Mehrdad Mostofizadeh: „Das ist keine Glanzleistung, sondern der notwendige Einstieg in eine Impfkampagne, von der wir wollen, dass sie erfolgreich ist“

Anträge der SPD-Fraktion zur Covid-Impfsituation in NRW

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte dem Herrn Ministerpräsidenten einen Hinweis geben. Er ist jetzt nicht anwesend; aber das kann man ihm ja ausrichten, oder er wird es vielleicht im Protokoll lesen. Er sprach hier davon, was für eine großartige Leistung 70.000 Impfungen pro Woche seien.

Herr Ministerpräsident, ich gehe davon aus, dass Sie weiterhin davon ausgehen, dass wir 100.000 Impfungen am Tag schaffen können und schaffen werden. Deswegen ist es gut, dass die Impfstoffe, die jetzt da sind, verimpft werden. Aber von dem, was wir uns vorgenommen haben, und dem, was die Bundeskanzlerin versprochen hat, sind wir Lichtjahre entfernt.

Deswegen ordnen Sie diesen Start bitte nicht so ein, Herr Ministerpräsident, wie Sie es jetzt gemacht haben. Es ist ein erster Start, ein ganz kleines Fünkchen Hoffnung. Das ist keine Glanzleistung, sondern der notwendige Einstieg in eine Impfkampagne, von der wir wollen, dass sie erfolgreich ist, damit dieses Land Nordrhein-Westfalen wieder Hoffnung schöpft und die Menschen hier auch geimpft werden können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte einige Punkte klarstellen. Man kann sich darüber unterhalten, welche Bilanz man nach diesen beiden Tagen zieht. Aber eines ist klar, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und auch von der FDP: Wir haben nicht versprochen, dass fünf Leute gleichzeitig durch die Tür gehen. Das haben Sie versprochen. Deswegen hat nicht geklappt, was Sie versprochen haben. Das ist das Problem bei der Kommunikation der letzten beiden Tage.

(Beifall von Josefine Paul [GRÜNE] und Heike Gebhard [SPD] – Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

Ich könnte mir ja einen schlanken Fuß machen. Es ist so wie ohne Torwart fünf Meter vor dem Tor stehend den Ball reinzuschieben, wenn man alle Negativmeldungen der ersten Tage – die passieren können – auflistet. Das mache ich nicht.

Was ich aber schon mache, Herr Minister, ist eine kleine Replik zu dem, was wir noch letzte Woche, vor weniger als sieben Tagen, im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales diskutiert haben. Da habe ich Sie gefragt: Werden die Server standhalten? Werden die Kapazitäten ausreichen, damit das System nicht abschmiert? – Ihre Antwort war: Das schaffen wir. Das haben wir uns versichern lassen. Das wird funktionieren. – Das haben Sie nicht geschafft, kann ich an dieser Stelle nur feststellen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich habe Sie gefragt: Ist dieses System für die Personen, die damit umgehen müssen, erkenntlich? – Dazu hat Ihr Ministerium ausgeführt: Wir haben alles getan, um einen barrierearmen Zugang zu ermöglichen. – Ich kann nur feststellen: Der Zugang ist nicht nur nicht barrierearm, sondern er ist ausgesprochen hochschwellig.

Herr Dr. Bergmann hat gestern in der Pressekonferenz ausgeführt, es gebe keine Möglichkeiten, ein barrierefreies Zugangssystem vorzusehen. Dazu kann ich nur sagen: Diese Feststellung widerspricht nicht nur der UN-Behindertenrechtskonvention, sondern ist auch technischer Unfug. Sie müssen an dieser Stelle nacharbeiten und schlichtweg besser werden, Herr Minister.

(Beifall von den GRÜNEN und Josef Neumann [SPD])

Ganz wichtig ist mir aber – damit komme ich auch zu den Punkten, die von der SPD angesprochen worden sind – die Frage, was man denn sonst noch tun kann, wenn man so etwas vorhersieht. Nehmen wir einmal an, die CDU hätte das nicht versprochen. Dann muss man doch darauf setzen, dass die Leute, die Fragen und Nöte haben, Ansprechpersonen haben.

