Mehrdad Mostofizadeh: „Kein abgestimmtes Konzept“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zu einer Öffnungsstrategie

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Schneider, die erste Frage, die ich stellen muss, lautet: Wer regiert denn hier in Nordrhein-Westfalen? Alles, was Sie vorgeschlagen haben, wäre durch Landesverordnungen bzw. durch eine Veränderung der Verordnungen oder eine Aufhebung dessen realisierbar. Ich nehme also zur Kenntnis: Alles, was Sie hier vorgetragen haben, ist in Nordrhein-Westfalen nicht handlungsleitend.

Letzte Woche im Ausschuss, als ich diese Aspekte, die sich auf einen langen Fragenkatalog der Grünenfraktion bezogen haben, vortrug, haben Sie an keiner Stelle interveniert.

Es hat Sie nicht gestört, dass der Staatssekretär in Abwesenheit des Ministers antworten musste, diese Landesregierung habe kein abgestimmtes Konzept.

Es hat Sie nicht gestört, dass die Landesregierung auf meine Frage, welche Konzepte zur Öffnung sie vorgelegt habe, nichts antworten konnte.

Es hat sie nicht gestört, dass das Ministerium auf die Frage meiner Fraktion, welche Konzepte das LZG zum Beispiel zur Möglichmachung eines Schulbesuchs hat – es ging um ein Ermöglichen; das heißt nicht, Schule öffnen, alle rein, und dann gucken wir mal, was passiert, vielmehr heißt das, die Menschen unter hygienisch vertretbaren Umständen in die Schule zu schicken –, nur antworten konnte, es habe dazu keine Erkenntnisse und nichts vorbereitet.

Was Sie hier abliefern, ist doch desaströs, Frau Kollegin!

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Minister, auf die Frage, ob Sie bei der Kontaktverfolgung digitale Konzepte verfolgt haben, konnten Sie nur mit Nein und Kopfschütteln antworten.

Auch bezüglich betriebsorganisatorischer Detailfragen wie gestaffelten Einkaufszeiten liegen Ihnen keine Daten zur Evidenz vor.

Frau Kollegin, zu Dingen, die Sie selbst eben konkret angesprochen haben und die in der MPK-Vorlage des heutigen Tages stehen, und zwar zu „Click and Collect“ oder ähnlichen Konzepten, sagt unser Gesundheitsminister: Wir haben nichts auf der Pfanne, beschließen das aber in Berlin. – Das ist der Zustand in Nordrhein-Westfalen, über den wir heute reden.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Susanne Schneider [FDP])

Außerdem will ich Ihnen Folgendes sagen: Es gibt einige Erkenntnisse, die so banal wie nur irgendwas sind. Dazu gehört die Erkenntnis, dass man sich draußen deutlich weniger ansteckt als drin. Deswegen ist es schwachsinnig, die Leute am Rheinufer zu verfolgen

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Das machen wir doch gar nicht!)

und gleichzeitig nicht dafür zu sorgen, dass in der Schule gelüftet wird, Masken getragen und andere Vorkehrungen getroffen werden. Es ist nicht in Ordnung, wie Sie hier Politik machen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Den MPK-Beschluss betreffend müssten Sie, Herr Gesundheitsminister, die wichtigste Beratungsfunktion für den Ministerpräsidenten innehaben. Da ist nicht die Rede von anderen Indikatoren. Der einzige Indikator, der darin steht, ist die Inzidenz. Da geht es nicht um die Krankenhausbelegung, um die Belastung der Krankenhäuser oder darum, wie die über 60-Jährigen belastet sind. All das sind wichtige Faktoren.

Frau Kollegin Schneider, versöhnlich in Ihre Richtung: Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass wir das unterschiedlich behandeln müssen. Es ist unsinnig, wie wir jetzt vorgehen und sozusagen sexuelle Dienstleistungen über den gleichen Kamm scheren wie das Fußballspielen von drei Jungs auf der Straße. Das macht keinen Sinn. Das ist aber im Moment die Vorgehensweise, wie sie auch für diese MPK wieder vorgesehen ist.

(Zuruf von Susanne Schneider [FDP])

Deswegen, Herr Minister, kann ich Sie nur dazu aufrufen: Legen Sie ein Hygienekonzept vor! Sorgen Sie dafür, dass geöffnet werden kann! Sorgen Sie dafür, dass Schule mit Präsenzunterricht stattfinden kann!

Einfach aufzumachen, Öffnungsdiskussionen anhand des Inzidenzwerts zu führen und nicht darauf zu schauen, welche Folgen das für die Gesundheit unserer Kinder, unserer Jugendlichen und auch derjenigen, die sie anstecken könnten, hat, das ist unverantwortlich. Das tragen wir Grüne ausdrücklich nicht mit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Folgendes wird im Antrag der Kolleginnen und Kollegen von der SPD dezidiert ausgeführt, und wir unterstützen das ausdrücklich. Im RKI-Plan, von dem Herr Sieveke soeben gesagt hat, er sei handlungsleitend für die Beratungen in der Politik, ist ausdrücklich von mehreren Faktoren die Rede. Der RKI-Plan entfernt sich weit von der Inzidenz und macht klare Vorschläge für einen Stufenplan, wie man öffnen kann, wie man verschiedene Faktoren nutzen kann.

