Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Gut, dass wir hier mit Plexiglas- und nicht mit Stahlkabinen arbeiten.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ja, wir haben in den letzten Jahren hier in diesem Landtag immer wieder über die Situation bei thyssenkrupp gesprochen und debattiert.
Dass wir es heute wieder tun, hat einen offensichtlichen Grund: Die schwierige Situation ist noch nicht bereinigt. Es hat offensichtlich zu wenig Unterstützung gegeben. Offensichtlich ist zu wenig passiert, um den 27.000 Beschäftigten bei thyssenkrupp eine klare Perspektive zu geben. Es ist zu wenig passiert, um eine klare Strategie zu entwickeln, wie Nordrhein-Westfalen als größter Stahlstandort Europas erhalten bleiben kann.
Vor allem ist zu wenig passiert, eine Strategie zu entwickeln, um dafür zu sorgen, wie die Perspektive über den Tag hinaus aussehen kann; das erwarten wir von einer Landesregierung, Herr Professor Pinkwart.
Wir erwarten von einer Landesregierung, dass die Probleme nicht nur mit Interesse zur Kenntnis genommen werden – das würde ich Ihnen sogar noch attestieren –, sondern dass sie an der Spitze der Bewegung steht, wenn es um einen systemrelevanten Konzern geht, wenn es um eine wichtige Branche geht, wenn es um einen entscheidenden Sektor für die Industrie in ganz Deutschland geht. Wir werfen Ihnen vor, dass Sie das nicht tun.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir haben es gerade von Herrn Rehbaum gehört: Wir machen das alles; es wird schon alles gut werden. – Wenn wir danebenlegen, was tatsächlich passiert, sehen wir: Die letzte Abstimmungsrunde in dieser Allianz für Stahl, die Sie einige Male beschworen haben, nämlich die Stahlbundesländer – so die Antwort auf die SPD-Anfrage –, fand Anfang März statt.
Sie sind ja immer gut für Gipfel, Herr Pinkwart; machen Sie doch mal einen. Jetzt soll der Stahlgipfel irgendwann im Dezember kommen, in vier Monaten, aber wir haben doch eine akute Krisenlage. Das müssen Sie sich doch mal anschauen.
Was heißt das übersetzt, was Sie da machen? – Komm‘ ich heut‘ nicht, komm‘ ich morgen.
(Beifall von den GRÜNEN)
So kann man doch kein Land regieren.
Entscheidend ist die Frage der Perspektive nach vorne. Die Zukunft steht natürlich auch für die Stahlindustrie offen, aber das ist eine Frage der politischen Gestaltung.
Wenn wir die Herausforderung heute beherzt anpacken, kann es gelingen, dass Nordrhein-Westfalen, dass Deutschland zum zentralen Innovationsstandort in der Stahlproduktion in ganz Europa wird.
Wenn wir die nordrhein-westfälische Wirtschaft schon heute fit machen wollen, wenn wir schon heute das Morgen gestalten wollen, müssen wir dieses neue Wirtschaftswunder aber auch politisch beherzt gestalten, denn ein neues Wirtschaftswunder muss eben ein grünes Wirtschaftswunder sein.
(Beifall von den GRÜNEN)
In diesem Transformationsprozess wird das so deutlich wie an keiner anderen Stelle, wenn wir uns zum Beispiel anschauen, was für eine entscheidende Rolle grüner Wasserstoff spielen wird, der mit erneuerbaren Energien klimaneutral erzeugt ist.
Der Ministerpräsident war vor einigen Tagen in Schleswig-Holstein und hat sich davon beeindrucken lassen, wie man es halt auch machen kann. Da hat Ministerpräsident Laschet laut NDR-Bericht gesagt, während andere Bundesländer noch diskutieren würden, habe Schleswig-Holstein schon ganz konkrete Projekte in der Energiewende.
Sie kennen sich mit Ländern aus, Herr Laschet, die bei der Energiewende und gerade bei der Windenergie auf der Bremse stehen,
(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])
denn Sie stehen ja einer Regierung vor, die genau das konsequent tut. Sie reden, Sie diskutieren, und dabei würgen Sie die Energiewende ab.
Die Debatten über Standortsicherung – gerade nach der Coronakrise –, die Bewältigung der Klimakrise, die Digitalisierung, das alles einmal konsequent zusammenzudenken, ist doch eine Aufgabe für politisches Handeln und eine Wirtschaftspolitik mit Zukunft.
