Mehrdad Mostofizadeh: „Kommunalparlamente sind keine Parlamente zweiter Klasse oder dritte Liga“

Gemeinsamer Gesetzentwurf zur Stärkung der Kommunalvertretungen

Mehrdad Mostofizadeh

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Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegen haben es eben schon angesprochen: In den Kommunalparlamenten erleben wir eine zunehmende Fragmentierung nicht erst seit der letzten Kommunalwahl. Bereits seit 1999 ist dies zu erkennen. 2004 gab es einen ersten massiven Sprung. Mittlerweile ist es eher die Regel, dass zehn, zwölf oder 13 Gruppierungen in den Räten der Großstädte sitzen. Das führt zu erheblichen demokratiepolitischen Problemen; denn in den kleineren Gemeinden gibt es dieses Problem aus dem Grunde nicht, weil dort eine natürliche oder faktische Sperrklausel entsteht. Zumindest gibt es dies dort in viel geringerem Ausmaß.
Herr Bogumil geht von etwa 2,8 % aus. Das führt mich zum ersten Argument in Bezug auf das, was ich hinsichtlich der Ausführungen des Verfassungsgerichts nicht so ganz verstanden habe:
Es wäre ja eine Möglichkeit, die Zahl der Ratsmandate so zu reduzieren, dass wir uns über eine Sperrklausel nicht unterhalten müssten. – Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Ich halte es für einigermaßen abwegig, so vorzugehen. Das wäre allerdings verfassungspolitisch offenkundig okay. Ich halte das politisch für nicht vertretbar.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)
Ich will auch betonen: Die Kommunalparlamente sind – anders als es oft suggeriert wird – keine Parlamente zweiter Klasse oder dritte Liga oder Parlamente, in denen man „mal ein bisschen Politik üben kann“. Hier werden wichtige Kreationsaufgaben wahrgenommen. Hier wird auch der Widerstreit zwischen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern – also Hauptverwaltungsbeamten – und dem Rat ausgefochten. Hier müssen in aller Offenheit und Bürgernähe sowie mit einer hohen Ehrenamtlichkeit die Prozesse behandelt werden, die politisch zu diskutieren sind. Sie müssen transparent beziehungsweise nachvollziehbar gemacht werden.
Gleichzeitig gibt es ja auch noch – das darf man in Nordrhein-Westfalen nun einmal nicht vergessen – Bürgerbegehren und Bürgerentscheide mit ihrer ergänzenden Funktion, die dazu führen, dass man – das wurde früher manchmal, auch aus meiner Sicht zu Recht, diskutiert – schon bei Erreichen nur sehr niedriger Schwellen sehr wohl in die Ratspolitik eingreifen kann.
Diese Räte – das ist eben angesprochen worden – arbeiten zum Teil unter Zeitdruck. Sie müssen Satzungen beschließen, müssen sich an vertragliche Bindungen halten, und das zeitgerecht. Deswegen können wir eben nicht so tun, als wenn sie alle Zeit der Welt hätten. Auch können wir nicht so tun, als wären diese Parlamente so nebenbei Übungsorgane für Politik. Dem möchte ich ausdrücklich widersprechen.
Ich möchte noch auf einen ganz anderen Punkt hinweisen, auf den die beiden Kollegen vor mir verständlicherweise nicht abgehoben haben. Die Fragmentierung führt nämlich auch dazu, dass mittlerweile stabile Mehrheiten häufig nur noch durch große Koalitionen herstellbar sind. Ich sage Ihnen ganz ausdrücklich: Diese großen Koalitionen sollten – das meine nicht nur ich, sondern das meinen, glaube ich, auch die Kollegen – eigentlich eher die Ausnahme sein. Sie unterliegen eher dem Prinzip „Teufel plus Beelzebub“.
(Torsten Sommer [PIRATEN]: So wie beim RVR! – Schönes Eigentor!)
– Ich bitte da um Verständnis. – Man versucht, sich parlamentarische Mehrheiten dadurch zu erkaufen, dass man dann doch mit einem eigentlich meist ungeliebten politischen Partner – siehe meine Heimatstadt Essen – zusammenarbeitet, um eine Mehrheit herzustellen.
Ich glaube, wir sind uns einig: Das Modell „große Koalition“ muss die Ausnahme bleiben, weil sie eben nicht zu mehr Gleichgewicht und mehr Transparenz in den Räten führt, sondern unter Umständen dazu, dass man sehr schnell an den Räten oder zumindest der Transparenz vorbei Politik machen kann.
Ich will – wir haben heute ja nur fünf Minuten Redezeit; wir werden das Ganze aber noch sehr ausführlich in den Ausschüssen behandeln – noch einen weiteren Punkt ansprechen: Auch das Thema „Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Ehrenamt“ ist wirklich nicht mehr zu unterschätzen. Ich fand es einigermaßen merkwürdig, dass Sie sich, als es um die Länge der Ratssitzungen usw. ging, darüber lustig gemacht haben.
Ich kann Ihnen nur aus eigener Erfahrung sagen: Wenn man am Sonntagmorgen um fünf Uhr aufstehen darf, um seine Schicht zu fahren, damit man in der Woche für die Kinder da sein kann und auch um ein Ehrenamt wahrzunehmen, zehrt das bei manchen Leuten wirklich an der Substanz. Es führt nicht dazu, dass dieses Amt auf Dauer und auch fachgerecht ausgeübt werden kann. Ich finde es alles andere als angemessen, sich über diesen Tatbestand lustig zu machen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich will Ihnen auch klar sagen: Wenn Sie ein Modell anbieten, das diese Punkte in anderer Weise darbietet, dann wäre ich sehr dafür, dass wir das wählen.
Wir haben uns aber sehr intensiv mit den Fragen „Gibt es andere Möglichkeiten der Zählsysteme?“ und „Gibt es andere Möglichkeiten, Dinge einzuführen?“ auseinandergesetzt. Wir sind zum Schluss gekommen, dass wir die so nicht sehen.
Das Absurdeste, was ich in dieser Diskussion gehört habe, war: Ach, lass doch alle rein, und dann verwehrt ihnen Antragsrechte, Zugangsrechte zu Ratssitzungen und andere Elemente. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer im Stadtrat sitzt, muss vernünftig zusammenarbeiten können. Das müssen wir vorher regeln und nicht erst hinterher. Deswegen bitte ich um Überweisung an die Ausschüsse.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der CDU)

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