Mehrdad Mostofizadeh: „Es darf kein Scheitern geben“

Unterrichtung der Landesregierung zum Start der Ruhrkonferenz

Mehrdad Mostofizadeh

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Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war auf die Rede des Ministerpräsidenten sehr gespannt, da wir uns erhofft hatten, Neues zu erfahren. Lieber Herr Ministerpräsident, wir haben nichts, aber auch gar nichts Neues erfahren, was das Ruhrgebiet nach vorne bringen soll.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich bin mir auch relativ sicher, warum Sie das Instrument der Unterrichtung gewählt haben: weil Sie nicht in der Lage waren, eine gemeinsame Erklärung der Landesregierung vorzulegen. Sie haben keine Vorschläge gemacht, was die Landesregierung tun will, um im Ruhrgebiet voranzukommen. Sie haben nicht beschrieben, was Ihre Floskeln im Konkreten bedeuten sollen. – Herr Ministerpräsident, Ihre Rede war eine einzige Enttäuschung für dieses Parlament und auch für die Menschen, die im Ruhrgebiet leben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Weil eben Herr Löttgen vorgeworfen hat, dass man nicht zu Beginn ein Scheitern prognostizieren sollte, will ich Ihnen ganz klar sagen: Es darf gar kein Scheitern geben. Die Menschen im Ruhrgebiet und auch in ganz Nordrhein-Westfalen können nicht scheitern. Was wir tun können, ist, ihnen das Leben schwerer zu machen und ihnen Ballast vor die Füße zu werfen.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das habt ihr doch gemacht! Abenteuerlich!)
Aber das ist nicht unsere Aufgabe. Dieser Ministerpräsident und diese Landesregierung müssen klar aufzeigen, wohin der Weg geht, und sollten sich nicht mit Floskeln hier zwölf Minuten lang vor dem Parlament blamieren. Das ist eine Blamage, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Ich will, weil Herr Minister Holthoff-Pförtner dafür auch zuständig ist, sagen: Es war ein schlechter Start. Wir haben bis heute nicht nur noch keine konkreten Vorschläge erfahren, sondern das, was ich bisher vernommen habe, ist, dass man sich mit dem Initiativkreis zusammengesetzt hat und dabei übereingekommen ist, einen Minister und jemanden aus der Zivilgesellschaft zu nehmen, die sich darum kümmern.
In allen Ehren, der Initiativkreis vertritt 70 Unternehmen im Ruhrgebiet, wir haben aber insgesamt 255.000 Unternehmen. Mit denen muss gesprochen werden, Herr Ministerpräsident, und nicht mit einem ausgewählten Kreis von dekorierten Menschen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ein zweiter Punkt, der mir sehr wichtig ist, was die Struktur betrifft, ist: Die fünf Millionen Menschen, die in der Ruhrregion leben, haben demokratisch verfasste Parlamente und auch eine Klammer mit dem Regionalverbund Ruhr.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Die habt ihr doch ausgebootet mit eurem Naturschutzgesetz!)
–  Was erzählst du denn?
Herr Ministerpräsident, ich gehe davon aus, dass Sie selbstverständlich auf diese Parlamente, auf die vielen klugen Köpfe im Ruhrgebiet zugehen und dass wir gemeinsam eine Struktur entwickeln, die uns nach vorne bringt. Denn das haben wir von der IBA Emscher Park gelernt: Nur mit einer konkreten Beteiligung der klugen und fleißigen Menschen im Ruhr- gebiet kann überhaupt etwas entstehen, und nicht von oben aufgepfropft. Das ist der völlig falsche Weg.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Meine Damen und Herren, eines will ich Ihnen sehr klar sagen: Wir reden heute sehr wohl über Geld. Denn ohne einen konkreten Entschuldungsfonds, der die kommunalen Haushalte im Ruhrgebiet, im Bergischen Dreieck und auch die anderen Kommunen, die davon betroffen
 sind, von den Kassenkrediten nicht entlastet, sind alle anderen Projekte Maskerade und führen in den Nebel und nicht dazu, dass die Kommunen im Ruhrgebiet handlungsfähig sind.
