Matthi Bolte-Richter: „Wir stellen einfach fest, dass diese Lage für viele Tausend Menschen in unserem Land existenziell bedrohlich ist“

Antrag der SPD-Fraktion zu Hilfen für die Veranstaltungsbranche

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich versuche es einmal ohne Zwischenfrage aus meiner eigenen Fraktion.
Wenn man diese Debatte verfolgt, fragt man sich schon ein bisschen, ob eigentlich alle mitbekommen haben, wie die letzten Monate verlaufen sind. Herr Bombis, Ihre Rede hätte vielleicht im Frühjahr noch ganz gut gepasst, als wir nicht genau wussten, wie das alles wird.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Aber wir kennen jetzt die Situation sehr genau. Wir kennen auch die Situation der Betroffenen sehr genau. Heute zu sagen: „Wir werden schon irgendwie kreativ; das wird schon irgendwie alles funktionieren“, ist der Lage nicht so richtig angemessen.
Wir sprechen hier zwar über einen Rahmen, bei dem es durchaus um Spaß und Freude geht, nämlich um leuchtende Kinderaugen vor bunten Karussells, was für uns alle sicherlich mit persönlichen Kindheitserinnerungen verbunden ist. Aber es geht eben nicht nur um Spaß und Freude, wie wir das immer in unseren Debatten hier empfinden, sondern es geht um harte Arbeit und um berufliche Existenzen. Denn diejenigen, die uns diese schönen Erlebnisse mit den leuchtenden Kinderaugen vor den bunten Karussells ermöglichen, verdienen unsere Unterstützung. Schaustellerinnen und Schausteller in unserem Land verdienen unsere Unterstützung.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir wissen doch jetzt ganz genau: Großveranstaltungen wie Festivals und Jahrmärkte sind noch mindestens bis Ende Oktober verboten. Das ist unter dem Gesichtspunkt des Infektionsschutzes offensichtlich der richtige Weg. Wir wissen auch nicht, wie es im Anschluss weitergeht – ob es weitere Verbote gibt, ob Weihnachtsmärkte möglich sind.
All das empfinden die Schaustellerinnen und Schausteller als existenzbedrohlich. Diese Fragen möchten sie auch gerne beantwortet haben, und zwar politisch beantwortet haben. Sie wollen nicht einfach nur hören: Ja, das wird schon alles irgendwie; bisher ist es ja immer noch gutgegangen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Nein, das ist eben nicht der Fall!
Herr Bombis, Sie führen an, dass es diese Pop-up-Freizeitparks in größeren Städten in NRW gegeben hat bzw. immer noch gibt. Es ist sicherlich richtig, dass es sie gegeben hat. Aber die Rückmeldungen, die wir alle bekommen, lauten doch: Das hat durchaus an vielen Stellen funktioniert. Aber die Verluste, die die Branche durch Corona und durch die Schließung eingefahren haben, konnten dadurch mit Sicherheit nicht ausgeglichen werden. Sie haben nun einmal nicht ein vollwertiges Kirmeserlebnis, wenn Sie irgendwo auf einem großen Parkplatz ein Karussell stehen haben. Das ist eben etwas grundsätzlich anderes als das, was die Menschen schätzen.
Ich war wirklich überrascht – das muss ich ganz ehrlich sagen –, wie wunderbar die Redner der Koalition die Lage darstellen, wie wunderbar in ihrer Welt offensichtlich alles läuft. Denn die Rückmeldungen sind andere. Die Rückmeldung ist ganz klar, dass die Branche diese Lage als existenziell bedrohlich empfindet.
Und es geht noch weiter. Die vergangenen Monate hätten Schaustellerinnen und Schausteller in einem normalen Jahresverlauf natürlich genutzt, um Reserven für den Winter aufzubauen, also für die Zeit, in der sie keine Einnahmen generieren. Diese harte Zeit kommt erst noch. Da brauchen sie Hilfe.
Wir sehen ja auch – die Rückmeldungen sind sehr klar –, dass die bisherigen Hilfen vielen Branchen durchaus geholfen haben. Aber die existenziellen Nöte und die Verluste werden noch länger anhalten.
Darüber hinaus haben wir die Rückmeldung, dass die bisherigen Systeme so offensichtlich nicht funktionieren.
Deswegen ist es richtig, was die SPD heute fordert, dass sie diese Forderung aufgreift und eine spezifische Lösung fordert.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Es gibt natürlich auch noch andere Bereiche. Wir sprechen immer über die Schaustellerinnen und Schausteller, weil wir uns darunter sehr viel vorstellen können. Aber wir sprechen auch über die ganze Veranstaltungsbranche – von vielen, vielen Tausend Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen, die von dieser Lage massiv betroffen sind und auch in Zukunft massiv betroffen sein werden.
(Bodo Löttgen [CDU]: Was haben Sie getan?)
– Herr Löttgen, Sie fragen mich jetzt nicht ernsthaft, was wir getan haben, als wir keine Pandemie hatten. Entschuldigung! Wir hatten zwischen 2010 und 2017 nun einmal kein Corona.
(Bodo Löttgen [CDU]: Jetzt!)
Dass wir jetzt gerade nicht in der Landesregierung sind, sollten Sie vielleicht einmal zur Kenntnis nehmen. Im Moment stehen Sie in der Verantwortung, etwas für die Betroffenen, über die wir heute sprechen, zu tun, lieber Kollege Löttgen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir stellen einfach fest, dass diese Lage für viele Tausend Menschen in unserem Land existenziell bedrohlich ist. Wir sehen, dass diese Menschen, die von dieser Lage betroffen sind, uns allesamt die Rückmeldung geben: Wir brauchen Hilfe. Wir brauchen Unterstützung. Das, was ihr bisher gemacht habt, funktioniert nicht.
Die Rückmeldung, die sie heute von dieser Debatte in diesem Landtag bekommen, ist: Na ja; für uns als schwarz-gelbe Koalition wird das schon alles irgendwie hinhauen. Wir wissen noch nicht, wie. Aber es hat immer schon funktioniert. Und wir haben mit Regieren überhaupt nichts zu tun.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)