Mehrdad Mostofizadeh: „Der jetzige Fall ist so außergewöhnlich, dass wir außergewöhnliche Lösungen anbieten müssen“

Antrag der SPD-Fraktion zu Kurzarbeitergeld

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal bin ich der SPD-Fraktion dankbar dafür, dass dieser Antrag auf unserer Tagesordnung steht – auch wenn häufiger die Streitigkeiten innerhalb der Großen Koalition hier im Landtag ausgetragen werden; das ist dann eben so.
Ich will offen sagen, Herr Kollege Herter: Natürlich müssen wir gerade das Kurzarbeitergeld in den Vordergrund stellen. Dass Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davon betroffen sind, wie Herr Kollege Lenzen hochrechnet, ist eher ein Beleg dafür, dass das gemacht werden muss und da ausgeholfen werden muss. An dieser Stelle wir ganz bei Ihnen, Herr Kollege.
Nach dem Beitrag des Kollegen Lenzen bin ich eigentlich der Meinung, dass wir einen gemeinsamen Antrag hinbekommen müssten; denn auch zwei andere Punkte, die er angesprochen hat, sind völlig richtig.
Es ist geradezu aberwitzig, dass Solo-Selbstständige das Geld nicht für den privaten Lebensunterhalt verwenden dürfen. Wofür geht man denn sonst arbeiten, wenn nicht dafür?
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie müssen es auch versteuern! – Gegenruf von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Das ist auch gut so! Wenn sie hinterher wieder Geld verdienen, müssen sie es auch versteuern!)
Über die Frage, wo bei Künstlerinnen und Künstlern die Abgrenzung zwischen privatem Lebensunterhalt und künstlerischem Bedarf verläuft, kann man sich gerne mit den Steuerbeamtinnen und Steuerbeamten auseinandersetzen. Das wäre ein schönes Unterfangen. Dies wäre auch sehr klar zu lösen.
Herr Kollege Lenzen, Sie haben aber den Sprung nicht geschafft. Zumindest haben Sie zu unserem Antrag nicht geredet. Es geht nämlich darum, zu sagen, was geht, und nicht darum, zu sagen, was nicht geht.
Bei zwei Punkten kann ich Sie auch nur unterstützen; denn auch aus Sicht der Kommunen wäre es geradezu klug, die unteren Einkommensgruppen stärker zu berücksichtigen. Das wäre einerseits konjunkturell und andererseits auch sozialpolitisch sinnvoll. Zudem müssten die Kommunen dann nicht aufstocken, was eine ganze Menge Geld kostet. Damit würden wir unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort entlasten.
Das alles zusammen hat uns zu der Einschätzung gebracht: Es ist gut, eine pauschale Grundsumme zu haben, zugleich aber auch zu staffeln. Ich denke, das kann man technisch überschaubar lösen. Auch bei den anderen Fragen führen wir keine Vermögensprüfung oder anderes durch, Herr Kollege Lenzen, sondern setzen auf Pauschalen und nehmen eine gewisse Glaubhaftmachung in Kauf.
Vor diesem Hintergrund kommen wir zu der von unserer Bundestagsfraktion vorgeschlagenen Staffelung. Ob es 5 Euro mehr oder weniger sind, kann man diskutieren; das ist nicht der Punkt. Es ist aber besonders sinnvoll, dass die Kleineren stärker profitieren.
Deshalb sollte es auch nicht pauschal für alle gelten – zumal zwei Punkte, die Sie richtig benannt haben, auch eine Rolle spielen.
Zum Ersten: Was kostet der Spaß am Ende des Tages? Auch diese Frage muss man in der gegenwärtigen Situation hin und wieder stellen.
Zum Zweiten spielen die Arbeitgeber in diesem Zusammenhang auch eine Rolle. Eine Möglichkeit könnte sein, dort an der einen oder anderen Stelle über den tariflichen Bonus hinaus aufzustocken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das halten wir für ein kluges Gesamtkonzept. Wenn ich unter das, was Kollege Lenzen und auch Kollege Schmitz gesagt haben, einen Strich mache, dann bleibt für Sie ein sehr kluger Weg – nämlich, dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, den wir heute zur Abstimmung stellen, zuzustimmen.
