Mehrdad Mostofizadeh: „Das ist lächerlich und der Situation einfach nicht angemessen“

Gesetzentwurf der Landesregierung zum Landesaltenpflegegesetz - 2. Lesung

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon einigermaßen erstaunt, wie wenig Geschichtsbewusstsein die Fraktionen von CDU und FDP haben. Auch der Minister, der hier amtiert, hat offensichtlich seine eigenen Taten vergessen.
(Minister Karl-Josef Laumann: Nein!)
Es war 2006 und 2007 Ihr Haus, Ihre Regierung,
(Zurufe von der CDU – Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)
die die Altenpflegepauschale an den Schulen von 317 Euro pro Jahr auf 280 Euro abgesenkt hat. Schämen Sie sich eigentlich nicht, sich hier so aufzustellen, wie Sie das heute gemacht haben?
Ich will Ihnen einmal sagen: Wenn diese Regierung damit zufrieden ist, zu sagen – und ich werde gleich ausführen, dass nicht einmal das stimmt –, was jetzt nicht ausreicht, sei vorher noch ein bisschen schlechter gewesen, dann machen Sie sich lächerlich. Ein Pflegeplatz wird 180 Tage lang nicht mit einer qualifizierten Person besetzt, weil wir die Leute schlicht nicht finden. Und Sie sind zufrieden damit, zu sagen, wir seien ein kleines Schrittchen weiter. Das ist viel zu wenig. Das ist lächerlich und der Situation einfach nicht angemessen.
(Beifall von der SPD)
Herr Minister Laumann, von 2010 bis 2017 haben sich die Zahlen in der Altenpflegeausbildung verdoppelt. So zu tun, als hätte sich da nichts getan, ist einfach nicht in Ordnung.
Ausdrücklich loben will ich Sie für Ihren Kampf, von 280 auf 380 Euro zu kommen. Das ist aller Ehren wert. Deswegen werden wir dem heutigen Gesetzentwurf selbstverständlich zustimmen, damit diese 100 Euro auch ankommen. Das finde ich ganz hervorragend.
Aber es hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Der Bundesgesundheitsminister hat ein Pflegestärkungsgesetz auf Bundesebene aufgelegt, was dazu führen wird – da sind wir uns sogar auch fachlich einig, zumindest hatte ich im Ausschuss den Eindruck –, dass die potenziell Auszubildenden wieder eher in Richtung Krankenpflege getrieben werden, sodass die Altenpflege bei der Auswahl möglicherweise wieder ins Hintertreffen gerät.
In einer solchen Situation – ich wiederhole es noch einmal –, in der eine examinierte Altenpflegerinnenstelle 180 Tage lang nicht besetzt wird, mit rückwärtsgewandten Repliken zu operieren: „Ach, Rot-Grün war auch nicht besser“, das ist doch nicht angemessen.
(Beifall von Monika Düker [GRÜNE])
Wir müssen dafür sorgen, dass jede Person, die einen Ausbildungsplatz kriegen kann, diesen Ausbildungsplatz auch bekommt, dass die Arbeit vernünftig vergütet wird und dass wir die Menschen im Beruf halten können. Ich verstehe gar nicht, wie man in einer solchen Situation noch solche Gefechte führen kann.
Wir Grünen sind der festen Überzeugung, dass die Pflege – das haben Sie am Montag auch so formuliert – schon abgehängt ist. Wir müssen alles, was in unserer Macht steht, tun, um die Situation sehr deutlich und merklich zu verbessern, sonst machen wir uns an den künftigen Generationen schuldig.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Kol- legin Oellers?
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Selbstverständlich.
Britta Oellers (CDU): Vielen Dank, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. Sie sagen: Das ist zu wenig. – Da vermisse ich wirklich Ihre Entscheidungen in den letzten sieben Jahren, wenn das so wichtig ist. Warum haben Sie da nichts geändert?
(Beifall von der CDU und der FDP)
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Kollegin, ich habe es ja eben versucht, darzustellen. Anscheinend haben Sie der Rede nicht gelauscht. Aber ich sage es gerne noch einmal; das wird ja nicht auf die Redezeit angerechnet.
Vielleicht gucken Sie einmal in den Haushaltsplan. Sie haben jetzt unter anderem 6 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen gegenüber 2017.
(Lachen von der CDU)
–  Sie lachen darüber? Lachen Sie ernsthaft darüber? (Zurufe von der CDU)
Haben Sie sich mit der Situation in diesem Land einmal substantiell auseinandergesetzt? Finden Sie es ausreichend, sich feixend dahin zu stellen und zu sagen: „Ach, Ihr habt vor sieben Jahren dieses und jenes nicht gemacht.“? – Ich finde das mittlerweile echt nicht mehr zu ertragen, wie Sie hier agieren. Wir brauchen eine zukunftsgewandte Politik, und da ist die Altenpflege verdammt nochmal einer der zentralsten Bereiche. Und Sie sind zufrieden damit, dass Sie ein bisschen mehr geschraubt haben, als wir das vielleicht gemacht haben,
(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann)
obwohl Sie 6 Milliarden Euro mehr im Haushalt haben? Das finde ich einigermaßen erstaunlich, Frau Kollegin.
