Mehrdad Mostofizadeh: „Herr Minister: Wie wäre es mit einem Krisenstab?“

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der GRÜNEN im Landtag zum Impfstrategie des Landes

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser würdevollen Abstimmung über die Mitglieder der Bundesversammlung möchte ich allen Beteiligten ganz herzlich gratulieren.

Jetzt möchte ich mich dem Gesundheitsminister widmen, der ja freundlicherweise mal auf die Opposition hört.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ach ja!)

Das ist sehr anständig. Herr Minister – das muss ich konstatieren –, Sie haben gestern vollumfänglich eingeräumt, dass die Angabe der vier Wochen in dem Erlass schlicht ein Fehler war. Dem gebührt Respekt! Dass man das hier so klar an das Parlament adressiert und auch Fehler einräumt, ohne in Sack und Asche gehen zu müssen, das ist völlig in Ordnung. Ich finde die jetzige Regelung deutlich nachvollziehbarer als das, was vorher in dem Erlass stand.

Das unterscheidet Sie im Übrigen durchaus von Kabinettskolleginnen, die immer noch der Meinung sind, dass die Räumung des Hambacher Waldes eine Superidee gewesen ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte trotzdem kurz auf die Geschichte zurückkommen. Natürlich sind einige Punkte jetzt durch Ihr Handeln erledigt worden, aber einige Punkte eben auch nicht. Der allerwichtigste Punkt, der nicht erledigt worden ist, ist das Chaos in der Kommunikation. Sie haben drei Erlasse, also den 11., 12. und 13. Erlass, in wenigen Tagen gemacht.

Ich habe letzte Woche im AGS nachgefragt: Was ist mit den Weihnachtsfeiertagen, was ist mit Neujahr? Da waren Sie noch der Auffassung: Man muss es verbieten und darf es nicht in die Hände der Kommune geben. – Das haben Sie mittlerweile ausgeräumt.

Ich habe letzte Woche gefragt: Was ist mit den Booster-Impfungen? Da haben Sie gesagt: Alles ist super, es läuft auch alles super.

Ich kann nur an Folgendes erinnern: Sie haben den Kommunen bis zum 5. November untersagt, in Impfbussen und an anderen Stellen Booster-Impfungen durchzuführen, obwohl die Gesundheitsministerkonferenz am 09.08. anders entschieden hatte, und zwar mit Ihrer Stimme und auch mit Stimme von Herrn Spahn, bei dem man sich seit Juni dieses Jahres fragen muss, welchem Job der Mann nachgegangen ist – zumindest nicht seiner Aufgabe als Bundesgesundheitsminister.

Auch in Richtung CDU-Fraktion kann ich nur sagen: Man kann sich seine Kolleginnen und Kollegen in Berlin vielleicht nicht immer aussuchen, aber aus Ihrer Fraktion wird tatsächlich adressiert, bei den Impfungen laufe alles super, wir hätten genug Impfstoff, und Karl Lauterbach solle doch nicht die Hütte anzünden, um selbst Feuerwehrmann spielen zu können.

Ich sage Ihnen: Das liegt schon in der Verantwortung aller Gesundheitsminister. Wenn man eine Entscheidung trifft, nach sechs Monaten boostern zu wollen, dann muss man auch wissen: Haben wir die Ärztinnen und Ärzte dafür? Haben wir den Impfstoff dafür? – Offensichtlich war beides nicht vorgeplant.

Wir hatten in Nordrhein-Westfalen nicht die Ärztinnen und Ärzte dafür. Sie haben erst im November angefangen, das vorzuplanen. Deswegen hatten wir die Bugwelle, die jetzt aufgelaufen ist. Ich gebe mal eine ganz steile Frage in den Raum, Herr Minister: Wie wäre es mit einem Krisenstab?

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Dieser Krisenstab könnte einerseits die Kommunikation mit den Kommunen übernehmen, und er könnte für Ordnung in der Landesregierung sorgen. Darauf komme ich gleich noch zurück.

Dieser Krisenstab könnte sich andererseits mit der Bundesregierung abstimmen, die ja ihrerseits einen Krisenstab eingerichtet hat und klugerweise jetzt nicht nur ab und zu, sondern auch institutionell auf den Rat von Expertinnen und Experten hört. Auch das wäre ein kluger Vorschlag, Herr Minister Laumann, dass Sie sich mal abstimmen.

Stichwort „Koordination in der Landesregierung“, die es auch jetzt wieder nötig hat, uns zu beehren: Da haut der Ministerpräsident Wüst eine Idee nach der anderen raus, zum Beispiel die durchaus nachvollziehbare Idee, dass man ja fürs Impfen neben der KV-Struktur vielleicht eine öffentliche Struktur installieren könnte. Dann habe ich im AGS nachgefragt: Was sagt das Gesundheitsministerium dazu? Die Rückmeldung war: gar nichts. Das ist im Gesundheitsministerium noch gar nicht angekommen.

Dann gibt es eine Schulministerin, die in „Westpol“ vor laufenden Kameras erklärt: Was habe ich mit den Impfungen in den Schulen zu tun? Das ist doch Aufgabe von anderen, das müssen doch andere erledigen.

