Mehrdad Mostofizadeh: „Das hat doch mit einem klaren Kurs nichts zu tun“

Zum Antrag der GRÜNEN im Landtag zur Corona-"Notbremse"

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten heute Morgen eine Unterrichtung der Landesregierung, die einen etwas verwandten Titel hatte und bei der ich dachte, dass einiges zum Impfgipfel gesagt würde. Dazu ist leider gar nichts von der Landesregierung gekommen.

Herr Minister Stamp ist nicht mehr anwesend. Das ist nicht schlimm; man wird ihm das übermitteln können. Herr Minister Laumann, ich muss zu der Debatte zwei Klarstellungen vornehmen:

Der Minister meint immer wieder einmal, Abgeordnete zurechtweisen oder auf Zahlen hinweisen zu müssen. Die korrekten Zahlen zu den Inzidenzwerten von gestern in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen lauten 186,2 für Nordrhein-Westfalen und 191,9 für Baden-Württemberg.

Wie er dazu kommt, meiner Fraktionsvorsitzenden zu unterstellen, sie hätte sich um 20 % verschätzt, erklärt sich nur aus dem ideologischen Vorgeplänkel, das die FDP offensichtlich an den Tag legen musste.

Frau Kollegin Schäffer hat auch nicht von Prozenten der Überschreitung, sondern schlichtweg von Inzidenzpunkten gesprochen. Das hat der Minister offensichtlich nicht auf die Reihe bekommen. Das ist die erste Bemerkung.

Zweite Bemerkung. Ich möchte den Ministerpräsidenten wieder ausdrücklich für seine Analyse loben. Es trifft zu, dass diese Pandemie eine soziale Frage ist. Die Folgen der Pandemie sind insbesondere in den Stadtteilen zu beobachten, in denen prekäre Wohnverhältnisse herrschen, in denen Menschen Jobs haben, die eine hohe Zahl an Kontakten erfordern wie Taxifahrerinnen, Menschen, die in Betrieben arbeiten, und, und, und; ich könnte weitere aufführen.

Ich war sehr froh, dass der Ministerpräsident heute angekündigt hat, dass die Landesregierung dafür sorgen möchte, dass man in diese Stadtteile hineingeht und sich um diese Menschen kümmert, dass man dort eine Impfstrategie und eine Strategie der Aufklärung betreiben möchte.

Das hatte der Ministerpräsident in der letzten Plenarsitzung aber auch schon angekündigt. Er hat das auch am 5. April angekündigt, als er vom Brückenlockdown sprach.

Ich komme zum ersten Punkt. Was ist denn ein Brückenlockdown? Bis heute – ich denke, das wird ein Vorschlag zum Unwort des Jahres sein – hat das niemand erklärt. Ich habe den Gesundheitsminister in der letzten AGS-Sitzung gefragt, was ein Brückenlockdown ist. Die Antwort war sowohl mündlich als auch schriftlich, dass es die Verlängerung der bisherigen Maßnahmen der Landesregierung ist. – Das ist ja sensationell.

Auch der Ministerpräsident hat in der letzten Plenarsitzung hier am Pult gesagt: Wir können so nicht weitermachen. – Da bin ich ganz bei ihm. Er hat genau so weitergemacht, und auch der Gesundheitsminister hat nichts Neues an den Tag gelegt. Das ist doch unser Problem.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es gab eine beeindruckende Woche genau um diese letzte Sitzung herum: Kurze Zeit davor kündigte der Ministerpräsident harte Maßnahmen an, weil die Inzidenzwerte weiter steigen. Er steht vor dem Impfzentrum in Aachen und sagt: So geht es nicht. Wir müssen andere Maßnahmen an den Tag legen.

Was passiert in der Woche? – Montags wird angekündigt: Die Notbremse wenden wir nicht an. – Wie gesagt, es handelt sich um die Notbremse,

(Minister Karl-Josef Laumann: Die haben wir angewandt!)

die die MPK Anfang März beschlossen hat. Vor sechs Wochen ist das beschlossen worden, aber von dieser Notbremse ist in Nordrhein-Westfalen bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes kein Gebrauch gemacht worden, Herr Minister. Das ist explizit Ihr Versäumnis, Herr Minister Laumann, als der für die Coronaschutzverordnung in Nordrhein-Westfalen zuständige Minister.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es kommt aber noch besser. Er kündigt an, dass wir so nicht weitermachen können, um zwei Tage später Modellregionen und noch während der Plenarsitzung, in der ich Sie gefragt habe, was Sie denn jetzt machen, die freie Testoption für Click & Meet in Nordrhein-Westfalen anzukündigen.

Das führte dazu, dass die Städte entscheiden sollten, wer sich freitesten kann und wer nicht. Freitagnachmittags waren den Geschäften und vielen Einzelhändlern nicht bekannt, wie sie ihre Dienstpläne für den kommenden Montag aufstellen sollten.

