Mehrdad Mostofizadeh: „Jetzt hat der Bund diese Löcher gestopft, aber der Eimer bleibt immer noch leer“

Antrag u.a. der GRÜNEN im Landtag zum kommunalen Altschuldenfonds

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Kurz vorweg zum Verfahren: Wir werden den Anträgen der SPD – sowohl dem, der aus der Anhörung wiederkommt, als auch dem Entschließungsantrag – zustimmen.
Ich möchte …
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Hemmungslos?)
– Josef Hovenjürgen, ich würde an deiner Stelle als Sprecher der Verbandsversammlung des RVR jetzt sehr gut zu hören; denn die ist in ganz besonderer Weise betroffen.
Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass ich es für eine sehr gute Nachricht halte, was wir aus Berlin gehört haben. Das sage ich ja äußerst selten. Das gilt auch für Sie: Meistens machen sich CDU und SPD gegenseitig dafür verantwortlich, was im Bund alles nicht läuft. Aber dass die KdU-Beteiligung, diese strukturelle Entlastung, jetzt aus Berlin gekommen ist, ist eine sehr gute Nachricht für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen. 1 Milliarde Euro Entlastung pro Jahr – Respekt; das war die richtige und auch die notwendige Entscheidung im Hinblick auf die Sozialkosten. Vielen Dank dafür.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Josef Hovenjürgen [CDU])
Dann schaue ich mir an, was Nordrhein-Westfalen in diesem Zusammenhang zuvor immer bekundet hat. Ich kann mich an ein Bild erinnern, bei dem es hieß, man dürfe keinen Altschuldenfonds machen, weil man erst einmal die Löcher im Eimer stopfen müsse, bevor man Wasser hineingieße.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Richtig!)
Jetzt hat der Bund diese Löcher gestopft, aber der Eimer bleibt immer noch leer.
Aber es ist noch viel dramatischer. Diese Ministerin hat erklärt – und zwar mehrfach und wörtlich –: Die Zeit drängt; wir brauchen jetzt einen Altschuldenfonds. – „Jetzt“ war nicht im Jahr 2020, sondern im Januar 2019 bzw. sogar in der Winterpause. Sie hat in einer Vorlage an den Landtag ausdrücklich klargestellt, dass nicht nur eine Zinshilfe kommen soll, sondern dass eine Entschuldung der Kommunen stattfinden soll.
Leider hat der Finanzminister gerade den Saal verlassen. Er hat gesagt, er sei dafür, dass man auch mal Schulden zurückzahlt. Das scheint aber nur für das Land zu gelten. Die Kommunen sollen die Schulden weiterhin schultern – bis in alle Ewigkeit. Dafür sind CDU und FDP hier in Nordrhein-Westfalen zuständig, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Auch der Ministerpräsident Armin Laschet hat gesagt: Der Altschuldenfonds ist das drängendste Problem des Ruhrgebiets und anderer Kommunen in diesem Land.
Ich will es an dieser Stelle nicht nur politisch machen, weil wir es so intensiv fachlich diskutiert haben. Alle Sachverständigen, die am letzten Freitag zu der Anhörung zu dem Antrag geladen waren, haben ausgeführt, dass es falsch ist, auf eine Hochzinsphase zu warten, sondern dass man gerade die Niedrigzinsphase auszunutzen muss, um die Kommunen in Nordrhein-Westfalen von den Altschulden zu befreien.
Ich will es aber nicht nur abstrakt halten. Wir haben in Nordrhein-Westfalen die Mittel und auch die Wege, es zu machen. Wir sprechen hier über ein Volumen von knapp 23 Milliarden Euro. Eigentlich sind es 21,5 Milliarden bis 22 Milliarden Euro, die zum Stichtag Ende Februar an Altschulden, Kassenkrediten und unechten Kassenkrediten aufgelaufen sind. Das ist unter anderem der Fall – Frau Vogt guckt so angestrengt –, weil zum Beispiel eine Stadt wie Duisburg, die hinsichtlich der finanziellen Einnahmen alles andere als prosperierend ist, dreistellige Millionenbeträge an Altschulden abgebaut hat, weil sie hart konsolidiert hat.