Er unterscheidet im Übrigen auch sehr sauber in der Frage, was für den Einzelnen bedrohlich ist. Zum Beispiel ist Aufzugfahren durchaus eine gefährliche Angelegenheit, wie ich gestern lernen durfte. Eine einzige Aufzugfahrerin hat noch 70 Personen, die nach ihr Aufzug gefahren sind, infiziert, wohingegen das Herumspazieren an der frischen Luft völlig ungefährlich ist. Das findet keinerlei Eingang in die Beratungen der Ministerpräsidentenkonferenz, oder Sie ignorieren es schlichtweg.

Der Ministerpräsident versteigt sich sogar zu der Bemerkung: Wer zusätzliche oder neue Inzidenzwerte erfindet, um andere zu gängeln, der muss nicht ganz in Ordnung sein.

Ich hoffe – und ich unterstelle ihm, dass er das bisher nicht gemacht hat –, dass er die Inzidenzwerte nutzt, um Schutzkonzepte für die Bevölkerung aufzubauen; denn es wäre unverantwortlich, Menschen gängeln zu wollen und Grundrechte einzuschränken, nur weil es einem Spaß macht.

Ich kann nur sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir müssen für einen vernünftigen Gesundheitsschutz sorgen.

Wir hätten eine ganz andere Vorbereitung für diese Ministerpräsidentenkonferenz benötigt. Methoden nach dem Motto: „Ich gucke mal; hier ein bisschen weniger, da ein bisschen mehr lockern“ gleichen doch den Methoden, nach denen wir im Mittelalter Verhütung angegangen sind, und eignen sich nicht dazu, eine Pandemie zu bekämpfen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Nur mit wissenschaftsbasierten Stufenplänen kommen wir aus dieser Pandemie heraus. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Laumann, das war ein wirklich beeindruckender Vortrag, den Sie hier gehalten haben.

(Beifall von der CDU)

Das Problem ist nur: Es ging nicht um die Sache; es ging um Sie.

(Zuruf von der CDU: Blödsinn! – Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Quatsch!)

Sie haben sich hier hingestellt und in einer aus meiner Sicht wirklich atemberaubenden, ich will fast sagen, Arroganz oder Eigenliebe hier präsentiert.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE] – Zurufe von der CDU: Oh!)

Sie haben über sich und Ihr Amt gesprochen anstatt über die Probleme, die bei diesem Thema anstehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute steht eine wegweisende Ministerpräsident*innenkonferenz an, und morgen werden wir darüber diskutieren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Und dieser Ministerpräsident resümiert darüber, ob die Oberbürgermeister*innen und Landrät*innen das Thema „SORMAS“ in Nordrhein-Westfalen eingeführt haben.

(Dr. Günther Bergmann [CDU]: Er ist nicht der Ministerpräsident! Er ist Minister!)

Er hat nichts zu meinen Fragen gesagt, bei denen es um Folgendes ging: Was ist denn mit dem RKI-Plan? Was ist mit der Inzidenz? Was ist mit der Beratung des Ministerpräsidenten?

(Zuruf von Dr. Günther Bergmann [CDU])

Nein, Sie haben eine kleinkarierte, selbstverliebte Bespiegelung gemacht. Und das ist der Sache nicht angemessen, Herr Minister.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Eines kann ich Ihnen auch sagen: Wenn es Ihnen zu viel wird – es gibt genügend Leute, die den Job auch machen wollen, Herr Minister.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wenn Sie der Sache nicht gewachsen sind, dann sagen Sie es diesem Parlament.

(Unruhe – Henning Rehbaum [CDU]: Wollen Sie das etwa machen?)

Noch einmal zur Frage dann nach vorne: Mittlerweile ist mir klar, warum der Krisenstab in Nordrhein-Westfalen nicht eingerichtet wird – weil möglicherweise die Kommunikation mit dem dann zuständigen Innenministerium auch überschaubar ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines will ich an dieser Stelle noch einmal sagen, weil das Thema „Impfen“ von hoher Bedeutung ist und weil das auch morgen ein wichtiges Thema ist: Ich will Sie ausdrücklich für den Erlass loben, der am 1. März herausgekommen ist. Plötzlich ist aufsuchendes Impfen möglich; plötzlich ist Impfen beim Pflegegrad 5 möglich – viele Punkte, die wir Ihnen auch vorgetragen haben.

Das Thema „SORMAS“ haben wir und die SPD im September/Oktober letzten Jahres angesprochen.

Ausdrücklich danken möchte ich auch der Fachabteilung für die Antwort auf die Frage zum Thema „Luca“ und zu fraglichen Punkten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, ich muss an dieser Stelle sagen: Eine solche Auseinandersetzung, in der Kollege Sieveke damit anfängt, die gesamte Bundespolitik anzumachen und von der Verantwortung abzulenken, hilft uns nicht weiter. Wir müssen hier dafür sorgen, dass die Menschen bei der Stange bleiben, dass wir diese Pandemie geordnet bearbeitet bekommen und dass wir eine Öffnungsstrategie machen, die sorgsam und vernünftig vorbereitet ist. Das ist unser Job – und nicht das, was Sie hier gerade abgeliefert haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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