Das hat doch mit einem klaren Kurs nichts zu tun. Das ist ein Zickzackkurs – und das ist noch freundlich ausgedrückt. Das ist eine Verblendung der Menschen. Was Sie hier liefern, ist nicht in Ordnung, liebe Landesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich war eigentlich der Meinung, dass CDU, FDP und insbesondere die SPD, die an dem neuen Infektionsschutzgesetz kräftig mitgewirkt hat, darauf achten, dass das Parlament beim Infektionsschutzgesetz stärker einbezogen wird. Sie schaffen es aber noch nicht einmal, das Parlament während einer Plenarsitzung darüber zu informieren, was Sie inhaltlich tun wollen.

Ich weise darauf hin, was in dem Antrag steht, denn der stellvertretende Ministerpräsident hat sich dazu verstiegen zu behaupten, wir hätten keine Vorschläge gemacht. Unsere Linie ist sehr klar: Wir haben deutlich adressiert, dass spätestens ab einem Inzidenzwert von 50 Maßnahmen zu ergreifen sind.

Klar ist auch, Herr Minister Laumann und liebe Landesregierung: Der ursprüngliche MPK-Beschluss beinhaltete, dass ab einem Inzidenzwert von 100 scharfe und gesonderte Maßnahmen sowohl im Einzelhandel als auch in der Schule als auch in den Betrieben gelten. Unsere größte Kritik an der Regierung ist, dass nicht konsequent beim Homeoffice agiert wird.

Was machen Sie daraus? – Frau Kollegin Schäffer hat das heute Morgen dargestellt: 50, 100, 165, 200, dann noch mal mit freitesten und irgendwie im Kreis und nach vorne und nach hinten. Das macht die Leute verrückt. Das ist nicht effizient und auch nicht in Ordnung.

Deswegen haben wir es sortiert, sehr klar adressiert und in dem Antrag niedergeschrieben. Der Änderungsantrag hat inhaltlich keine Änderung hervorgebracht, sondern fordert nur die Umsetzung in Bezug auf die neuen Verordnungen des Bundes.

Wir können die Punkte auch gerne durchgehen. Der erste lautet „Testpflicht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorgeben“. Wir haben keine Testpflicht. Wir haben immer noch eine Angebotspflicht des Arbeitgebers, aber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen dieser Pflicht nicht zwingend nachkommen.

Das hätten Sie in Nordrhein-Westfalen übrigens schon am 3. März durchsetzen können. Das haben Sie nicht gemacht, sondern auf den Bund gewartet. Erklären Sie doch mal, Herr Minister Laumann, was Sie daran hindert. Rechtlich hindert Sie gar nichts daran; es sind höchstens inhaltliche Punkte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Vermutung ist – das ist die gleiche, die wir schon vorgetragen haben –, dass die FDP blockiert. Die FDP sucht sich immer Einzelmaßnahmen heraus, die nicht umsetzbar sind. Ich sage Ihnen ganz offen: Auch wir Grünen sind der Meinung, dass die jetzt beschlossene Ausgangssperre kritisch zu sehen ist, aber wir verfolgen einen ganz anderen Grundkurs. Wir sagen: Wir müssen alles an anderer Stelle tun, zum Beispiel beim Homeoffice, bei anderen Maßnahmen, um die Inzidenzwerte zu senken.

Es wird immer gesagt, beim Freitesten gehe das doch auch: Auch wer bei 150 Stundenkilometern auf der Autobahn bremst, versucht, einen Unfall zu verhindern. Die Wahrscheinlichkeit, dass man sicher zum Stehen kommt, ist aber doch deutlich geringer, als wenn man mit 100 Stundenkilometern bremst. Das ist doch der Punkt.

Wir müssen die Inzidenzwerte erst mal senken und dann in einer Niedriginzidenzwertphase mit Tests dafür sorgen, dass die neuen Möglichkeiten auch genutzt werden können.

(Zuruf von Dr. Martin Vincentz [AfD])

Das ist doch die Logik. Wir dürfen nicht einzelne Maßnahmen diskreditieren, Inzidenzwerte auf einem Plateau von 180 zur Kenntnis nehmen, die Intensivstationen volllaufen lassen und dann sagen: Na ja, die eine einzige Maßnahme funktioniert nicht, und deswegen lassen wir das Ganze so laufen. – So funktioniert das nicht. Deshalb haben wir heute unseren Antrag mit einem klaren Kurs, mit klaren Vorschlägen eingebracht.

Wenn mir CDU und FDP jetzt erklären wollen, wie sie es besser machen wollen, bin ich damit einverstanden. Das aber einfach abzutun, wie Sie es bisher gemacht haben, und nicht bereit zu sein, den eigenen Kurs auf den Tisch zu legen, ist einer Regierung nicht würdig.

Deswegen bitte ich Sie: Zeigen Sie klar auf, wie Sie dafür sorgen wollen, dass unser Gesundheitssystem handlungsfähig bleibt, die Gesellschaft gleichzeitig einen klaren Kurs hat und wir der Normalität bald wieder ein Stück näherkommen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

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