Mehrdad Mostofizadeh: „Es ist keine Wahlfreiheit, wenn Menschen im Alter in eine Sondereinrichtung ziehen müssen“

Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zum Leben im Alter

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich so wohlwollend wäre wie die Kollegin Altenkamp, hätte ich auch gesagt: Dagegen, dass sich die Einrichtungen der standardisierten Altenpflege ins Quartier öffnen, kann man ja nichts haben; dann kann man sich auch enthalten.
Nur die Reden von Frau Schneider und auch schon von Frau Oellers haben deutlich gemacht, worum es eigentlich geht. Es geht darum, dass CDU und FDP ganz bewusst größere Altenpflegeeinrichtungen fördern und sie hinterher umstreichen wollen, damit sie sich ins Quartier öffnen.
Das ist nicht unsere Politik, und das verändert die Situation in Nordrhein-Westfalen sogar zum Negativen. Deswegen werden wir Grüne am Ende gegen diesen Antrag stimmen – auch weil Sie es noch nicht einmal für nötig halten, diesen Umstand im Ausschuss zu diskutieren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich finde aber auch, dass Sie ein ziemlich merkwürdiges Bild von älteren Menschen haben. Nehmen wir mal das Wort „Wahlfreiheit“: Es ist keine Wahlfreiheit, wenn Menschen im Alter in eine Sondereinrichtung ziehen müssen. Es hat mit Wahlfreiheit nichts zu tun, ob man sich das Pflegeheim A oder B aussuchen kann.
Wahlfreiheit wäre – dazu hat Frau Altenkamp schon einiges gesagt –, wenn man sich zum Beispiel bei der Landesbauordnung die Mühe gemacht hätte, dafür zu sorgen, dass Men- schen in allen Stadtteilen einer Stadt leben können, wenn man sich die Mühe machen würde, eine Infrastruktur so auszugestalten, dass die Frage der Einsamkeit …
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
–  Lieber Josef Hovenjürgen, um das einmal sehr klar zu sagen: Wenn ihr noch nicht einmal bereits seid, den Bedarf zu erheben, wo barrierefreie Wohnungen sein sollen, wo Stadtteile infrastrukturell ausgebaut werden sollen, wo der ÖPNV für Menschen mit Behinderung zu- gänglich sein soll, habt ihr euch aus dieser Diskussion abgemeldet. Da müsst ihr nicht immer dazwischen quatschen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsident André Kuper: Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Von?
Präsident André Kuper: Von der Kollegin Oellers.
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Das lasse ich zu. (Bodo Löttgen [CDU]: Wahlfreiheit ist das!)
Britta Oellers (CDU): Vielen Dank, Herr Kollege. Es freut mich sehr, dass ich eine Frage stellen kann. Ich habe folgende Frage: Woran machen Sie fest, dass wir die Öffnung nur für große Einrichtungen vorsehen? Davon hat doch niemand von uns irgendetwas gesagt.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Richtig!)
Wir haben von keiner Größe gesprochen. Es gilt die Situation, dass jedes Seniorenheim ein Anker im Wohnumfeld sein kann – egal, wie groß es ist.
(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Kollegin! Über den Punkt, ob sie groß oder klein sind, rege ich mich gar nicht auf.
(Henning Höne [FDP]: Das muss aber der einzige Punkt sein!)
Nur Ihre Sichtweise, dass offensichtlich nur das Pflegeheim die Möglichkeit hat, im Quartier Arbeit zu machen – das ist es, was ich völlig merkwürdig finde, Frau Kollegin Oellers.
Sie haben den Ansatz nicht einmal verstanden. Es geht bei der Quartiersarbeit nicht darum, die Menschen auszuschließen, sondern Quartiersarbeit heißt, in einem bestimmten Umfeld Menschen zu unterstützen, und zwar bedarfsgerecht zu unterstützen. Sie schreiben es sogar in einem Punkt am Ende Ihres Antrags. Dort heißt es, Ankerpunkte in Kommunen zu erpro- ben, die als Anlaufstellen dienen. Sie haben den Antrag ja selber gelesen.