Ich habe Ihnen mehrfach – dreimal hintereinander – im Ausschuss gesagt: Setzen Sie doch mehr Leute in die Telefonzentralen. – Das haben Sie nicht gemacht.

Wir haben 20.000 Leute im Freiwilligenregister. Das haben Sie in der letzten Ausschusssitzung noch einmal bestätigt, als ich nachgefragt habe, wieso das mit den Testungen in den Pflegeheimen nicht richtig klappt und wie viele Freiwillige dort abgerufen werden. Da haben Sie selbst gesagt – dem stimme ich auch zu –: Da ist viel Potenzial; da könnte man viel abrufen.

Warum nehmen Sie nicht 1.000 dieser Freiwilligen, damit sie sich ans Telefon setzen und sich mit diesen Nöten und Informationsbedarfen der Menschen auseinandersetzen? Wieso aktivieren Sie nicht eine gemeinsame Kommunikation vom Land bis hinunter zur kleinsten Gemeinde, damit einheitlich kommuniziert wird?

Das machen Sie alles nicht. Das ist das Problem – und nicht, dass der Server für 20 Minuten abstürzt, Herr Minister Laumann.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte an dieser Stelle an eines anknüpfen, was der Bundesvorsitzende der FDP gestern offensichtlich geäußert hat. Er hat einen Impfgipfel vorgeschlagen. Er hat vorgeschlagen, dass man sich zusammensetzen sollte und dass alle beteiligten Akteurinnen und Akteure miteinander kooperieren sollten.

Ich kann nur sagen – und das tue ich nicht oft –: Da hat Herr Lindner recht. Warum machen wir das in Nordrhein-Westfalen nicht, Herr Rasche? Wieso macht die Landesregierung das nicht?

Die Unterrichtung durch den stellvertretenden Ministerpräsidenten Stamp hat null und nichts zur Sache beigetragen. Er hätte sich zumindest einmal mit der Impffrage auseinandersetzen können.

Von den Kommunen hören wir, dass Termine sogar falsch vergeben werden und rückabgewickelt werden müssen.

Ich habe selbst letzte Woche im Ausschuss gefragt, warum es keine gleichzeitigen Termine für Lebenspartnerinnen und Lebenspartner geben kann. Diese Frage konnten Sie auch nicht beantworten.

Herr Minister, nach vorne gedacht würde ich jetzt gerne folgenden Vorschlag machen: Nehmen Sie uns doch einmal ernst. Nehmen Sie unsere Vorschläge doch an. Nehmen Sie doch wirklich das entgegen, was wir im Ausschuss sagen.

Ich will zugestehen, dass Ihr Haus das durchaus tut. Darüber bin ich auch froh. Einige Vorschläge aus der Sondersitzung sind ja aufgenommen worden. Viele andere Vorschläge, die wir gemacht haben, sollten Sie auch ernst nehmen.

Deswegen muss ich Ihnen an einer Stelle wirklich widersprechen, Herr Kollege Preuß. Der BioNTech-Impfstoff ist dezentral verimpfbar.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Nein!)

Dazu bedarf es gewisser Voraussetzungen. Denn sonst würden alle Hausärztinnen und Hausärzte sowie der Hausärzteverband heute schlichtweg die Unwahrheit erzählen. Die Hausärzte haben mehrfach geäußert, dass das möglich und machbar ist. An dieser Stelle geht es natürlich um die Kosten; gar keine Frage.

Ihre Aufgabe in den nächsten Wochen wird es sein, die vielen Hunderttausend Menschen in Nordrhein-Westfalen – da geht es mir gar nicht um die Pflegeheime; dort wird man bis dahin durch sein –, die schlecht lesen können, die schlecht hören können, die auf der Straße leben, denen es schlecht geht und die große Schwierigkeiten beim Zugang zu den Impfungen haben, aufzuspüren, ihnen ein Impfangebot zu machen und diese Gruppe in Nordrhein-Westfalen so schnell wie möglich zu impfen.