(Beifall von den GRÜNEN)
Nur so kommen wir zu den nächsten großen Innovationsschritten, gerade in der Stahlerzeugung, nämlich zu einem klimaneutralen Hochofenprozess mit grünem Wasserstoff.
Das ist die entscheidende Chance, die Stahlindustrie hierzulande in der Rolle, in der Relevanz, wie sie heute vorhanden ist, zu erhalten. Nur so schaffen wir es, dass NRW und Deutschland den weltweiten Standard für die Stahlherstellung setzen.
Damit Unternehmen wie thyssenkrupp die notwendigen Investitionen tätigen können und die klimaneutralen Produkte auch wettbewerbsfähig sind, muss Industriepolitik den entsprechenden Rahmen und die entsprechende Planungssicherheit schaffen. Wir sehen doch, dass die Stahlindustrie in der Krise steckt. Das ist natürlich durch die Coronakrise nur noch schlimmer geworden.
Entscheidend wird sein, dass wir Schutzmechanismen haben, dass wir Antidumping- und Antisubventionsmechanismen und verbindliche Umweltstandards beim Stahlimport schaffen. Da ist die europäische Ebene natürlich am Zug, aber sie braucht eben auch Unterstützung von der regionalen Ebene, sie braucht Unterstützung und Druck von der nationalen Ebene, damit wir diese Standards schaffen, damit die Stahlbranche diese kritische Phase übersteht.
Wir brauchen dafür eine Landesregierung, die in diesem Feld aktive Industriepolitik macht, damit diese Schlüsselindustrie für Deutschland auf ihrem Weg in dieser großen Transformation unterstützt wird, damit es konkrete Handlungen gibt, konkrete Planungssicherheit für die Unternehmen mit Ordnungsrahmen, der einen CO2-Mindestpreis garantiert, der den Wandel durch Klimaverträge mit der Industrie bewusst gestaltet, damit sich die Umstellung auf klimaneutrale Produkte auch tatsächlich lohnt.
Wir brauchen dafür auch einen Ordnungsrahmen. Ich gebe zu, Herr Pinkwart, das machen Sie nicht alles hier im Land. Das machen wir auch auf den anderen Ebenen. Aber da brauchen wir auch eine Landesregierung, die bereit ist, tatsächlich zu gestalten, damit wir so einen Ordnungsrahmen haben. Denn das ist eine politische Gestaltungsaufgabe.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es ist möglich, dass wir diese Aufgabe tatsächlich gestaltet bekommen. Das passiert aber nur, wenn wir eine Regierung haben, die sich an die Spitze setzt und die das will.
(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])
Deshalb ist jetzt auch nicht der Zeitpunkt – denn die Debatte wird immer wieder auf die Tagesordnung gebracht –, über Lockerungen bei den Klimaauflagen zu sprechen, sondern es geht um kluge Antworten, es geht um mutige Antworten auf diesen Transformationsprozess. Es geht natürlich ebenfalls darum, dass sich die Länder und auch der Bund beteiligen, dass sie die Unternehmen in diesem Prozess unterstützen.
Denn wenn wir uns anschauen, dass allein thyssenkrupp mit dem Standort Duisburg für 2 % der deutschen CO2-Emissionen verantwortlich ist, dann sehen wir: Es ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, und es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, diese Transformation zu gestalten.
Die Herausforderungen dieser Transformation sind riesig. Das wissen wir doch alle. Aber wir werden sie nicht dadurch angehen können, dass wir uns vor der Zukunft verstecken – das ist das, was die Landesregierung im Moment tut –, sondern wir können diese Herausforderungen nur dann gestalten, wenn man tatsächlich eine aktive Industriepolitik macht, mit der die Schlüsselindustrien abgesichert werden, eine aktive Politik, die diese Transformation gestaltet, die das Klima schützt, die den Beschäftigten und dem Standort eine Perspektive bietet. Das erwarten wir von Ihnen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Was können wir aus der ersten Runde mitnehmen? Wir können eines positiv mitnehmen – nämlich, dass wir hier über das grüne Wirtschaftswunder offensichtlich einen Wettbewerb haben. Jetzt wollen plötzlich alle das grüne Wirtschaftswunder nach vorne bringen, wie wir das schon seit Jahren in unseren Konzepten fordern. Herr Minister, ich finde den Wettbewerb an dieser Stelle gut. Lassen Sie uns in diesem Wettbewerb vorangehen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir sind ja schon einmal einen Schritt weiter, wenn Sie nicht mehr in den alten Ideologien verhaftet sind.
