Mehrdad Mostofizadeh: „Was ich nicht verstehen kann, ist, warum ausgerechnet diejenigen, die zusammenarbeiten müssten, sich jetzt gegeneinander aufstellen“

Zum Antrag der SPD-Fraktion für ein Moratorium für eine Pflegekammer

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal bin ich froh, dass wir hier im sachlichen und ruhigen Ton über das Thema reden, denn wir haben es mit einem Berufsfeld zu tun – da spreche ich aus Erfahrung –, das über die Maßen des Erträglichen belastet ist. Das ist überhaupt keine Frage.

Wir haben Pflegenotstand, wir haben zu wenig Fachkräfte, wir haben Nachwuchsmangel. Nach schlimmen Prognosen kann man davon ausgehen, dass deutschlandweit bis zu 1 Million Pflegekräfte fehlen könnten, wenn es so weitergeht und wir nicht nachbessern können.

Deswegen bin ich froh, dass im Koalitionsvertrag, der jetzt auf Bundesebene vorliegt, einige sehr gute Formulierungen stehen:

Die Fachkräftezuwanderung wird ermöglicht. Diejenigen, die bereits hier sind, können schnell in den Beruf kommen. Anerkennungsverfahren können stattfinden. Pflegebedarfsbemessungsinstrumente sollen eingeführt werden; das wird insbesondere für die Krankenhäuser von Belang sein. Die Altenpflege wird gestärkt, was nach Einführung der Generalistik von hohem Belang ist. 1 Milliarde Euro für den Pflegebonus und hohe Freibeträge sollen bereitgestellt werden.

Doch es fehlt auch eine ganze Menge in diesem Koalitionsvertrag, das will ich ganz offen sagen. Daran muss sicherlich noch fachlich gearbeitet werden; das ist normal, wenn eine Legislaturperiode beginnt. Das betrifft Fragen der Arbeitszeit, der Arbeitszeitgestaltung, der Bezahlung. Es fehlen auch – das könnte beispielsweise eine Aufgabe für eine Pflegekammer sein – Angaben dazu, wie mit Teilqualifikationen umgegangen wird.

Es ist gut, dass Fragen der Assistenz auf Bundesebene harmonisiert werden sollen. Aber wie wäre es denn, wenn wir auch innerhalb der Altenpflege oder der Krankenpflege durch vernünftige Richtlinien andere Möglichkeiten der Mitarbeit bekämen, wenn wir Qualifikationen unterhalb der examinierten Kräfte ermöglichen könnten, wenn wir an verschiedenen Stellen entlasten könnten, wenn wir durch gute Vorschläge für eine atmende Vollzeit sorgen könnten, dass statt strenger 39 Stunden vielleicht 32 Stunden möglich sind?

Es gibt Arbeitgebermodelle, bei denen Leute mit ganz flexiblen Arbeitszeiten unterwegs sind, bei denen Beruf und Familie miteinander verbunden werden können. Ich könnte jetzt noch ganz viele oder eigentlich alle Argumente, die Peter Preuß vorhin fachlich für die Pflegekammer genannt hat, anführen.

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, bringt mich in der Abwägung rein fachlich schon zu der Erkenntnis, dass die Pflegekammer eine gute Idee ist.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Aber wir haben hier miteinander auch Spielregeln festgelegt. Wir haben in der letzten Legislaturperiode alle miteinander beschlossen, dass wir eine Befragung der Pflegekräfte haben wollen, und das haben wir in dieser Legislaturperiode bestätigt.

Dann hat es eine Befragung gegeben, und diese Befragung hat ein eindeutiges Ergebnis ergeben, wie Frau Kollegin Schneider und auch Kollege Preuß hier vorgetragen haben. Deswegen hat die grüne Fraktion gesagt: Wir gehen diesen Weg mit, und wenn wir einen Weg beginnen, dann soll er auch funktionieren.

Ich möchte nicht, dass die Kammer mit angezogener Handbremse unterwegs ist. Ich möchte nicht, dass diese Kammer scheitert. Das sage ich Ihnen ganz offen. Ich möchte, dass diese Kammer ein Erfolg wird. Ich möchte, dass sie finanziell gut ausgestattet ist und dass die Pflegekräfte gut vertreten werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Ich möchte noch eines sagen: Ich bin von Herzen – ich glaube, das wird mir hier keiner absprechen – jemand, der Mitbestimmung richtig findet, der Arbeitszeitschutz richtig findet, der viele Fragen der tariflichen Festlegung für notwendig und richtig hält.

