Mehrdad Mostofizadeh: „Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen sind das Rückgrat unseres Landes“

zur Unterstützung von Kommunen

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen sind das Rückgrat unseres Landes. Die Kommunen in Nordrhein-Westfalen sind diejenigen, die in der Coronakrise das operativ umsetzen müssen, was im Bund und im Land ausgedacht wird und auch umgesetzt werden soll. Deswegen sind die Kommunen in Nordrhein-Westfalen das wichtigste Rückgrat zur Bekämpfung in der Pandemiekrise.
Das sollte uns hier im Landtag dazu bringen, gemeinsam für Lösungen für die Kommunen in Nordrhein-Westfalen zusammenzustehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN und Christian Dahm [SPD])
Vor diesem Hintergrund möchte ich einen kleinen Rückblick in der Pandemiekrise vornehmen. In der Nacht von Rosenmontag, dem 24. Februar, auf Fastnachtsdienstag erreichte uns folgende Nachricht: In Gangelt im Kreis Heinsberg ist es zu einer Infektion gekommen. Sie kann zu einer großen Ausbreitung führen, weil dort die berühmte Kappensitzung stattgefunden hat. Man geht davon aus, dass diese Infektion zu weiteren Infektionen geführt hat.
Was hat Landrat Pusch gemacht? Er hat sofort reagiert. Er hat Schulen und Kitas geschlossen. Er hat für Abstandsgebote gesorgt. Er hat gezeigt, dass das Kreisgesundheitsamt reaktionsfähig ist, und hat gehandelt.
Nach meiner Einschätzung – niemand wird das unmittelbar beweisen können – hat das entschiedene Handeln dieses Landrates dazu geführt, dass uns größere Infektionsherde erspart geblieben sind. Das zeigt zumindest die dortige Entwicklung, die jetzt zu einer Normalisierung führt.
Gleich werde ich wieder versuchen, eine Brücke zu den Fraktionen zu schlagen. Ich kann aber überhaupt nicht verstehen, dass der Ministerpräsident sich bei „ANNE WILL“ hinsetzt und die Gesundheitsämter unseres Landes in einer so scharfen Form kritisiert. Das weise ich entschieden zurück, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ich zitiere einmal wörtlich, Herr Kollege Löttgen, aus dem, was dort gesagt worden ist:
Gesundheitsämter, zweites Beispiel: Das sind die Ämter, die in den letzten Jahren am meisten ausgeblutet wurden. Dann haben wir gesagt: Wir schicken Landespersonal aus den Ministerien in die Städte hinein, damit die helfen, all diese Auswertungen zu machen. – Sie haben es jetzt ohne das Land geschafft. Wenn nicht, hätten wir unsere Beamten aus Düsseldorf überall in das Land geschickt.
Ich führe den Gedanken einmal weiter. Nachdem Herr Pusch Ende Februar reagiert hat, hat zwei Wochen später noch das Fußballspiel Borussia Mönchengladbach gegen Borussia Dortmund vor über 60.000 Zuschauerinnen und Zuschauern stattgefunden. Wir haben im Gesundheitsausschuss darüber diskutiert. Ich will auch nicht sagen, dass ich eine klügere Entscheidung getroffen hätte. Aber dass sich der Minister nicht getraut hat, die entsprechende Entscheidung von Landesseite zu treffen, und erst in einer legendären Klarstellung deutlich wurde, dass das Land natürlich handlungsfähig ist und es über eine Landesverordnung, wie sie jetzt quasi alle drei Tage erfolgt, hätte regeln können, zeigt doch eines: Wir müssen zu- sammenstehen und sollten uns nicht gegenseitig beschimpfen.
(Zuruf von der CDU: Das machen Sie doch gerade!)
Es hilft überhaupt nichts, gegeneinander aufzubegehren. Wir müssen miteinander reden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich erspare Ihnen jetzt die Geschichte mit der Schule. Das wird ja heute noch ausführlich diskutiert werden.
(Christian Dahm [SPD]: Dann kann ich das ja noch mal sagen!)
Aber zumindest sei der Hinweis erlaubt, dass noch am 27. April alle drei kommunalen Spitzenverbände sehr ausdrücklich die Ausführungen des Ministerpräsidenten bei Frau Will zurückgewiesen haben. Das war nicht seine Sternstunde. Die kommunalen Spitzenverbände hatten sehr wohl schon Tage vorher auf die Probleme hingewiesen. Aber das können wir an anderer Stelle noch einmal besprechen.
(Unruhe)
Deswegen bitte ich um Folgendes, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil wir heute und an anderen Tagen hoffentlich mehrfach zusammensitzen werden: Wir haben sehr konkrete Probleme in den Kommunen
(Unruhe)
– Herr Geburtstagskollege – zu bewältigen. Sie sind vor allem auch finanzieller Art. Deswegen bin ich froh darüber, dass es gelungen ist, mit dem Antrag zum Infektionsschutzgesetz dafür zu sorgen, dass die Konnexitätsrelevanz eindeutig im Gesetz anerkannt worden ist. Das ist Punkt eins.
