Mehrdad Mostofizadeh: „Muss die Ruhrkonferenz fehlgehen, weil die Grundbedingungen nicht geklärt werden“

Aktuelle Stunde auf Antrag der SPD-Fraktion zur Ruhrkonferenz

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Hovenjürgen hat seine Rede begonnen mit der Bemerkung, gemeinsam Verantwortung zu tragen;
(Lachen bei der SPD)
denn er ist im RVR Mitglied einer Koalition aus CDU, SPD und Grünen. Die gemeinsame Verantwortung ergoss sich darin, dass er zehn Minuten lang auf seinen Koalitionspartner SPD eingedroschen hat. Das ist keine gemeinsame Verantwortung, das ist Stehlen aus der Veantwortung, Herr Kollege Hovenjürgen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Jetzt zu dem, worum es heute eigentlich geht: Herr Hovenjürgen wollte unbedingt über das Thema „Regionalplan“ reden, obwohl „Ruhrkonferenz“ auf der Tagesordnung steht. Schauen wir uns die Bedingungen im Ruhrgebiet einmal an.
Die Stadt Essen hat bei den Altschulden eine Kreditverschuldung von über 2 Milliarden Euro. Wenn wir uns die nächsten 30 Jahre anschauen, führt das dazu, dass die Stadt Essen 100 Millionen Euro allein zur Schuldentilgung und Kassenkreditabzahlung aufbringen muss.
Die Landesregierung ist trotz bester Steuereinnahmen, bester Vorbereitung nicht in der Lage, diese zentrale Herausforderung des Ruhrgebietes anzugehen. Sie versündigt sich letztlich an den Bedingungen im Ruhrgebiet, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
– Hinzu kommt, Herr Kollege Löttgen, dass diese Landesregierung – Oberbürgermeister Thomas Kufen aus Essen hat es Ihnen schriftlich gegeben – versprochen hat, zumindest die Kosten für die Geflüchteten – nach unserer Vereinbarung – zu verändern und zu überprüfen. Das Lenk-Gutachten liegt seit einem Jahr vor und rechnet vor, dass im Durchschnitt über 2.000 Euro mehr für die Geflüchteten gezahlt werden müssen; bei den großen Städten ist es sogar noch teurer. Das führt dazu, dass eine Stadt wie Essen 67 Millionen Euro mehr zahlt, als sie vom Land erstattet bekommt.
Lieber Herr Kollege Hovenjürgen, diese CDU, diese Landesregierung hat sich vor der Ruhrkonferenz, während der Ruhrkonferenz und bis heute nicht einmal ansatzweise mit den Bedingungen im Ruhrgebiet auseinandergesetzt. Deswegen muss die Ruhrkonferenz fehlgehen, weil die Grundbedingungen nicht geklärt werden, Herr Kollege.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Um noch eine weitere Dimension aufzumachen – dann komme ich zu einzelnen Inhalten der Ruhrkonferenz –: Allein die Stadt Essen verfügt laut der neuesten Statistik über rund 40.000 Arbeitslose. Das sind dreimal so viele Personen, wie jetzt im Rheinischen Revier Arbeitsplätze auf Sicht kompensiert werden sollen. Ich will – das will ich ganz klar sagen – den Prozess im Rheinischen Revier nicht auch nur ein My infrage stellen, ganz im Gegenteil.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Haben Sie aber gerade!)
Es macht aber die Dimension deutlich. Wir sprechen über mehrere Hunderttausend Langzeitarbeitslose im Ruhrgebiet. Ich habe mir die Projektvorschläge angesehen und keine systematische Befassung mit diesem Sachverhalt gefunden, stattdessen ein Hochglanzaufblasen der Einzelvorschläge. Diese mögen im Einzelnen gut sein, stellen aber keine systematische Auseinandersetzung mit dem zentralen Problem im Ruhrgebiet dar, sind keine Antwort auf Bildungsfragen, keine Antwort auf Zukunftsfragen und die Vernetzung. Das, was Sie hier veranstalten, sind alles Leerstellen und haben mit dem Problem relativ wenig zu tun.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Zur Systematik, wie die Landesregierung darangeht: Herr Minister Reul, wir sind bei der Frage der inneren Sicherheit vielleicht nicht immer einer Meinung, aber dass das Thema „Clan-Kriminalität, organisierte Kriminalität“ selbstverständlich wichtig ist, ist nicht zu bestreiten. Das, was Sie gemacht haben, ist jedoch etwas ganz Stinknormales, was zwischen Behörden stattzufinden hat.
