Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich kann mich den Ausführungen von Dietmar Bell anschließen. Zunächst einmal war ich positiv überrascht, dass dieses Thema überhaupt adressiert wurde. In dem Ziel, Geschlechtergerechtigkeit an den Hochschulen herzustellen, sind wir uns ja einig. Ich werde gleich eine Reihe von Punkten dieses Antrags kritisieren, aber mich bemühen, keine Schärfe in die Debatte hineinzubringen, und an Sie appellieren, die Debatte gemeinsam zu führen und gemeinsame Wege zu etablieren.
Auch durch Corona stellen wir fest, wie schwierig die Situation ist. Sie war schon vor Corona schwierig, aber ist durch die Pandemie noch schlechter geworden.
Ein paar Schlaglichter, wie die Geschlechterbenachteiligung im Wissenschaftsbetrieb aussieht:
Die Leopoldina als Nationale Akademie der Wissenschaften hat in ganz wesentlichen Zügen die deutsche Coronastrategie mitbestimmt. Die dafür zuständige Kommission hat 26 Mitglieder, davon zwei Frauen. Ich sage: Das merkt man auch an den Ergebnissen und Empfehlungen dieser Kommission.
(Beifall von den GRÜNEN)
In der Öffentlichkeit stehen rund um die Coronapandemie vor allem männliche Wissenschaftler. Noch wichtiger für die wissenschaftliche Welt ist der Coronapublikations-Gap, der sich schon jetzt abzeichnet und auch statistisch nachweisen lässt. In vielen Forschungsdisziplinen werden seit Beginn der Pandemie weniger Arbeiten von Wissenschaftlerinnen veröffentlicht. Die Gründe kennen wir: eine ungleiche Verteilung der Care-Arbeit in den Familien und zu wenig Unterstützung für Frauen und Familien in dieser Krise.
Wir wissen doch alle, was es für wissenschaftliche Karrieren bedeutet, wenn es in einer historischen Situation so einen Publikations-Gap gibt. Das wird wahrscheinlich ein langfristiger und nachhaltiger Karriereknick für viele Wissenschaftlerinnen sein.
Der Handlungsbedarf ist also akut. Diese akute Perspektive fehlt im Antrag; sie wird komplett ausgeblendet.
Die grundlegenden Feststellungen im Antrag sind durchaus richtig. Wir teilen den Anspruch, geschlechterbezogene Diskriminierung an den Hochschulen zu bekämpfen. Es ist ein Skandal. Es ist super, dass wir es schaffen, gemeinsam festzuhalten, dass das ein Skandal ist, dass der „Gender-Report“ ein Gender Pay Gap von 7,7 % für Professorinnen gegenüber Professoren offenbart. Dass diese Verdienstlücke dann auch noch mit steigenden Besoldungsgruppen immer größer wird, das zeigt auch, wie dramatisch ungleich die Aufstiegschancen im Wissenschaftssystem verteilt sind.
Aber wir müssen bei dieser Problemanalyse auch die ganze Breite in den Blick nehmen, denn der Antrag geht auf eine ganze Reihe von Problemen, die der „Gender-Report“ auflistet, nicht ein, zum Beispiel darauf, dass an vielen Hochschulen das Gender-Budgeting unzureichend umgesetzt wird, dass die Gleichstellung an den Hochschulen nicht die einzige Baustelle ist, sondern wir über das gesamte Wissenschaftssystem sprechen müssen, auch über die Forschungseinrichtungen. Insgesamt wird auch die Lage der Beschäftigten im Antrag zu kurz betrachtet. Es folgt kein Bezug zu Studentinnen, also zu der ganzen akademischen Karriere. Da besteht sicherlich Nachholbedarf.
Ein Austausch zu hochschulinternen Anreizsystemen und Steuerungsinstrumenten macht Sinn, aber eben nicht alleine mit den Hochschulleitungen. Gleichstellungsbeauftragte und die entsprechenden Forscherinnen müssen hier einbezogen werden.
Die Forderung nach einem zusätzlichen Bericht zum Gender Pay Gap mag nicht falsch sein, aber sie ist natürlich nur dann sinnvoll, wenn sie auch in die bestehenden Strukturen eingebunden wird, nämlich in den „Gender-Report“, in die vorhandenen Portale. Da braucht man nicht das Rad neu zu erfinden; das Rad ist schon längst da.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ausführlicher eingehen möchte ich noch auf das Stichwort „Vereinbarkeit“. Es ist nicht alleine ein Thema für Frauen, die Vereinbarkeit von Familie und Karriere endlich zu gewährleisten. Gerade wenn es um Familien geht, stehen Väter in einer gewissen Verantwortung, endlich einmal einen Beitrag zu leisten.
Davon abgesehen ist natürlich Vereinbarkeit von Karriere und Familie nicht die alleinige Herausforderung, über die wir sprechen müssen, wenn wir Gleichberechtigung im Wissenschaftsbereich fordern wollen, wenngleich wir auch da eine ganze Reihe Baustellen haben. Wenn wir zum Beispiel Kinderbetreuung an den Hochschulen in den Blick nehmen wollen, dann müssen wir auch in den Blick nehmen, dass wir völlig unterfinanzierte Studierendenwerke haben.
Letzter Punkt: Ich finde es traurig, dass Sie in diesem Antrag komplett verschweigen, warum wir denn in den letzten Jahren die Fortschritte erzielt haben. Wir haben mit dem Hochschulzukunftsgesetz – Dietmar Bell hat es gerade schon angesprochen – gegen Ihren erheblichen, gegen Ihren erbitterten Widerstand klare gesetzliche Regelungen zur Gleichberechtigung an den Hochschulen durchgesetzt.
Durch flexible Frauenquoten beim Personal und Frauenquoten in den Gremien haben wir es geschafft, dass Karrierewege von Frauen an der Hochschule gefördert werden. Das funktioniert. Das haben wir gezeigt. Ich finde, Sie sollten, weil wir diese Erfahrungen gemacht haben, auch durchaus mal andere Bereiche betrachten. Wirkliche Gleichberechtigung gibt es nur dann, wenn wir nicht alleine auf Austauschrunden und Mentoring setzen, sondern vor allem auch auf klare Regeln. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)