Ich bin auch froh darüber, dass die Ministerin – wir sind in dem Ausschuss ja durchaus in einem regen Austausch – sehr früh eine Regelung getroffen hat, die ich zuerst etwas um- ständlich fand. Aber immerhin: In § 81 Abs. 5 der Gemeindeordnung wurde klargestellt, dass die Liquidität der Kommunen auch in dieser schwierigen Phase erhalten bleiben muss. Das war ihr wichtig.
Auch der zweite Nachtragshaushalt sieht ja Liquiditätshilfen vor. Ich muss an dieser Stelle aber sehr klar sagen: Die Liquiditätshilfe allein nutzt gar nichts, weil die Zinsproblematik im Moment nicht der wichtige Punkt ist. Vielmehr geht es darum, dass wir am Ende des Tages klären müssen, wer die Geschichte bezahlt.
Deswegen fordern wir Grünen auch mit diesem Antrag sehr eindeutig, dass das Land in einem ersten Schritt 8 Milliarden Euro bereitstellt. Denn das ist erforderlich, um die schlimmsten Gewerbesteuer- und Einkommensteuerausfälle, die in diesem Land für die Kommunen auftreten, kompensieren zu können. Das müssen wir der Landesregierung heute unbedingt mit auf den Weg geben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN und Christian Dahm [SPD])
Diese Zahl habe ich mir nicht ausgedacht. Am 3. April 2020 wurde das entsprechende Gut- achten veröffentlicht. Herr Dr. Busch, ehemaliger Kämmerer aus Bochum, hat die Zahlen hochgerechnet. Dass diese Zahl valide ist, zeigt sich daran, dass sich unter anderem der Sprecher des Bündnisses „Für die Würde unserer Städte“, Herr Kämmerer Slawig – er ist CDU-Mann, also nicht unserer Partei zugehörig –, und auch der Bochumer Stadtrat genau auf diese Zahl bezogen haben. Auch die Stadt Mönchengladbach geht von einer Mehrbelastung in dreistelliger Millionenhöhe aus.
Herr Dr. Busch hat ausgerechnet, dass bis zu 8 Milliarden Euro an neuen Schulden – echten Schulden – auf die Kommunen zukommen. Da müssen wir gegensteuern. Da müssen wir etwas auf den Tisch legen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das müssen wir jetzt und sofort tun.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Zwei letzte Gedanken in diesem Zusammenhang: Was die Altschuldenproblematik angeht, erstaunt mich schon, dass Kollege Hafke aus Wuppertal bereits jetzt signalisiert hat, sie interessiere uns nicht mehr; diese Thematik sei abgefrühstückt. Nein! Sie haben gesagt und auch in Ihrem Koalitionsvertrag versprochen, dass die Altschuldenproblematik gelöst wird. Diese 23 Milliarden Euro sind nicht vom Tisch. Ganz im Gegenteil! Zu den 8 Milliarden Euro kommen die 23 Milliarden Euro hinzu. Sie müssen auf 30 Jahre abgezinst werden. Dafür müssen wir ein Konzept vorlegen. Das muss auch jetzt geschehen.
Der Familienminister hat eben gesagt, alles würde gelöst werden. Natürlich macht man in einer Pandemiephase operative Fehler. Das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber dass die Frage des Aufkommens für die Flüchtlinge im Flüchtlingsaufnahmegesetz immer noch nicht gelöst ist, hat mit der Pandemie nichts zu tun. Das Gutachten ist eineinhalb Jahre alt. Das Konzept hätte längst verabredet werden müssen, das Flüchtlingsaufnahmegesetz hätte geändert werden müssen, und für die Kommunen hätte etwas Wirkungsvolles auf den Tisch gelegt werden müssen. Auch das müssen wir der Landesregierung heute eindeutig mit auf den Weg geben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Noch zwei Bemerkungen, um die Dimension einzusortieren: Eine Stadt wie Essen hätte 180 bis 200 Millionen Euro zusätzliche Kosten. Deswegen – das habe ich schon einmal gesagt – ist es völlig irre, dass der Oberbürgermeister zusammen mit dem Kämmerer dort eine Haushaltsperre erlassen hat; denn dagegen kann man nicht ansparen.
Aus diesem Grund müssen wir diese Kosten nicht nur ab 2025 abzinsen, sondern sie auch gegenrechnen. Deswegen finde ich es auch unverantwortlich – das will ich zumindest der guten Ordnung halber sagen –, dass die Kita-Kosten nicht vom Land gegenfinanziert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP – bei der SPD gab es schon sehr klare Aussagen in diese Richtung –, lassen Sie uns gemeinsam Konzepte erstellen, die genau das   machen.   Das   war   die    Verabredung    aus   den   Diskussionen    im   Zuge    des
Infektionsschutzgesetzes. Geben Sie sich einen Ruck. Nehmen Sie diesen Antrag als Basis für einen starken Schulterschluss zwischen den Kommunen und dem Land Nordrhein-Westfalen. Dann kämen wir wirklich einen Schritt nach vorne. Dann würde die Krise dazu führen, dass Lösungen auf den Tisch gelegt werden, die uns in diesem Land Nordrhein-Westfalen gemeinsam helfen. Dafür werbe ich. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)