Sie haben eine Fachkonferenz im Ruhrgebiet durchgeführt, bei der das Thema auf der Tagesordnung stand, und Sie haben sich mit Ihren Polizeipräsidenten getroffen. Wozu bedarf es einer Ruhrkonferenz, wenn sich der Innenminister mit Polizeipräsidenten trifft? Das ist Geschäft der laufenden Verwaltung in einem Land. Das muss geschehen, ohne dass dieser Deckel draufkommt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie hätten sich doch Leitfragen überlegen können, zum Beispiel zum barrierefreien Ruhrgebiet, zu barrierefreien Zugängen im Ruhrgebiet, damit alle Menschen den öffentlichen Nahverkehr nutzen können, was ein systematisches Herangehen wäre.
Dann zwei Beispiele, die ich wirklich frappierend finde:
Zum Thema „Energie- und Verkehrswende“ nehmen Sie als Fürsten der Umsetzung ausgerechnet Herrn Teyssen, den Chef von E.ON. Ich achte Herrn Teyssen hoch respektvoll. Ich glaube auch, dass er einige Dinge vernünftig vorangebracht hat. Aber die Motoren der Verkehrs- und Klimawende im Ruhrgebiet sitzen doch bei ista und anderen fortschrittlichen Unternehmen und nicht ausgerechnet bei dem Moloch E.ON. Und Herr Teyssen soll das auch noch antreiben.
Das zeigt doch nur, dass Sie in alten Strukturen verhaftet sind und eben nicht mit der Region reden wollen, sondern mit dem Dach der Region. Das macht einen Riesenunterschied zwischen dem Ansatz, den wir wählen würden, und der Art, wie Sie es im Moment veranstalten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Letztes Beispiel, was die Fachthemen betrifft: Ich habe mir den Verkehrsbereich angesehen und will durchaus konzedieren, dass Verkehrsminister Wüst immer mal wieder richtig, zum Beispiel die Radschnellwegrouten, fördert.
Aber gucken wir mal da rein. Was passiert im Verkehrsbereich? Das Ruhrgebiet ist der größte Agglomerationsraum, den wir in Europa von der Verdichtung her haben. Wir haben eine zersplitterte Verkehrslandschaft.
Wir müssen es systematisch angehen und über Parkraumbewirtschaftung reden, über ein einheitliches Schienennetz, über eine regionale Zusammenarbeit. Wir brauchen auch harte Maßnahmen. Es geht darum, dass die Region erstens enger zusammenarbeitet, zweitens Konzepte für die Zukunft macht und drittens die klare Frage stellt, wie der Autoverkehr in der Region und der Flächenverbrauch anders organisiert werden können.
Doch was passiert? Stückwerk, Einzelmaßnahmen, Verkehrswende spielt keine Rolle, Hochglanzmaßnahmen.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Warum habt Ihr das nicht gemacht? Ihr hattet doch alle Zeit der Welt!)
Das wäre doch die Chance gewesen, genau den Kommunikationsprozess zu organisieren, der notwendig ist, um die Verkehrswende möglich zu machen. Sie verpassen wieder die Chance, das zu organisieren. Das ist lächerlich.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP)
Herr Kollege Hovenjürgen, jetzt noch mal zurück zur CDU: Die CDU ist in der Koalition im RVR. Der Regionalplan wurde von dieser Landesregierung schon dadurch gestört, dass Minister Pinkwart, ohne dass der Landtag es beschlossen hat, ohne dass es im Ruhrgebiet dazu einen Konsens gibt, Veränderungen bei den Windkraftanlagen, beim Kiesabbau, bei der Menge der Reserveflächen für den Kiesabbau durchgesetzt hat.
