Mehrdad Mostofizadeh: „Das können wir doch nicht gegeneinander ausspielen“

Aktuelle Stunde auf Antrag der SPD-Fraktion zur Gesundheitsvorsorge in der Pandemie

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Deppe, bei dem, was Sie zum Ende hin gesagt haben, haben Sie uns an Ihrer Seite. Auch wir sind dafür, sehr klar darüber zu diskutieren, wie Arbeiterinnen und Arbeiter, die aus dem Ausland zu uns kommen wollen – immerhin nehmen sie einiges auf sich, um hier helfen zu können –, auch hierherkommen können. Den Appell an den Bundesinnenminister können wir nur unterstützen.
Dass Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie andere Geflüchtete schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen sollen, erzählen wir schon etwas länger. Auch da haben Sie uns an Ihrer Seite.
Wenn es vernünftige Lösungen gibt, die dem Gesundheitsschutz entsprechen und dazu führen, dass die Ernte im wahrsten Sinne des Wortes eingebracht wird, dann haben Sie uns gleich doppelt an Ihrer Seite: einerseits für die Versorgung hier, aber auch für faire Arbeitsbedingungen für die Menschen, die Sie eben angesprochen haben.
(Beifall von den GRÜNEN und Rainer Deppe [CDU])
Herr Gesundheitsminister, es hat mich aber schon etwas erschreckt, mit welcher Vehemenz Sie in dieses Thema eingestiegen sind. Sie haben uns offensichtlich nicht zugehört und die Auseinandersetzung unnötig angeheizt.
Es geht in § 15, den Sie ins Infektionsschutzgesetz geschrieben haben, doch nicht, wie Sie zu vermitteln versucht haben, um die Frage, ob man dann, wenn man den Friseuren etwas auferlegt, dies auch den Ärztinnen und Ärzten sowie den Pflegekräften auferlegen kann. Das ist doch nicht die Dimension, über die wir reden.
Die Dimension, die wir angesprochen haben, lautet: Ist es erstens notwendig, ist es zweitens gerechtfertigt, und ist es drittens in dieser Weise gerechtfertigt? Darüber müssen wir doch reden. Sie können doch nicht sagen: Weil der Friseur seinen Laden zumacht, muss derjenige, der im MDK arbeitet und über 60 Jahre alt ist, gezwungen werden, auf der Coronaintensivstation zu arbeiten.
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Das hat doch keiner gesagt!)
Das können wir doch nicht gegeneinander ausspielen.
(Bodo Löttgen [CDU]: Das hat er doch gar nicht gesagt! Das haben Sie so interpretiert!)
Dafür gibt es einen Rechtsstaat, dafür gibt es Abwägungen, und darüber müssen wir dann auch sprechen. Das werden wir in den nächsten Tagen tun, und das sollten Sie sachlich mit uns gemeinsam tun, Herr Gesundheitsminister.
(Beifall von Josefine Paul [GRÜNE] – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
Ich möchte nun noch einige wichtige Fakten in die Debatte einbringen. Zu den Themen „Landwirtschaft“ und „Arbeitskräfte aus dem Ausland“ habe ich mich bereits geäußert. Jetzt komme ich zum Gesundheitsbereich.
Herr Laumann, als wir in der Debatte das erste Mal intensiver über die Unterrichtung gesprochen haben, habe ich vorgeschlagen, einen Intensivpflegefonds seitens des Landes aufzulegen und nicht nur das Material, sondern auch Pflegekräfte bereitzustellen.
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Machen wir auch!)
Da haben Sie wörtlich gesagt: Ich kann sie doch nicht herzaubern. – Ich bin ja ganz bei Ihnen, aber der erste Schritt muss doch sein – und das muss für uns alle gelten –, all jene erst einmal zu fragen, ob sie es denn tun wollen. Ich weiß von ganz vielen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, dass sie bereit sind – sogar kostenlos und ehrenamtlich –, am Wochenende Tests zu machen und sich an anderer Stelle einzusetzen. Lassen Sie uns doch erst mal das machen und die Kräfte, die bereitstehen, nutzen.
Der DBfK und alle Pflegeverbände haben unisono erklärt: Lasst es uns gemeinsam machen, ihr müsst uns nicht zwingen. – Über die Allerletzten können wir dann sprechen. Da gibt das Bundesgesetz ausreichend Spielraum, es gemeinsam zu machen. Deswegen rate ich dringend davon ab – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt –, eine solche Schärfe in die Debatte zu bringen.
Ich will noch einige konkrete Vorschläge machen. Wir haben in einigen Bereichen Probleme hinsichtlich der Grundstoffe. Das stimmt. Wir haben aber zum Beispiel auch Raffinerien in Nordrhein-Westfalen, die Bioethanol in großen Mengen herstellen. Dann sagen Sie denen doch: Lasst uns über den Preis reden, und dann stellt ihr das zur Verfügung. – Das müssen nicht nur die Schnapsbrennereien sein, sondern es können auch VEBA und andere Ölbetriebe sein. Mit Sicherheit ist auch Herr Pinkwart bereit, dabei zu helfen und einen Punkt zu machen.
Dann möchte ich noch auf die Dimension hinweisen, über die wir jetzt reden. Ich will den Kommunen, die viele Tätigkeiten zu übernehmen haben, sagen: Wir sprechen selbst bei der V-Variante – Sie kennen das vom ifo Institut; die Wirtschaft springt im Sommer wieder an, und im Herbst passiert nichts Schlimmes mehr – schon von Einnahmeausfällen in Höhe von 5 bis 9 Milliarden Euro in den Kommunen. Liebe Landesregierung, das gilt es in den nächsten Tagen zu adressieren und zu sagen: Wir werden Vorsorge dafür treffen, diesen Ausfall zu kompensieren.
Der letzte Punkt sind die Atemschutzmasken. Sie haben in der Beschreibung recht mit allem, was Sie sagen. Trotzdem stimmt dann auch, dass sie in den Arztpraxen, in der Pflege und in der Physiotherapie schlicht nicht da sind.
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Natürlich!)
Da hilft es auch nichts, zu sagen, dass sie in China zu teuer sind. Sie sind nicht da, und deswegen wird ein gewisses Risiko eingegangen, das abzuwägen ist. Das müssen wir gemeinsam miteinander tragen, und da muss man sagen: Es ist so, wie es ist.
Der Ministerpräsidenten hat vorhin davon gesprochen, dass wir diskutieren müssten, unter welchen Bedingungen wir etwas anders machen, weil wir diese Abwägungsentscheidung immer wieder treffen müssen.
Deswegen wäre mein Vorschlag – mein letzter, Herr Präsident –, dass der Ministerpräsident Virologen, Psychologen, Ökonomen und andere einlädt, per Video zu einer Konferenz in den Plenarsaal geschaltet zu werden, damit wir als Parlament über eine Strategie diskutieren, unter welchen Bedingungen wir Wirtschaft, Uni und Ausbildung betreiben können, und zwar nicht nur im Notfallmodus, sondern in der Abwägung, wie es in den kommenden Monaten gehen könnte. Das wäre das, was wir als grüne Fraktion beitragen könnten. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)