(Zuruf von Minister Karl-Josef Laumann – Weitere Zurufe)
Die Altenpflege liegt mir sehr am Herzen, nicht nur, weil ich da selbst unterwegs war, sondern weil ich der festen Überzeugung bin – bei allen fachlichen Unterschieden, etwa was die Quartiersentwicklung oder sonstige Maßnahmen in der Pflege anbetrifft –, dass wir zunehmend examinierte Fachpersonal brauchen werden.
(Zurufe von der CDU und der SPD)
Deswegen ist es richtig, Herr Minister Laumann, die Mittel um 100 Euro jetzt aufzustocken. Es ist nicht richtig, diese kleine Summe – seien es 25 Millionen Euro, wenn wir bundesweit von mehreren 10.000 fehlenden Ausbildungsplätzen sprechen – nicht zu investieren, auf Zeit zu spielen und zu hoffen, dass das im nächsten Jahr besser wird.
Sie sorgen dafür – deswegen rege ich mich auf –, dass wieder drei Jahre lang Menschen ins Hintertreffen gelangen, dass wieder drei Ausbildungsjahrgänge nicht so ausgestattet sind, wie es eigentlich sein müsste. Sie haben haushaltspolitisch die Chance, das auszustatten. Wir haben Ihnen auch einen Deckungsvorschlag geliefert. Sie haben genug Spielraum, um das zu finanzieren. Bringen Sie Ihren Finanzminister dazu, dieses Geld bereitzustellen. Machen Sie es ein Stück besser, damit es ein Gesamtkonzept wird. Selbst dann, wenn wir bei 500 Euro beim Fachseminar sind – das will ich ganz offen sagen –, wird es schwierig werden, genügend Leute zu finden, die diese Ausbildung machen, beenden und dauerhaft in der Altenpflege arbeiten. Das ist mir völlig klar. Aber wenn wir es nicht tun, verschlechtern wir die Situation noch einmal in unnötiger Weise. Die Zeit gibt es her, und deswegen sollten wir es jetzt tun.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, es gibt noch eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Rock. Würden Sie die auch zulassen?
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Selbstverständlich.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist freundlich von Ihnen. – Bitte schön, Herr Rock.
Frank Rock (CDU): Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Hätten Sie so viel Engagement die letzten sieben Jahre gezeigt wie heute in Ihrer Rede, wäre es uns ein Stück besser gegangen.
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Och!)
Ich frage ganz kurz und bitte um eine kurze Antwort: Wieviel Euro hat die ehemalige Landesregierung in dem Bereich durchgesetzt? Wie viel Euro? Ich brauche keine Erklärung, sondern ich will wissen, wieviel Euro die alte Landesregierung für den Bereich eingesetzt hat?
(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)
Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Ich bitte um Verständnis, dass ich die Zahlen euromäßig nicht im Kopf habe. Aber wir haben die Zahl der Ausbildungsplätze von 10.000 auf 20.000 in dem Bereich erhöht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das ist die Quintessenz in dem Bereich. Ich sage Ihnen ganz offen: Wenn wir damals ein paar Euro mehr in der Hand gehabt hätten, dann hätten wir selbstverständlich in dem Bereich auch noch mehr tun müssen. Das ist doch gar keine Frage. Aber die Haushaltssituation ist jetzt deutlich anders.
Sie haben Überschüsse zu verzeichnen und hauen die Kohle für Projekte raus, die ich für völlig falsch halte.
Der Landesverkehrsminister hat der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung gesagt, er sei bereit, 127 Millionen Euro – das entspricht übrigens exakt dem kompletten Etat, der 2017 für die Landesstraßen zur Verfügung gestanden hätte – für etwas anderes auszugeben. Sie müssen auch mal Prioritäten setzen. Sie setzen nirgendwo Prioritäten und gucken nur in die Vergangenheit.
Ich sage es noch einmal: Wenn es möglich gewesen wäre, hätten wir noch mehr investieren müssen; das ist keine Frage. Aber das Land Nordrhein-Westfalen hat im Vergleich zu den anderen Bundesländern schon eine Menge getan. Wenn wir das nicht gemacht hätten und auf dem Niveau von 2008 geblieben wären, würden jetzt noch einige Tausend Ausbildungsplätze mehr fehlen. Das ist tragisch, obwohl heute eigentlich ein Tag der Freude ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil wir einen Schritt in die richtige Richtung gehen.
Herr Minister, ich verstehe nicht, warum die Landesregierung diesen Weg nicht konsequent zu Ende geht und die Kostenpauschale für alle auf 500 Euro festsetzt. Dann könnten wir den Auszubildenden sagen: In der Altenpflege gelten die gleichen Bedingungen wie in der Krankenpflege. – Das muss doch die Ansage sein. Wer Generalistik bestellt, muss auch Generalistik bezahlen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Minister Karl-Josef Laumann: Das machen wir ja!)

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