Ich will Ihnen auch sagen: Wir werden uns ja in den nächsten Tagen zusammensetzen und über das Thema „Regionalplanung“ sprechen. Wenn Sie dann wieder den Tenor wie heute anschneiden, ist klar: Sie machen Politik auf dem Rücken der Menschen im Ruhrgebiet.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sie haben keine klare Ansage gemacht, dass Sie für die regionale Planungskompetenz sind. Sie haben keine Ansage gemacht, dass Sie für die Menschen im Ruhrgebiet streiten. Vielmehr sind Sie hier als Generalsekretär der CDU angetreten. Das ist nicht angemessen. Sie werden Ihrem Job nicht gerecht. Das kritisieren wir von grüner Seite erheblich.
Die Landesregierung hat dem Ruhrgebiet mit der Ruhrkonferenz wahrlich keinen Gefallen getan. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von der FDP)
Präsident André Kuper: Vielen Dank, Herr Kollege. –
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von .
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zwischenzeitig habe ich mich fast ein bisschen geschämt, Josef Hovenjürgen,
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Ich mich für euch auch gestern!)
mit so kleinem Karo, mit solchen Zitaten aus dem Buch. Man kann ja über Herrn Sator denken, was man möchte, aber was hat denn das in dieser heutigen Debatte zu suchen?
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Herr Ministerpräsident, ich habe zu Beginn der Legislaturperiode wirklich mit Wohlwollen und Respekt zur Kenntnis genommen, dass Sie das Thema „Ruhrkonferenz“ auf die Tagesordnung gesetzt haben. Ich war, wie Sie wissen, auch auf einigen Veranstaltungen und habe mir das angesehen.
Ich nehme Ihnen bis heute ab, dass Sie das mit der Konferenz ernst meinen und auch damit, dass das Ruhrgebiet Ihnen am Herzen liegt und Sie da einen Impuls setzen wollen.
Was ich auch ernst nehme und was Sie leider historisch nicht ganz richtig eingeordnet haben, ist, dass Sie in der CDU-Fraktion für eine Zustimmung zum neuen RVR-Gesetz – das wir 2012 behandelt haben – … Die CDU hat da nicht zugestimmt, sondern sich enthalten. Sie haben gesagt, Sie hätten damals zugestimmt. Aber das macht ja nichts. Ich nehme Ihnen ab, dass Ihnen das wichtig ist und dass Sie dafür stehen, dass das Ruhrgebiet seine Geschäfte selber regeln soll.
Deswegen erwarte ich heute eigentlich – anders, als die FDP es dargestellt hat – ein klares Bekenntnis dieses Landtags dazu, dass die Regionalplanung im Ruhrgebiet bleiben soll und dass es nicht weniger, sondern mehr Ruhrgebiet und mehr Selbstverantwortung geben soll. Genau das fordern Sie ja immer vom Ruhrgebiet: mehr Selbstverantwortung und mehr selbst auf die Beine zu stellen – statt der ständigen kleinkarierten Mäkelei, wie sie der Kollege Hovenjürgen eben abgeliefert hat.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Herr Minister Holthoff-Pförtner, ich habe es mir sieben Jahre lang, als CDU und FDP in der Opposition waren, angesehen: Täglich wurden Rankings gemacht, wie schlecht das Ruhrgebiet und das Land Nordrhein-Westfalen seien.
Jetzt kommt Herr Hovenjürgen und sagt, wir würden am Land rummäkeln. Über einzelne Beiträge kann man sich sicher unterhalten. Ich kann Ihnen aber nur zurufen: Ich habe für das Ruhrgebiet eine Version, die lautet: Wir machen mehr zusammen. Wir haben eine einheitliche Verkehrsgesellschaft, die deutlich über das Ruhrgebiet hinausgeht. Wir denken zusammen. Wir machen einen Regionalplan, der für einen Ausgleich in der Region sorgt und eben nicht das macht, was Herr Hovenjürgen gesagt hat, nämlich dass man Industrieflächen irgendwie durch Grünzüge plant, sondern dass man abwägt, wo es regional vernünftig ist, wer davon profitieren kann und wie es einen Ausgleich in der Region gibt.