Das müssen wir sehr konkret heute oder spätestens in diesem Jahr hier entscheiden. Sonst wird das nichts mit der Ruhr-Konferenz.
(Beifall von den GRÜNEN)
Herr Ministerpräsident, Sie haben eben gesagt: Es ist keine Krisenzeit. Da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu. Das Land hat mehr Einnahmen denn je, und wir haben auch Einnahmen aus einem Stärkungspakt, der mit 350 Millionen € vom Land und mit etlichen zusätzlichen Mitteln dotiert ist. Nehmen Sie dieses Geld, Herr Ministerpräsident!
Nehmen Sie den Bund bei der Hand, Herr Kollege Kutschaty! Das muss ich Ihnen an dieser Stelle auch noch sagen: Das Verhalten der Bundesregierung mit Beteiligung der SPD ist hier alles andere als rühmlich gewesen. Die Sozialausgaben gehen weiterhin in die Höhe, die Beteiligung des Bundes ist nicht gekommen, und einem Altschuldenfonds, wie es unsere Fraktion im Bundestag seit acht Jahren immer wieder vorbringt, hat die SPD auch nicht zugestimmt. Wir wären ein ganzes Stück weiter, wenn wir es früher verabredet hätten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ein weiterer ganz konkreter Punkt, den Sie hier auch angesprochen haben, Herr Ministerpräsident, ohne irgendetwas auszuführen, ist das Thema Mobilität. Wir müssen im Ruhrgebiet – ich meine, auch in ganzen Land Nordrhein-Westfalen; aber im Ruhrgebiet ist es wie im Brennglas – eine Mobilität schaffen, die zunehmend ohne das Auto auskommt. Das Auto verbraucht einfach zu viel Platz. Wir brauchen ÖPNV; wir brauchen Strukturen, die das Fahrrad fördern, und da ist der Radschnellweg Ruhr sicherlich ein guter Ansatz.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will auch nichts schönreden. Der Radwegeanteil im Ruhrgebiet beträgt nicht einmal 10 %. In Essen sind es 8 %, und in den Nachbarstädten sieht es nicht besser aus. Das heißt, dass wir von den 25 %, die wir mindestens brauchen, sehr weit entfernt sind.
Dazu schlage ich Ihnen ganz konkret vor – das hat eine Enquetekommission in den Jahren 2002 bis 2005 übrigens auch schon einmal vorgeschlagen –: Machen Sie Förderbedingungen an das Ruhrgebiet von regionalen Förderkonzepten abhängig! Zwingen Sie die Kommunen meinetwegen dazu, darzulegen: Wo ist der Verkehrsnutzen, der überregional da ist, nicht nur von der Außenstadtseite bis zur Innenstadtseite? Das können Sie alles machen. Da haben Sie uns an Ihrer Seite. Das führt dazu, dass das Kirchturmdenken, was Sie immer auch beschreiben, eben nicht möglich ist. Das können wir gemeinsam und konkret miteinander verabreden. Aber setzen Sie nicht weiterhin einseitig auf die Autoförderung! Das führt in die völlig falsche Richtung.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ein weiterer Punkt, was das Stichwort Solidarität der Menschen im Ruhrgebiet anbetrifft: Ich habe diese Woche einen Artikel in der „Rheinischen Post“ gelesen, der mich, ehrlich gesagt,
wirklich geärgert hat. Ich habe als Kommunalpolitiker auch immer massiv dagegen mobil gemacht, dass einzelne Ruhrgebietsfürsten, weil sie sich selbst besser verkaufen wollten, kommunale Bündnisse oder interkommunale Kooperationen verhindert haben. Das stimmt. Das ist aber, glaube ich, nach meiner Beobachtung nicht viel anders als in manch anderen Regionen.