(Zuruf von Marc Lürbke [FDP])

Frau Ministerin, doch, es ist Ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten dieses Landes die Möglichkeit haben,

(Dietmar Brockes [FDP]: So ein Stuss! – Marc Lürbke [FDP]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

schnell und konzentriert geimpft zu werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN – Marc Lürbke [FDP]: Das ist doch eine Unverschämtheit!)

Innenminister Reul erklärte in der gleichen Sendung, dass er – und das fand ich sehr respektabel – unterwegs ist, um den Impfstatus der Beschäftigten abzufragen und dafür zu sorgen, dass sie die Chance haben, zügig an der Arbeitsstelle oder im Arbeitsumfeld geimpft zu werden.

Lieber Herr Gesundheitsminister, wo waren Sie eigentlich, als die Maskenpflicht gefallen ist und verschiedene andere Punkte geregelt wurden? Nehmen Sie doch das Heft des Handelns wieder in die Hand. Sorgen Sie dafür, dass Ihr Kabinett einheitlich argumentiert, oder geben Sie die Aufgabe an den Chef der Staatskanzlei respektive an die Staatskanzlei ab, damit der Ministerpräsident das dann koordinieren kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist kein konsistentes Bild. Das führt zu Chaos, und das führt auch zu Verunsicherung in der Bevölkerung an Stellen, an denen es völlig überflüssig, völlig unnötig und inakzeptabel ist und an denen man handeln könnte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielleicht könnten Sie mir an der Stelle, Herr Minister – Sie haben auch gleich Redezeit –, ein bisschen Nachhilfe geben. Vielleicht habe ich es einfach nicht gelesen oder nicht verstanden. Ich würde gerne wissen: Was ist Ihre Einschätzung? Haben wir genug Impfstoff, oder haben wir nicht genug Impfstoff? Wie wird die Impfkampagne in den nächsten Wochen und Monaten weitergehen?

Den nächsten Punkt hatte ich im Ausschuss schon angesprochen: Ich kann bis heute nicht verstehen, warum weder das Land noch der Bund ihren Aufgabe nach § 3 des Infektionsschutzgesetzes in ausreichendem Maße nachkommen. Darin steht nämlich, dass die öffentliche Hand für die Aufklärung über die Gefahren von Epidemien und massiven Infektionskrankheiten zuständig ist. Ich habe manchmal den Eindruck – das war auch eine Frage im Unterausschuss Pandemie –, dass man glaubt, dafür sei der WDR zuständig, dafür seien die Zeitungen zuständig. Ja, die können helfen. Ja, die können übersetzen, die können ihren Teil dazu beitragen. Gott sei Dank tun das auch große Unternehmen. Auch sie haben sich jetzt auf den Weg gemacht, um eine gute Impfkampagne mit auf den Weg zu bringen.

Aber eigentlich wünsche ich mir, dass Tag und Nacht und zu guten Zeiten auf Instagram, auf Facebook, in Social Media, im Radio, in den Zeitungen und überall unsere führenden Leute das artikulieren, was auch der Präsident eben gesagt hat: Liebe Menschen, liebe Bevölkerung, lassen Sie sich impfen! Lassen Sie sich über die Gefahren aufklären! Gehen Sie nicht auf Russia Today, sondern lassen sich in Kampagnen, die die Kommunen mit Unterstützung des Landes und mit viel Geld der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung organisieren, schulen, und dann übertragen Sie diese Kommunikation.

Dazu bedarf es aber eines konsistenten Konzeptes, und das ist in dieser Landesregierung, Stand heute zumindest, nicht zu erkennen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Laumann, natürlich ist es sensationell gut, in welcher Geschwindigkeit im Moment geimpft wird. Ich kann nur allen, die daran beteiligt sind, meinen herzlichen Dank aussprechen, auch den in Ihrem Haus Beteiligten.

Dummerweise gibt es jedoch einen Umkehrschluss. Sie haben am 9. August 2021 – ich kann es nur immer wieder betonen; das ist in Protokollen des Deutschen Bundestages nachlesbar, denn das ist die Begründung zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes gewesen – als Gesundheitsministerkonferenz beschlossen, die Menschen nach sechs Monaten – und nicht irgendwie, irgendwann oder in Abhängigkeit davon, was das RKI dazu sagt – zu boostern. Dann ist es nur noch eine Rechenaufgabe, wer wann geimpft wurde und wann die Drittimpfungen anstehen. Ihr Haus hat uns das Ergebnis dieser Rechenaufgabe freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

In der Sitzung vor vier Wochen haben wir dann festgestellt, dass es eine Bugwelle von zweieinhalb Millionen nicht geimpften Personen gibt.

(Zuruf von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales)

– So war es halt, Herr Minister. – Da kann ich nur sagen: Es ist gut, dass jetzt so schnell geimpft wird,

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ja!)

aber es war schlecht, dass Sie zwei Monate diesem Impfen im Weg gestanden haben. – Das ist doch auch Teil der Wahrheit, wie wir heute konstatieren müssen.