Mich hat sehr geärgert, wie die Debatte um die Unterrichtung abgelaufen ist. Es ging wieder nur darum: Lief das mit dem Impfen gut oder schlecht? Hat die Regierung funktioniert oder nicht?

(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss ehrlich sagen: Wir lieben dieses Land viel zu sehr, als dass wir nicht weiterhin konstruktive Vorschläge machen würden – Frau Paul hat das in dieser Debatte sehr ausführlich getan – und nicht konstruktiv mit den Punkten umgehen würden.

Sie sollten so viel Demut zeigen, dass Sie an einem Tag, an dem Sie konstatieren müssen, dass es nicht funktioniert hat, dass wir noch viele Aufgaben vor uns haben – ich sage noch einmal: dabei geht es mir nicht darum, dass der Server für zehn Minuten abschmiert – und dass viele Punkte heute schlichtweg immer noch nicht geklärt sind, die aber notwendig sind, um Impfungen vernünftig durchzuführen und die Probleme zu lösen, das den Menschen vortragen und hier für ein vernünftiges Ergebnis sorgen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Schick ist ausschließlich ans Rednerpult getreten, um zu sagen, in anderen Bundesländern laufe es schlecht.

(Henning Rehbaum [CDU]: Das stimmt ja auch!)

Ich weiß nicht, was das zur Sache beigetragen hat.

Ich möchte auf das vom Minister Gesagte eingehen. Herr Minister, ich habe verschiedene Aspekte angesprochen; Sie sind auf keinen einzigen davon eingegangen und haben sich nur der Rhetorik, der Metadiskussion gewidmet. Das finde ich für einen Fachminister ausgesprochen bedauerlich. Es geht nicht, dass Sie sich da irgendwie rausreden.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ich rede mich überhaupt nicht raus!)

Ich möchte zwei Aspekte noch mal ansprechen.

Serverkapazitäten haben nur bedingt etwas mit der Größe zu tun, sondern mehr damit, wie viel Geld man investiert und wie dezentral man sie gegebenenfalls anlegt. Es gibt ja auch den Vorschlag, es insgesamt dezentral zu machen.

Ich will einmal die Dimension beschreiben, über die wir reden. Es geht mir nicht um Montag und Dienstag. Wir werden zumindest dann, wenn wir das Versprechen der Bundeskanzlerin einhalten wollen, ab Mai – bis dahin wird nach der jetzigen Planung nicht mehr Impfstoff vorhanden sein; wir hoffen ja inständig, dass die Versprechen ab Mai eingehalten werden – pro Woche 700.000 Impfvorgänge zu bestreiten haben. 700.000 – das ist, wie man relativ einfach ausrechnen kann, genau das Zehnfache von dem, was aktuell passiert. Es geht also Woche für Woche um die zehnfache Menge an Terminen, die im Gegensatz zur jetzigen Anzahl vereinbart werden müssen.

(Zuruf von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales)

Herr Kollege Schick, es mag sein, dass es auch in Mecklenburg-Vorpommern schlecht läuft.

Ich mache mir Sorgen über das, was im Lauf des Jahres passieren soll. Die zwei Tage Anfang dieser Woche sind, wie gesagt, nicht ganz so zentral.

Herr Minister, deswegen würde ich schon noch mal über ein paar alternative Systeme sprechen wollen. Sprechen Sie das gerne im Ausschuss an. Warum richten wir keine Impfbusse ein? Warum machen wir keine dezentralen Punkte?

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Das werden wir doch machen!)

Das, was Frau Lück vorgetragen hat, sind doch alles kluge Gedanken, die aber mit dem jetzigen Terminsystem nicht kompatibel sind.

Wenn wir beispielsweise darüber nachdenken, in Quartieren zu impfen und Aufträge herauszugeben, um das zu machen, um Transporte zu vermeiden, dann wird das nach meinem Kenntnisstand mit diesem Terminsystem Stand jetzt nicht funktionieren.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Das geht auch nicht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, es mag ja sein, dass Sie Schenkelklopfer nach Schenkelklopfer raushauen können. Das löst aber nicht das Problem. Deswegen müssen wir eine Fachdebatte darüber, wie das funktionieren kann, führen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Aber Fachdebatten führt man nicht in der Aktuellen Stunde!)