Sie wollen auf der einen Seite diese größeren Heime fördern, und auf der anderen Seite mer- ken Sie, dass Quartiersarbeit notwendig ist. Gleichzeitig kürzen Sie das Programm „Wohnen im Alter“, kürzen das ZWAR-Programm und, und, und. Das ist keine konsistente Politik, son- dern Sie laufen der FDP-Maxime „Privat vor Staat“ hinterher, und auf der anderen Seite wollen Sie es umetikettieren. Das ist keine konsistente Politik.
(Zurufe von der FDP – Zuruf von Henning Höne [FDP])
–  Herr Höne, um das an der Stelle deutlich zu sagen: Wenn Sie das alles so anstrengend finden, müssen Sie nicht hier sein. Mir ist das Thema so wichtig, weil Sie hier Strukturen zerschlagen, die über Jahre aufgebaut worden sind. In Nordrhein-Westfalen wäre es wirklich notwendig, Selbstbestimmung ernst zu nehmen, behinderte Menschen ernst zu nehmen, Menschen im Alter ernst zu nehmen und nicht immer so zu tun, als wenn man sie in Sonder- institutionen wegsortieren kann.
(Zurufe von der CDU)
Das ist keine Selbstbestimmung. Das ist das Gegenteil von Selbstbestimmung. Und das ma- chen Sie jetzt wieder mit diesem Antrag und Ihrem Verhalten, das Sie heute an den Tag legen.
(Beifall von den GRÜNEN – Ralph Bombis [FDP]: Sie zeigen völlige Unkenntnis!)
–  Dass Interessenvertreter hier auch noch reinrufen, ist von besonderer Bedeutung. (Erhebliche Unruhe – Glocke)
Sie verdienen das Geld damit; das ist Ihr gutes Recht. – Ich möchte, dass wir in Nordrhein-
Westfalen …
(Zurufe – Ralph Bombis [FDP]: Das ist wirklich eine Unverschämtheit!)
Frau Kollegin Oellers, ich nehme mal eine positive Brücke: Wenn Sie es ernst meinen würden, einen positiven Ansatz zu verfolgen, dann sollten wir diesen Minister auffordern, die kommu- nale Pflegeplanung zur Standardplanung in Nordrhein-Westfalen zu machen,
(Zuruf von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales))
bedarfsgerecht zu ermitteln, wie eine Stadtentwicklung stattfinden sollte, damit auch jüngere Menschen mit Behinderung zum Beispiel in einem Stadtteil leben können. Das sollte man zum Standard der Politik machen. Sie wollen wieder „stationär vor ambulant“ als Standard machen.
(Susanne Schneider [FDP]: Das sagt kein Mensch! – Ralph Bombis [FDP]: Das ist Unsinn!)
Sie wollen wieder größere Einrichtungen. Sie wollen die Quartiersentwicklung zurückschrauben. Das finde ich höchst bedauerlich. Es ist nicht das, was die Menschen wollen. Die Menschen wollen genau das Gegenteil.
(Zuruf von Susanne Schneider [FDP])
Sie haben versucht, das in Ihrem Vorspann in der Analyse zu beschreiben. Frau Kollegin Schneider, Sie haben es in Ihrem Vortrag in ganz großer Offenheit auch vorgetragen. Weil die Sommerpause naht: Denken Sie noch einmal über den Punkt nach! Ich glaube, dieser Antrag wird sowieso an der Politik in Nordrhein-Westfalen gar nichts verändern.
(Henning Höne [FDP]: Genau wie Sie!)
Schade ist, dass Minister Laumann, der es besser wissen müsste, an der Stelle eine Politik gegen die Kommunen macht und die positiven Ansätze, die in Nordrhein-Westfalen vorhanden sind, nicht weiterverfolgt. Er müsste es besser machen. Wir sind noch nicht gut. Das will ich sehr klar sagen.
Wir sind an einem Punkt, an dem erreicht worden ist, die Großeinrichtungen umzustrukturieren. Aber hinsichtlich dessen, was mit einer intensiven Stadtentwicklung zu tun hat, wäre jetzt Ihr Job, das aufzugreifen und das nicht auf zwei Ministerien zu verteilen, um dann froh zu sein, dass Sie nichts mehr damit zu tun haben. Das ist eine schlechte Politik.
(Beifall von den GRÜNEN)

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