Wir müssen zusammenstehen und uns nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen. Das ist aber das, was Sie hier heute propagiert haben, und das unterscheidet uns ganz massiv.
(Beifall von den GRÜNEN)
Herr Minister Holthoff-Pförtner, einige Hinweise zu dem, was Sie gesagt haben. Bei der Veranstaltung, die Frau Scharrenbach in Oberhausen durchgeführt hat, zu der ich mich kurzfristig durch Anruf im Ministerbüro quasi selbst eingeladen habe, bzw. ich habe darum gebeten, kommen zu dürfen, war ich der einzige politische Vertreter des Landtags, der zugegen war. Es ist keine Einladung an die Mitglieder des Landtags ergangen,
(Beifall von Lisa-Kristin Kapteinat [SPD])
was Ihr gutes Recht ist, aber das war eine Fachveranstaltung, bei der abgefragt werden sollte, wie hoch die Bereitschaft vor Ort ist. Das kann man machen, hat aber mit dem Anspruch, den Sie zuvor geschildert haben, einfach nichts zu tun.
Ich habe mir auch die Mühe gemacht, im Internet nachzuschauen, wie die Beteiligung war. Bei der Frage der Priorisierung der Themen gab es ausweislich der Onlineplattform, die Sie eingestellt haben, 3.127 Zugriffe. – Wenn ich bei Rot-Weiss Essen bei einem Heimspiel mit einem Flugblatt herumgehe, bekomme ich bei solchen Dingen schon 10.000 Rückmeldungen.
(Michael Hübner [SPD]: Wenn es Schalke gewesen wäre, wären es noch mehr!)
Das ist die Dimension, in der Sie die Beteiligung bei der Ruhrkonferenz zustande gebracht haben.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Damit die Themen nicht verloren gehen, will ich die Zahlen zum Thema „Altschulden“ in Erinnerung rufen. Wenn die Stadt Essen weiterhin jährlich 100 Millionen Euro schultern müsste – was sie eigentlich wirklich müsste –, dann wird da nichts funktionieren, wenn Sie es nicht klären und nicht die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass im Ruhrgebiet ein Ausgleich beim Regionalplan geschaffen wird. Dann wird sich da auch nicht viel bewegen.
Und weil die FDP vorhin wieder so wirre Dinge gesagt hat:
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das war Herr Witzel!)
Ich glaube, dass das Ruhrgebiet auch dadurch attraktiv wird, dass so etwas wie die Grüne Hauptstadt 2017 stattfinden konnte. Die meisten Arbeitsplätze im Ruhrgebiet werden eben nicht dadurch geschaffen, dass man stinkende Autos baut, sondern dadurch, dass es Windräder gibt,
(Lachen von der AfD und Dietmar Brockes [FDP] – Zurufe von Christian Loose [AfD] und Helmut Seifen [AfD])
dass es vor Ort Technologie gibt. Allein durch das Brüderle-Konzept sind in Nordrhein-Westfalen 500 Arbeitsplätze kaputtgegangen, weil Sie die Solarthermie kaputt gemacht haben.
(Ralf Witzel [FDP]: Was eine Ideologie!)
Das ist doch die industriepolitische Wahrheit hier in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Herr Ministerpräsident, mein Appell an diese Landesregierung ist: Bringen Sie diese Ruhrkonferenz irgendwie zu Ende, aber ziehen Sie Schlüsse daraus. Meine dringende Bitte ist: Machen Sie einen Plan, der zukunftsweisend ist und der die Funktionen klärt, wie es nach vorne geht – bei Altschulden, Finanzierung und Bildungspolitik.
Abschließend zu den Talentschulen: Wir haben wahrscheinlich im Essener Norden mehr Schulen, als Sie Talentschulen für das ganze Land Nordrhein-Westfalen ausbreiten wollen. Besser wäre es, den Sozialindex anzuschärfen
(Matthias Kerkhoff [CDU]: Dann fangt an!)
und nicht so einen Quatsch zu machen, wie einzelne Talentschulen auf den Weg zu bringen. Das wäre zukunftsfähig. Das hätte etwas mit Ruhrkonferenz zu tun. Das ist das, was das Land Nordrhein-Westfalen braucht. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

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