(Henning Höne [FDP]: Das ist eine Falle! – Lachen von Stefan Lenzen [FDP])
–  Sie lächeln jetzt.
(Christof Rasche [FDP]: Sie doch auch!)
–  Ja, Sie lächeln an dieser Stelle – und ich auch; keine Frage. Was gibt es Schöneres, als dass uns das Lächeln verbindet, liebe Kolleginnen und Kollegen?
Wir haben es aber auch bei dem Infektionsschutzgesetz geschafft, über eine Brücke zu springen. Vielleicht wäre das in den nächsten Tagen hier ebenfalls eine Möglichkeit. Heute wird es nicht mehr funktionieren. Zuerst müssen Sie Ihre Gremiensitzungen abhalten, um dort noch einmal zu schauen, ob es nicht ein Signal aus Nordrhein-Westfalen geben könnte, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Klar; ihr habt euch jetzt im Bund geeinigt. Darüber springt man jetzt nicht hinweg. Die 70 respektive 77 % sind nun die Ausgangslage, über die wir reden. Aber die drei anderen Punkte
–  wie gehen wir mit den Solo-Selbstständigen um, setzen wir noch eine Staffel obendrauf, und machen wir das Ganze ein gutes Stück gerechter? – könnten uns verbinden.
Das ist letztlich auch das, was die Menschen am 1. Mai und alle anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier in Deutschland verlangen: Wir müssen Lösungen auf den Tisch legen und dürfen nicht nur sagen, warum das nicht geht, was der Kollege der anderen Partei gerade vorgetragen hat. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Minister, wenn Sie die Versicherungsleistungen betreffend so klar sind, würde ich Ihnen empfehlen, bei Ihrem Kollegen, dem Bundesgesundheitsminister Spahn, der ja auch nicht weit von Ihnen entfernt wohnt, zu intervenieren. Denn er lässt die pandemiebedingten Sonderlasten bzw. die Sonderzahlungen für Pflegebedürftige nicht etwa aus dem Bundeshaushalt finanzieren, sondern fast ausschließlich, zu zwei Dritteln, aus Beitragszahlungen. Dann fahren Sie ihm in die Parade und sagen ihm, dass es so nicht geht und das aus Steuergeldern bezahlt werden soll, weil es damit nichts zu tun hat.
(Beifall von Heike Gebhard [SPD] – Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ja, das sehe ich auch so!)
Sie weisen – wie ich – darauf hin, dass man auch schauen muss, wer es am Ende bezahlt. Insofern frage ich mich schon, welche Prioritäten wir setzen. Milliardenpakete gehen an alle möglichen Leute heraus. Das finde ich im Kern auch richtig. Dort wird jedoch nicht genauer hingeschaut. Aber wenn es hier um eine relativ präzise Grundsicherung für Menschen, die relativ wenig verdienen, geht, wird zweimal hingeschaut. Das ist für mich eine Prioritätensetzung, die mit meiner Fraktion ohne Weiteres nicht zu machen ist.
Wenn Sie mir sagen, dass es keine Solo-Grundabsicherung geben soll: Die haben wir ohnehin im System. Entweder zahlen es dann die Kommune respektive Land und Bund gemeinsam, oder die Versicherung zahlt es. Ich bin ganz bei Ihnen, dass eine Versicherung eine Versicherung bleiben muss. Aber diese Versicherung ist doch nicht auf den Pandemiefall vorbereitet. Der jetzige Fall ist so außergewöhnlich, dass wir außergewöhnliche Lösungen anbieten müssen.
Falls Sie ein anderes und besseres System haben, aus dem es finanziert wird, bin ich voll dabei. Aber dass der Mechanismus greifen muss, dass diejenigen, die weniger verdienen, besser ausgestattet werden als diejenigen, die viel verdienen, und dass möglicherweise noch die Arbeitgeber einspringen müssen, halte ich für absolut richtig. Das trennt uns ganz eindeutig.
(Beifall von den GRÜNEN und Heike Gebhard [SPD])