultureinrichtungen und vieles andere. Das alles machen Sie aber nicht. Wir haben das beim Gesundheitsminister abgefragt, aber bis heute liegen dazu keine zertifizierten Konzepte vor.

Und jetzt der wichtigste Punkt zum Schluss: Herr Ministerpräsident, Sie senden mit Ihren Maßnahmen ein merkwürdiges Signal. Am Ende müssen Sie es entscheiden, und es ist Aufgabe des Parlaments, dass wir das nachholen, was Sie zu tun versäumen,

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Ihr habt doch ein Begleitgremium!)

nämlich es hier im Parlament zu diskutieren. Das werden wir auch tun.

Sie tun aber so, als ob die Pandemie jetzt zu Ende wäre, als ob es nicht ganz viele Aufgaben gäbe, die wir in Zukunft diskutieren und vorbereiten müssten. Schließlich sagt selbst der Expertenrat, wir müssen jetzt die Sommermonate nutzen, um uns auf den Herbst vorzubereiten, damit keine überzogenen Reaktionen kommen, damit keine Panik aufkommt und damit auch mit der Bevölkerung eine klare Kommunikation stattfindet, mit der sie umgehen kann.

Überall Fehlanzeige beim Ministerpräsidenten! Er sagt, es sei parteipolitisch motiviert, wenn man diesen Expertenrat weiterlaufen ließe. Diese krude Interpretation habe ich überhaupt nicht verstanden.

Erklären Sie mir und dem Parlament jetzt und an dieser Stelle, warum Sie nicht der Auffassung sind, dass sich diese Landesregierung vor diesem Parlament mehr erklären muss und dass das Wissen und das Können des Expertenrates, von dem wir ausdrücklich gut fanden, dass Sie ihn eingerichtet haben,

(Lachen von Bodo Löttgen [CDU])

dem Parlament zur Verfügung gestellt werden soll. Herr Ministerpräsident, das ist eine sehr merkwürdige Vorstellung.

(Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident)

Deswegen bin ich sehr auf Ihre Ausführungen gespannt, die wir gleich erwarten dürfen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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