Matthi Bolte: „Unsere Freiheit steht auf dem Spiel.“

Antrag von SPD und GRÜNEN zum Überwachungsskandal

Matthi Bolte (GRÜNE): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die gesamte Plenarwoche steht ja ein Stück weit unter dem Eindruck der Bundestagswahl, bei der wir erlebt haben, dass die FDP als ehemalige Bürgerrechtspartei aus dem Parlament gewählt worden ist. Das ist schon ein durchaus bemerkenswerter Punkt. Der ehemals stolze Bürgerrechtsflügel Ihrer Partei hat längst die Segel gestrichen. Sie haben sich über Jahre darauf konzentriert, laut zu krakeelen, erst für Steuersenkungen, dann gegen Ihren Koalitionspartner. Das ist die Performance gewesen, für die Sie am Sonntag die Quittung erhalten haben.
Meine Damen und Herren, wir haben unseren Antrag überschrieben: „Unsere Freiheit steht auf dem Spiel“. Wir haben auch ganz klar ausgemacht, an wem das in den vergangenen Monaten lag, nämlich an einem bemerkenswerten Desinteresse der Bundesregierung daran, den Überwachungsskandal aufzuklären und für den Grundrechtsschutz der Bevölkerung in der Bundesrepublik einzutreten. Die Bundesregierung hat sich stets nach dem Motto „nichts hören, nichts sehen, nichts sagen“ verhalten. Sie hat die historische Dimension dieses Skandals völlig verkannt. Und selbst wenn sie sie erkannt hätte, hätte sie offensichtlich nicht reagiert.
(Vorsitz: Vizepräsident Oliver Keymis)
Meine Damen und Herren, unsere Freiheit steht auch angesichts der Vorgänge rund um das „Projekt 6“ in Neuss auf dem Spiel. Ich weiß, dass es immer ein Spannungsfeld zwischen geheimdienstlicher Tätigkeit und deren Transparenz gibt. Aber es ist schon bemerkenswert, welches Maß die Enthüllungen zum Überwachungsskandal in Nordrhein-Westfalen jetzt erreicht haben.
Wir wollen wissen – das machen wir in unserem Antrag auch klar –, in welchem Ausmaß NRW von diesem Skandal betroffen ist. Das, was die Bundesregierung hierzu bisher eingeräumt hat, das reicht uns nicht. Es reicht uns nicht, was die Bundesregierung bisher dazu gesagt hat.
Es ist ja nicht so, Kollege Düngel, um Ihre Frage von gerade noch mal aufzunehmen, dass die Landesebene nicht aktiv gewesen wäre. Der Innenminister hat sich sofort an seinen Kollegen in Berlin gewandt mit der Aufforderung, das aufzuklären. Und was hat der Bundesinnenminister gesagt? Er hat gesagt: Na ja, wir sagen euch nicht so genau, was da passiert ist. Aber das, was da passiert ist – das wissen wir genau –, hatte alles seine Richtigkeit. – Das, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist doch kein Umgang. Das ist nicht die Transparenz, mit der wir den größten Überwachungsskandal in der Geschichte aufklären können.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir haben an vielen Stellen große Fragezeichen an diesem Projekt in Neuss. Wir haben keine klaren Angaben über den Ort der Aktivitäten. Es stellt sich auch die Frage, warum es eigentlich notwendig ist, dass die beteiligten Behörden einen Extrastandort anmieten, angeblich nur um eine harmlose Datenbank aufzubauen. Es stellt sich schon die Frage, warum das notwendig ist, wenn das BfV seinen Sitz in Köln hat, quasi um die Ecke. Es ist auch völlig unklar geblieben, auf welcher Rechtsgrundlage das alles passiert.
Auch das muss die Bundesregierung aufklären. Die Bundesregierung muss klarmachen, an wen zu welchem Zeitpunkt Daten übermittelt wurden. Wir fordern Aufklärung, warum die nordrhein-westfälischen Behörden über diese Tätigkeiten nicht informiert waren, was sie aus unserer Sicht eigentlich hätten sein müssen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir über Freiheit sprechen, dann müssen wir auch die Debatten aus den letzten Monaten betrachten. Da ist viel über Freiheit gesprochen worden. Aber bei der Definition von Freiheit ging es nicht um Überwachung. Da ging es vielmehr Fragen wie: Will ich donnerstags in der Kantine billige Würstchen essen? Will ich lange, bunte Körperbehaarung haben? Wie schnell will ich auf der Autobahn fahren? – Das aber sind doch nicht die Fragen, um die es geht, wenn wir über Grundrechte, wenn wir über Freiheitsrechte reden.
Wir müssen über Fragen sprechen, wo konkrete Bedrohungen unserer Freiheit stattfinden. Und das ist tatsächlich der Fall, wenn Geheimdienste unser Kommunikationsverhalten lückenlos überwachen, anlasslos speichern und unsere Kommunikation und unsere Grundrechte massiv einschränken.
Meine Damen und Herren – das möchte ich an dieser Stelle direkt ankündigen –, solche Ausweichmanöver, wie wir sie in den letzten Monaten erlebt haben, werden wir in den nächsten Jahren genauso wenig hinnehmen – wie immer eine neue Bundesregierung aussehen mag. Diese Ausweichmanöver werden wir nicht länger hinnehmen. Auch die Untätigkeit der bisherigen Bundesregierung werden wir nicht länger hinnehmen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)