Mehrdad Mostofizadeh: „Am Ende müssen wir auch sagen, dass wir schlichtweg mehr Geld im System brauchen“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zur Ausbilde für die Pflege

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich bedaure es wirklich sehr, dass die Kollegin Lück den Landtag verlässt. Sie ist eine ausgesprochen angenehme Kollegin.

Ich wünsche dir für die weitere Arbeit alles Gute. Hoffentlich sehen wir uns in den fachlichen oder sonstigen Zusammenhängen auch wieder. Vielen Dank, dass wir zusammenarbeiten durften!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Nun zu dem hier vorgelegten Antrag: Die Ausbildungsfrage ist in der Pflege – sowohl bei der Altenpflege als auch bei der Krankenpflege – natürlich eine zentrale Frage. Wichtige Punkte sind angesprochen worden. Ich würde gern einige herausgreifen.

Das ist einmal das Thema „Auszubildende nicht als Lückenbüßerinnen und Lückenbüßer verwenden“. Es sind viel zu wenige Anleitungskräfte vorhanden, weil sie als examinierte Kräfte an anderen Stellen gebraucht werden, zum Beispiel für die Dienstplangestaltung, die Medikamentengabe und, und, und, aber auch für Beratung in schwierigen Fragen, weil die angelernten Kräfte in aller Regel immer wieder Unterstützung brauchen. Insofern ist das ein ganz zentraler Punkt. Da müssen wir intensiv ansetzen. Es geht darum, dass wir Freistellungsmöglichkeiten und mehr Personal an diesen Stellen bekommen, um mehr Verlässlichkeit im System zu schaffen.

Die Punkte inhaltlicher Art, die die Kollegin Schneider aufgegriffen hat, sind durchaus durchgängig zutreffend. Mein Problem ist nur: Ich sehe nicht, dass das abgearbeitet ist.

Der erste Punkt betrifft die Pflegelücke. Das ist ja kein Vorwurf an die Landesregierung. Es ist aber eine Einordnung. Die Zahlen, die Kollegin Lück aus dem eigenen Bericht der Landesregierung vorgetragen hat, sind nun einmal erschreckend. Wir wissen aus entsprechenden Analysen, dass Hunderttausende von Pflegekräften fehlen können.

Trotzdem will auch ich das noch einmal einordnen, weil wir im System einerseits die Fragen haben, die der Antrag durchaus anspricht, aber andererseits zum Beispiel auch das, was auf Bundesebene auch vereinbart worden ist oder was wir auch fachlich tun können – Stichwort „Quartiersarbeit“, Stichwort „Community Health Nursing“. Man kann zwar nicht sofort Abhilfe schaffen. Es geht aber darum, erst einmal sowohl für die Pflegenden als auch für die Gepflegten Perspektiven zu bieten und neue Möglichkeiten zu schaffen, länger im Quartier leben zu können. Dafür müssen fachlich neue Anforderungen gestellt werden. Wenn Quartiere barrierefrei sind, wenn Wohnungen barrierearm sind, wenn Zugangsmöglichkeiten anders ausgestaltet sind, wenn Fachkräfte im Quartier die häuslich pflegenden Angehörigen unterstützen können usw., sind das natürlich echte Veränderungen, die im System helfen. Ich hätte mir gewünscht, dass das im Antrag zur Einordnung ein Stück weit vorkommt.

(Beifall von den GRÜNEN)

Natürlich ist es gut, dass auf Bundesebene vereinbart worden ist, die Personalbemessung jetzt auch fachlich voranzutreiben, und dass es auch eine Ansage gibt, die Gehaltslücke zum Beispiel bei den Altenpflegekräften gegenüber den Krankenpflegekräften zu schließen. Das wird noch eine spannende Aufgabe, weil dafür auch Aufgabenfelder notwendig sind.

Auch die von Frau Kollegin Schneider angesprochene Digitalisierung und die Robotik sind wichtige Punkte. Aber sie werden immer nur in dem bestehenden System umgesetzt und perpetuiert. Wenn sie überhaupt darin wären, wäre es auch schon einmal gut und ein Fortschritt. Allerdings müssen wir insgesamt die sektorübergreifende Zusammenarbeit stärken. Wir müssen die berufsübergreifende Kooperation stärken. Wir müssen diese Möglichkeiten dann auch im Quartier schaffen.

Aber am Ende müssen wir – das ist völlig richtig – auch sagen, dass wir schlichtweg mehr Geld im System brauchen. Denn mehr Personal kostet mehr Geld. Auch, um vorhandenes Personal länger im Beruf zu halten, müssen wir Geld investieren. Wir müssen in Gesundheitsförderung investieren.

Die 35-Stunden-Woche kommt mir da jetzt, ehrlich gesagt, ein bisschen locker dahingesagt vor. Ich finde sie richtig – aber gezielt eingesetzt mit einem Recht auf Vollzeit und darauf, mit einer flexiblen Zeit von 30 bis 40 Stunden arbeiten zu dürfen, und zwar insbesondere für diejenigen, die höheren Semesters sind. Da meine ich durchaus auch schon meine Generation, also Menschen ab 50 und nicht erst ab einem höheren Alter.

Wichtig wäre auch die Möglichkeit, die Aufgabenfelder wechseln zu können, also von der dauerhaften täglichen körperlichen Pflege in andere Bereiche wechseln zu können, aber auch rotieren zu können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotzdem werden wir uns bei diesem Antrag enthalten, weil er uns nicht weit genug geht.

Aber zu einem möchte ich uns insgesamt aufrufen: In der neuen Legislaturperiode wird dies eines der zentralen Arbeitsfelder für die Landespolitik sein. Ich will auch nicht immer dieses Bild vom Klatschen für Pflegekräfte ansprechen. Es wird in unserem eigenen Interesse liegen, die Pflege und die Bedingungen für gute Pflege und gutes Wohnen im Quartier deutlich zu verbessern. Daran müssen wir alle substanziell arbeiten und die besten Konzepte auf den Tisch legen. Sonst werden wir uns immer wieder gegenseitig vorhalten: Warum klappt es in der Pflege nicht? Warum ist dieses Symptom falsch oder jenes Symptom falsch?

Deswegen kann ich uns alle nur aufrufen, sehr ehrlich mit dem Thema umzugehen und sehr deutlich zu sagen: Es wird mehr Geld kosten; es wird mehr Aufwand bedeuten.

Der Streit um die besten Kapazitäten auch beim Personal – denn Fachkräftemangel gibt es nicht nur in der Pflege, sondern auch in anderen sozialen Berufen – wird weitergehen.

Letzter Aspekt: Sie haben das Thema „Berufsanerkennung“ angesprochen. Das, was da passiert, finde ich auch gut. Aber es wäre gerade unser Job, für Kooperationen mit anderen europäischen Ländern zu sorgen, um dort Kapazitäten und Pflegefachschulen aufzubauen, damit es nicht zum Braindrain kommt – der schlimmste Braindrain erfolgt ja gerade in der Ukraine –, sondern die Menschen vor Ort arbeiten können und, wenn sie mal eine Zeit lang hier gewesen sind, auch zurückkehren können und mit ihrem Fachwissen dort wichtige Arbeit leisten können. Das halte ich nicht nur für einen moralischen Auftrag für uns, sondern auch für fachlich völlig berechtigt. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)