Das sind alles Punkte, die ver.di und andere Gewerkschaften sehr klar aushandeln müssen. Aber was ich, ehrlich gesagt, nicht ganz verstehen kann, ist, warum ausgerechnet diejenigen, die zusammenarbeiten müssten, sich jetzt gegeneinander aufstellen.

(Vereinzelt Beifall von der CDU)

Dass der bpa dagegen argumentiert wie in verschiedenen anderen Bundesländern und sagt: „Das ist Bürokratie und schwierig“ – geschenkt. Das mag dazugehören, obwohl ich es nicht ganz nachvollziehbar finde.

Dass der Bund der Steuerzahler sagt: „Oh, da kommt wieder ein neues öffentliches Gremium, dann wird es teuer“ – auch geschenkt, aber verdächtig. Das sage ich Ihnen ganz offen.

Ich kann nur dazu aufrufen: Entlasten Sie nicht diesen Minister! Entlasten Sie nicht mich! Entlasten Sie nicht die Leute, die in der Pflege für bessere Bedingungen sorgen wollen, indem sie ein Scheingefecht zwischen ver.di und Pflegekammer austragen! Sorgen Sie dafür, dass die Probleme gelöst werden!

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich zumindest noch ein Argument ergänzen, das Kollege Preuß hier auch vorgebracht hat, weil ich die Argumente, die gegen die Kammer vorgebracht werden, zum Teil schon abenteuerlich finde.

Ich will auf den Beitrag kommen. Da bin ich zwischenzeitlich nachdenklich geworden, weil ich dachte, ich hätte etwas falsch verstanden. Ich habe Zuschriften bekommen, in denen mir mitgeteilt wurde, es würden 300, 400, 500 Euro Beitrag im Jahr drohen, zusätzliche Fortbildungskosten, Strafzahlungen für falsche Pflegehandlungen, es würde dieses und jenes drohen.

Ich habe mir einmal die Mühe gemacht – was nicht sehr schwierig ist, da braucht man nur bei Google zwei Wörter einzugeben – und „Physiotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen“ aufgerufen. Die verlangen von einem aktiven Mitglied, das 30.000 Euro pro Jahr verdient, 280 Euro.

Der Errichtungsausschuss, Peter Preuß hat es eben gesagt, empfiehlt 60 Euro pro Jahr zusätzlich zu verschiedenen anderen Entlastungen, die Peter Preuß auch vorgetragen hat, die zu Verbesserungen führen, etwa was Fortbildungsmöglichkeiten und andere Punkte anbetrifft.

Eines will ich sagen: Natürlich ist die Fort- und Weiterbildung ein Thema. Natürlich müssen wir uns noch mit den Arbeitgebern darüber unterhalten, wer die Kosten trägt. Vielleicht müssen wir uns auch mit dem Minister oder zum Beispiel mit den Landschaftsverbänden – wer immer das im Zweifel trägt – darüber unterhalten.

Aber dieser Prozess lohnt sich. Diese Aushandlung möchte ich. Ich möchte auch einen Streit darüber, wie das funktioniert.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Das war in unserer Partei nicht immer ein leichter Prozess, weil wir das abwägend gemacht haben. Wir finden das Kammersystem nicht an jeder Stelle nachvollziehbar, und auch Zwangsmitgliedschaften müssen wir uns sehr genau angucken.

Aber klar ist auch: In diesem System, wie es jetzt aufgebaut ist, wird die Pflege keine entscheidende Rolle spielen, wenn die Pflegekammer auf Landesebene nicht kommt.

Ich bin sehr froh, dass es jetzt auch auf Bundesebene eine Formulierung gibt. SPD auf Bundesebene, Grüne auf Bundesebene und FDP auf Bundesebene haben eine bundesweite Befragung angestoßen. Ich hoffe, dass am Ende dieser Befragung steht, dass es eine Bundespflegekammer geben wird, damit im G-BA endlich auch die Fragen der Pflegenden vernünftig eingebunden werden.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

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