Matthi Bolte: „Wir werden eine Regelung, die die Vorratsdatenspeicherung rechtlich oder politisch legitimiert, nicht mittragen“

Antrag der Piraten zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung

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Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir hier über die Vorratsdatenspeicherung debattieren. Die Positionen sind weitgehend ausgetauscht. Herr Kollege Herrmann hat bereits daran erinnert, dass wir uns regelmäßig über dieses Thema unterhalten haben. Bündnis 90/Die Grünen, die Piratenfraktion, weitgehend die FDP und einige Teile der Sozialdemokratie sind gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung, andere Teile der Sozialdemokratie und die CDU sind für die Vorratsdatenspeicherung. Das haben wir hier oft genug miteinander besprochen.
Ich finde den Sound der heutigen Debatte durchaus wohltuend anders als in der Vergangenheit, und zwar insofern, als wir beispielsweise festgestellt haben, dass uns über die verschiedenen Sichten zum Thema „anlasslose Vorratsdatenspeicherung“ hinweg immerhin eint, dass wir beispielsweise Freifunkinitiativen unterstützen wollen und das gemeinsam tun wollen.
Wenn wir uns das EuGH-Urteil anschauen und uns fragen, was sich substanziell geändert hat, dann ist es tatsächlich folgendermaßen: Die ersten Überschriften lasen sich – jetzt aus Sicht eines Gegners der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung – recht vielversprechend, nämlich so, als hätte der Europäische Gerichtshof die anlasslose Vorratsdatenspeicherung endgültig beerdigt. Nach dem zweiten Lesen bin ich mir aber nicht mehr ganz so sicher. Das Urteil scheint eher die Linie von 2014 zu bestätigen.
Insofern muss man sehr genau hinschauen, ob diese Linie eher ein „Nein, aber“ oder eher ein „Ja, aber“ ist. Da kommt es sehr genau auf die Analyse an; denn sowohl das EuGH-Urteil aus 2014 als auch das EuGH-Urteil aus 2016 schließen die Vorratsdatenspeicherung nicht kategorisch aus. Nach Einschätzung renommierter Juristen in Deutschland sind aber wesentliche Aspekte der deutschen Gesetzgebung mit diesen Anforderungen nicht oder nur schwer vereinbar, wenngleich ich weiß, dass die Bundesregierung zumindest in ihren ersten Äußerungen eine andere Position vertreten hat.
Der EuGH – diese Debatte haben wir schon 2014 intensiv geführt – ordnet beispielsweise an, dass nur Kommunikationsdaten von Menschen gespeichert werden dürfen, wenn sie mit einer schweren Straftat im Zusammenhang stehen. Wenn man die deutsche Regelung daneben legt, dann stellt man fest, dass danach anlasslos und allgemein Daten erhoben werden sollen. Das beißt sich natürlich.
Wir als Grüne haben in der Vergangenheit immer wieder betont, dass aus unserer Sicht allenfalls ein Quick-Freeze-Verfahren denkbar wäre, auch wenn man sich – das ist jetzt wirklich nur noch etwas für die Fachdebatte – immer darüber unterhalten muss, ob das grundrechtlich verhältnismäßig ist; denn es kommt dann darauf an, wie das ausgestaltet ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen – gerade diejenigen, die sich nicht jeden Tag mit innenpolitischen und datenschutzpolitischen Fragen beschäftigen –, dass die Materie durchaus komplex ist. Deshalb ist aus meiner Sicht die Bundesregierung jetzt dringend gefragt, das Urteil sehr gründlich auszuwerten und die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen.
Die sinnvollste wäre aus meiner Sicht der Verzicht auf die anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Sollte sie diese Konsequenz nicht ziehen, dann wird eben Karlsruhe diese Frage klären.
Wie sich das Bundesverfassungsgericht entscheidet, lieber Kollege Herrmann, bleibt abzuwarten. Ich bin immer im Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht als dem höchsten deutschen Gericht so unterwegs, dass ich mich mit Prognosen zurückhalte. Aber ich tendiere in eine ähnliche Richtung. So vorsichtig will ich es sagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns Grüne ist klar: Wir lehnen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ab. Wir stehen zu unserem Wort, sie an keiner Stelle politisch zu unterstützen. Es ist ja – der Kollege hat es eben angesprochen – der Bundesregierung nur mit einigen Verrenkungen gelungen, einen Gesetzentwurf zu schreiben, der im Bundesrat nicht zustimmungsbedürftig war. Das hatte natürlich auch damit zu tun, dass im Bundesrat grün mitregierte Länder sitzen.
Wir werden uns auch keinen Forderungen anschließen, wie sie aus der CDU immer wieder formuliert werden, beispielsweise auf eine Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung auf Messenger-Dienste, eine Verlängerung der Speicherfristen und Ähnliches, weil wir das für unverhältnismäßig halten; denn das wäre ein noch krasserer Grundrechtseingriff als das, was heute schon normiert ist.
Darüber hinaus schaffen wir auch keine landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen für den Zugriff auf die anlasslos und massenhaft erhobenen Daten; denn das wäre jedenfalls nach meiner Lesart des EuGH-Urteils damit definitiv nicht vereinbar, weil man so die Auflage verletzten würde, dass die Daten, wenn überhaupt, nur bei schweren Straftaten zugänglich gemacht werden dürfen und eben nicht bei weniger gravierenden Straftaten.
Statt anlassloser Massenüberwachung haben wir sinnvoll in die Sicherheitsbehörden investiert mit guter Ausstattung und mit so viel Personal bei der Polizei wie noch keine Regierung zuvor.
Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Ball für eine Neugestaltung oder hoffentlich das Ende der Vorratsdatenspeicherung liegt in Brüssel und in Berlin. Was das Land angeht, betone ich gerne noch einmal, …
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Ihre Redezeit ist beendet.
Matthi Bolte (GRÜNE) … dass wir eine Regelung, die die Vorratsdatenspeicherung rechtlich oder politisch legitimiert, nicht mittragen werden. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)