(Beifall von den GRÜNEN – Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Nein, das ist nicht wahr!)

Was die Impfpause an Weihnachten betrifft, bin ich sehr allergisch. Ich komme selbst aus der Pflege und weiß, wie kritisch es ist, Weihnachten und Neujahr die Dienstpläne gefüllt zu bekommen.

(Susanne Schneider [FDP]: Aha!)

Sie suggerieren, dass die von Ihnen verordnete Impfpause im Umkehrschluss nur dazu gedient hat, den Menschen, die gerne arbeiten wollen, die Arbeit zu verunmöglichen, und konstruieren damit einen Arbeitsdruck. Das ist schlicht falsch. Ich habe Ihnen in der Sitzung nur die Frage gestellt, warum Sie diese Impfpause machen. Dann haben Sie gesagt: „Wir müssen das tun, weil die Leute das gewünscht haben“, wie Sie es heute auch behauptet haben. Das haben wir doch nicht erfunden. In den Schreiben aus den Kommunen steht, dass sie es für falsch halten, und wird gebeten, zu erlauben, es so zu konzipieren, wie sie es wollen.

Die Wahrheit ist doch: Auch ein niedergelassener Internist oder sonstiger Arzt organisiert seine Impfungen so, dass er Impftage einrichtet, an denen er mehr impft als an anderen Tagen, da er sich schließlich nicht teilen kann.

Ich will daraus auch keinen Staatsakt machen. Aber zu suggerieren, daraus würde eine Arbeitspflicht entstehen, fand ich nicht in Ordnung.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE] und Josefine Paul [GRÜNE])

Herr Kollege Schmitz, ganz kurz dazu, warum es vielleicht doch eine super Idee wäre, hier einen Krisenstab einzurichten und etwas konzertierter zu arbeiten: Sie haben sich ja bemüht – das erkenne ich auch an; das muss man als Regierungsfraktion auch tun –, alles etwas schöner zu färben, als es eigentlich ist.

(Marco Schmitz [CDU]: Ich mache das von Herzen gern!)

Wenn man am 9. August 2021 – ich will das noch einmal in Erinnerung rufen, weil mir das wirklich wichtig ist – beschließt, dass alle Menschen in Nordrhein-Westfalen nach sechs Monaten – und bei einigen Impfstoffen früher – geboostert werden, dann guckt man doch einfach in den Impfplan, um zu erfahren, wie viele Menschen in Nordrhein-Westfalen geimpft worden sind, und macht einen Plan, wie viel Impfstoff und welche Kapazitäten man braucht.

Die Wahrheit ist, dass im Oktober, als der Sechs-Monats-Zeitraum für Millionen von Menschen in Nordrhein-Westfalen schon abgelaufen war, 80.000 Menschen in der Woche – das sind Zahlen der KV – geimpft wurden. Jetzt sind es 800.000 bis 1,4 Millionen.

Das macht doch deutlich, dass es schlichtweg keine Planung gab. Es zeigt nicht, dass schlechtes Wetter gewesen wäre oder uns jemand daran gehindert hätte, sondern, dass nicht in einem Krisenstab konstruktiv vorgeplant worden ist, dass nicht mit den Kommunen gesprochen worden ist und dass nicht mit den KVen gesprochen worden ist. Das ist das, was uns ärgert – und nicht, dass unsere Institutionen nicht in der Lage wären, dies zu tun.

Sie müssen besser planen. Sie müssen besser kommunizieren. Sie müssen Fachleute in die Regierung hineinholen. Diese Regierung muss konsistent handeln. Das ist der schlichte Unterschied, den wir hier bemängeln.

(Beifall von den GRÜNEN)

Noch einen Punkt will ich ansprechen – jetzt ist die Schulministerin hinausgegangen –, weil mir das wirklich wichtig ist. Wir als Land mit unseren Hunderttausenden von Beschäftigten – allein rund 200.000 Beschäftigte in der Schule – haben doch die verdammte Pflicht, mit gutem Beispiel voranzugehen. Ich verstehe nicht, wie man sich so aus der Affäre stehlen und sagen kann: Für das Impfen sind die Ärztinnen und Ärzte zuständig. – Das ist zwar faktisch richtig. Aber es muss die Struktur dafür geboten werden, dass diejenigen, die sich boostern lassen wollen … Das sind ja alles hoch motivierte Menschen. Sie haben sich schon zweimal impfen lassen. Sie stellen nicht die Frage, ob die dritte Impfung notwendig ist. Es gibt in den Schulen ganz viele Menschen, Lehrerinnen und Lehrer, die sich boostern lassen wollen. Warum geben wir denen nicht die Möglichkeit, das zügig in den Schulen zu organisieren? Das Gleiche gilt für die Kindertagesstätten und viele andere Bereiche. Das ist doch nicht zu viel verlangt. Sich so aus der Affäre zu stehlen wie die Schulministerin, ist schlichtweg merkwürdig, unanständig und widerspricht sogar dem Stil des Innenministers. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

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