Einen Gedanken, den der Ministerpräsident auch heute noch einmal angesprochen hat, möchte ich an dieser Stelle loswerden, weil mich das wirklich ärgert. Er hat behauptet, man müsse immer auf Sicht fahren, man könne keine Stufenpläne einführen. Das Gegenteil ist richtig: Wir müssen jetzt formulieren, unter welchen Bedingungen Exit-Strategien möglich sind, wie wir in die Schule gehen können, unter welchen Bedingungen Theater, Museen, Friseure und vieles andere geöffnet werden können, wie das wissenschaftlich herleitbar ist und unter welchen Inzidenzen und unter welchen Bedrohungslagen das möglich ist. Das können wir nicht in Zweiwochenabständen herleiten. Da brauchen wir Planungssicherheit, und dafür müssen wir Konzepte entwickeln.

(Zuruf von Rainer Schmeltzer [SPD])

Herr Minister, Konzepte sind etwas anderes als Strickmuster. Ich sage nicht: „In drei Wochen ist das so“, sondern wenn eine bestimmte Situation erreicht ist – also ein bestimmter Inzidenzwert, eine bestimmte Belastung der Pflegeheime oder der Krankenhäuser –, dann muss man auf bestimmte Weise darauf reagieren, sich nicht wegducken und es nicht wie die FDP machen, die nur einen Impfgipfel für den Bund vorschlägt, diesen aber in Nordrhein-Westfalen nicht durchführen will.

Das ist mein zentraler Punkt: Setzen Sie sich mit wirklich allen Akteuren zusammen. Nehmen Sie die Vorschläge an, reagieren Sie darauf und machen Sie daraus ein Konzept. Sie dürfen gerne auch Fehler machen. Sie dürfen auch Vorschläge der Opposition annehmen. Dann wird ein Schuh daraus, und dann wird Nordrhein-Westfalen deutlich besser dastehen, als es bei dieser lächerlichen Diskussion „eine halbe Stunde Server auf oder zu“ der Fall ist.

(Henning Rehbaum [CDU]: Die haben Sie doch aufgemacht!)

Wir müssen bis September mindestens 12 bis 13 Millionen Menschen geimpft haben. Das muss unser Ziel sein. Dafür setzen wir uns alle ein. Deswegen müssen wir ein Stück vorankommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Katharina Gebauer [CDU])

Mein letzter Gedanke in diesem Zusammenhang. Herr Fraktionsvorsitzender Löttgen, Sie haben etwas, was auch sehr wichtig ist, nur in einem Nebensatz angesprochen: Wir brauchen jetzt auch eine Bausteinstrategie. Impfen ist sehr wichtig. Wir brauchen aber auch eine Strategie, einen Stufenplan für den Umgang mit der Pandemie, denn in den nächsten acht Monaten werden wir uns nicht in den Armen liegen können, wie das in Israel der Fall gewesen ist, was dort viele zusätzliche Inzidenzen zur Folge hatte. Wir brauchen eine Strategie, wie wir in die Schule gehen können. Wir brauchen auch eine Strategie dafür, wie Medikamente entwickelt werden können. Alles nebeneinander – daraus wird ein Schuh. Und erst dann werden wir Pandemien bekämpfen können.

So schlimm das sein mag: Der Ministerpräsident hat letztes Jahr bei einer Inzidenz, die halb so hoch war wie die, die wir heute haben, gesagt: Es geht um Leben und Tod. – So einfach und so schlimm ist das. Noch einmal zurück zur Ausgangslage: Der heutige Inzidenzwert ist doppelt so hoch wie der höchste des letzten Frühjahres. Ich kann nur höchste Vorsicht anmahnen. Lassen Sie uns zusammensetzen und um die besten Lösungen streiten. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)