Was sagen uns die Sachverständigen? – Das schwerwiegendste Problem sind die Disparitäten zwischen den Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen. Es ist richtig, bei den Soziallasten alle zu entlasten, aber jetzt sollen diejenigen, die eigentlich in Schulen und Straßen – also Radwege –, in die Stadtplanung, in Karstadt oder in die Innenstadt investieren müssten, ihre Altschulden selbst abzahlen. Das ist doch schäbig, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Frau Ministerin, deswegen bin ich wirklich entsetzt über Ihr Vorgehen. Sie werden gleich wahrscheinlich dieses Konglomerat vortragen, bei dem Herr Laschet gestern nicht in der Lage war, es fehlerfrei vorzutragen,
(Zuruf: Schäbig! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)
in dem es darum geht, was das Land angeblich alles investiert. Ich kann Ihnen nur sagen: Strukturell ist das Land nicht bereit, den Kommunen zu helfen. Sie kompensieren Bundesanteile bei der Gewerbesteuer – das ist sehr gut –, und Sie machen auch einige Landesförderprogramme, die ich gar nicht bemäkeln will.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Hovenjürgen?
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Selbstverständlich.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist nett von Ihnen.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Aber meine Redezeit stoppt dann ja.
Josef Hovenjürgen (CDU): Herzlichen Dank, lieber Herr Kollege Mostofizadeh, dass Sie mir die Zwischenfrage gestatten.
Wenn wir schon mit dieser Form der Aufrechnung agieren, wie Sie es eben getan haben: Haben Sie denn eine Erklärung dafür, warum das Land Niedersachsen die Kosten für den Fonds „Deutsche Einheit“ als Land trägt, während die damalige rot-grüne Landesregierung es den Kommunen, von denen sie wusste, dass sie die Mittel dafür nicht haben, als Aufgabe übertragen hat?
(Beifall von der CDU)
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Vielen Dank für diese Frage, Herr Kollege. Erstens: Ich blicke meistens nach vorne, aber Sie können ja nostalgisch unterwegs sein.
(Lachen von der CDU)
Aber der entscheidende Unterschied ist – da haben Sie mir eine sehr gute Steilvorlage gegeben –: Rot-Grün hat in Nordrhein-Westfalen jährlich 440 Millionen Euro investiert, um überhaupt dafür zu sorgen, dass die Städte und Gemeinden, die unter besonderen Belastungen leiden, ihren Haushalt ausgleichen können.
(Christian Dahm [SPD]: So ist das!)
Jetzt ist es so, dass dieses Geld nicht mehr gebraucht wird. Herr Kollege …
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] unterbricht seine Rede, da Josef Hovenjürgen [CDU] sich für ein Gespräch mit einer Fraktionskollegin abwendet.)
– So viel zum respektvollen Umgang miteinander, den Sie ja immer anmahnen.
(Beifall von Stefan Zimkeit [SPD] – Zurufe von der CDU und der FDP: Oh! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Ja, ich höre dir zu!)
Diese 440 Millionen Euro haben die Kommunen mittlerweile kompensiert. Das Land wird ab 2021 keinen Cent mehr investieren müssen. Wir schlagen schlicht vor: Nehmt diese 440 Millionen Euro, packt noch 50 Millionen oder 60 Millionen Euro drauf – das wird man dann entsprechend dem Modell der NRW.BANK sehen müssen – und entschuldet die Kommunen nach 30 Jahren vollständig. Sie müssten nur das fortführen, was wir angefangen haben. Dann hätten wir die Lösung des Problems. Das schlagen wir Ihnen heute ganz konkret vor, Herr Kollege Hovenjürgen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Warum wählen Sie diese Lösung nicht? – Und das angesichts des Kontextes: 2 Milliarden Euro Minderausgaben bei den Kosten für die Flüchtlingsunterbringung, und Sie wollen allen Ernstes 440 Millionen Euro bei den Kommunen einsparen? Sie sperren sich dagegen, die am stärksten verschuldeten Kommunen mit einem Altschuldenfonds zu entlasten.
Wir machen Ihnen den konkreten Vorschlag: Nehmen Sie 500 Millionen Euro aus der Landeskasse, also quasi eine Fortschreibung dessen, was im Stärkungspakt gezahlt worden ist, nehmen Sie das, was die Kommunen ohnehin an Zinsleistungen erbringen müssen, und sorgen Sie für eine vollständige Entschuldung.
Suchen Sie nicht nach Ausreden. Falls Sie gleich damit kommen, dass das doch irgendwo auf der Tagesordnung steht: Ich werde es ganz klar vortragen – und zwar nicht erst seit heute. Wir werden es Ihnen so lange erzählen, bis Sie endlich eine Lösung auf den Tisch legen – und wenn es Ihnen aus den Ohren herauskommt, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP.
Die bessere Lösung: Stimmen Sie heute zu. Dann sind Sie gemeinsam mit uns dabei, diesen Altschuldenfonds aufzulegen. Das wäre eine Lösung für alle Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen. Dann wären wir echt einen Schritt weiter, und es wären wieder faire Verhältnisse hergestellt. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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