Aber anders war es beim Projekt „Kulturhaupthauptstadt 2010“, wobei man sehr wohl in der Region zusammengearbeitet hat. Dann gibt es das Projekt „IGA 2027“. Das mir persönlich das wichtigste Projekt, weil es zeigt, dass es auch wirtschaftlich so ist, ist die Umweltzone Ruhr. Ohne dass einzelne Städte in der Mitte einen Nutzen davon hatten, hat man sich gemeinsam von unten verabredet, diese Umweltzone zu bilden. Das zeigt, dass das Ruhrgebiet sehr wohl in der Lage ist, auf Egoismen zu verzichten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Dafür braucht man eine ganz konkrete Vorbereitung vom Land und ein Zugehen auf die Region. Dann funktioniert dort auch eine ganze Menge, wenn wir es denn wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zwei letzte Punkte, die Sie konkret beschrieben haben, für die Sie jedoch keine Lösung angeboten haben, möchte ich hier noch ansprechen. Wir waren am Montag auf einer Reise durch das Ruhrgebiet mit der Kommission „Für die Würde unserer Städte“. Dort haben wir unter anderem Thomas Kufen, den Oberbürgermeister von Essen, getroffen. Dort ging es um das Thema Integration. Herr Kufen hat gesagt – das fand ich beachtlich –, dass Essen und das ganze Ruhrgebiet sehr wohl bereit seien, die Menschen, die keine Heimat fänden, weil sie beispielsweise in Dresden oder Chemnitz abgelehnt würden, zusätzlich im Ruhrgebiet aufzunehmen.
Zur Wahrheit gehört dann aber auch, dass das, was die Kanzlerin uns gesagt hat, „Wir schaffen das!“, auch verbunden werden muss mit „Wie schaffen wir das?“. Wir brauchen eine klare Perspektive, dass der Bund für die Kosten der Integration einsteht, dass der Bund die Außenpolitik nicht auf dem Rücken der Städte ablädt und dass das Land – das haben Sie selbst auch gesagt – selbstverständlich in die Stadtteile, wo es am meisten brennt, die meisten Lehrerinnen und Lehrer und die meisten Sozialpädagogen schickt. Da haben Sie uns an Ihrer Seite, auch wenn Sie dann in die Schulen gehen, wo es nicht so schlimm ist, und sagen: Hier kommen die Leute heute nicht hin; wir brauchen die in Katernberg, in Altenessen, in der Gelsenkirchener Nordstadt usw. – Das müssen wir dann auch gemeinsam hier entscheiden. Das wäre eine klare Richtungsentscheidung dieser Landesregierung, wenn sie das denn tun will.
(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Herzliche Einladung!)
Letzter Punkt, das Thema „Arbeit“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege Kutschaty hat es vorhin angesprochen. Es war natürlich ein Fehler, das Thema „Produktionsschulen“ hier zu streichen und die Strukturen im Ruhrgebiet kaputt zu machen. Aber mir persönlich ist es ganz wichtig, heute von dieser Stelle aus zu sagen: Alles, was – neben dem Entschuldungsfonds für die Kommunen im Ruhrgebiet – über das hinausgeht, was wir heute tun, muss eine ganz wichtige Überschrift haben: Wir müssen Arbeitsplätze im Ruhrgebiet sichern und ausbauen.
Dazu gehören zwei Säulen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die erste Säule ist, dass wir zur Kenntnis nehmen, dass wir rund die Hälfte der Arbeitslosen in struktureller Arbeitslosigkeit haben, und für die brauchen wir Konzepte des sozialen Arbeitsmarktes. Deswegen muss das, was im Bund verabredet worden ist, Hand und Fuß bekommen. Ich habe die Befürchtung, dass es nur ein Anschlussprojekt ist für bereits vorhandene Programme. Herr Arbeitsminister, da brauchen wir jetzt sehr wohl konkrete Vorschläge, wie es gehen soll.
Außerdem brauchen wir Initiativen in Arbeit, die dazu führen, dass diejenigen, die an der Uni arbeiten, die in der Region etwas tun, in der Region bleiben und einen Anhaltspunkt haben, dort etwas zu machen.
Denn wir Menschen im Ruhrgebiet, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich lebe dort seit 45 Jahren, auch wenn in einen kleinen niedersächsischen Migrationshintergrund habe –, halten zwar nicht alle zusammen; das sind Geschichten. Aber im Ruhrgebiet gibt es sehr viele kluge Köpfe, die die Ärmel hochkrempeln und für diese Region stehen und auch arbeiten, egal, ob sie aus Schalke, Gelsenkirchen oder aus Katernberg kommen. Das ist aller Mühen wert, und das sollte hier heute auch sehr klar erklärt werden. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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