Dann muss man doch, lieber Herr Pinkwart, genau überprüfen: Was ist denn da eigentlich los? Wie viel grünes Wirtschaftswunder passiert denn in Ihrem Haus?
(Lachen von Prof. Dr. Andreas Pinkwart, Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie)
Wie sieht es in diesem Wettbewerb eigentlich aus? Man muss sich das einmal angucken. Denn ein FDP-Wirtschaftsminister, der gerade bei uns in Nordrhein-Westfalen die Windenergie dermaßen abwürgt, wie Sie das in der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode mit einem ideologischen Feldzug getan haben, ist beim grünen Wirtschaftswunder alles andere als glaubwürdig, Herr Pinkwart.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ja, wir brauchen in Nordrhein-Westfalen eine erneuerbare Energieversorgung, die hier in NRW ausgebaut ist. Denn das ist ein Standortfaktor für die Zukunft der Stahlindustrie. Das gehört natürlich zusammen. Für klimaneutralen Stahl brauchen wir klimaneutralen Wasserstoff. Das ist hier mehrfach betont worden. Aber Voraussetzung dafür ist, dass die Energiewende in Nordrhein-Westfalen tatsächlich gelingt und dass wir erneuerbaren Strom auch hier in NRW verfügbar haben.
Das ist im Übrigen auch im Wettbewerb mit anderen Stahlstandorten ein entscheidender Faktor, den wir auch aus der Branche immer wieder widergespiegelt bekommen – zum Beispiel von der Salzgitter AG, aber auch von anderen Akteuren aus der Branche, die ganz klar sagen: Für uns geht es in diesem Transformationsprozess auch darum, wo die räumliche Nähe zu erneuerbarem Strom gegeben ist; denn nur dann schaffen wir diese Transformation.
Da muss man einfach sagen, dass die Politik dieser schwarz-gelben Landesregierung eine Deindustrialisierungspolitik ist; denn Sie haben die ganze Branche der Erneuerbaren kaputt gemacht.
(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von Henning Rehbaum [CDU])
Sie haben gerade auch kurz – ja, sie gehört in der Tat dazu – die Automobilbranche angesprochen. Es ist ja schön, Herr Pinkwart, dass Sie Tesla gut finden. Es ist auch gut, dass der Bau in Brandenburg so zügig vorangeht. Darüber freuen wir uns beide. Aber es wäre doch auch gut gewesen, wenn Tesla zum Beispiel nach Nordrhein-Westfalen gekommen wäre oder es zumindest eine substanzielle Unterstützung für die Automobilindustrie gäbe.
(Zurufe von der CDU)
Denn wir stehen auch in diesem Sektor vor einer entscheidenden Transformation. Er hängt natürlich auch mit der Stahlindustrie zusammen. Das sehen wir, wenn wir uns angucken, was da passieren muss.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zuletzt sind Sie ganz breit auf IN4climate eingegangen. Wir haben Ihnen immer gesagt, dass wir das grundsätzlich positiv begleiten. Natürlich brauchen Sie in diesem Transformationsprozess Dialogformate. Alles richtig; alles gut. Dagegen wird niemand etwas sagen. Aber die Frage ist eher: Reicht das? Reichen die Reden? Reichen die Ankündigungen? Reichen Dialogformate? Sie sind ein Puzzlestück in diesem Transformationsprozess, aber auch nicht mehr. Sie helfen uns nicht bei den massiven Investitionen, die wir vor uns haben, die die Unternehmen vor sich haben und die zu stemmen auch im gesellschaftlichen Interesse liegt. Wenn Sie das mit dem grünen Wirtschaftswunder wirklich ernst meinten, bräuchten wir dafür mehr als die 4 Millionen Euro pro Jahr, die Sie für IN4climate vorsehen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, ich finde es gut, dass wir diese Debatte führen. Die Stahlindustrie ist ein entscheidender Faktor in dieser Debatte. Insofern ist es gut, dass wir darüber debattiert haben, wie wir diesen Transformationsprozess, der vor uns liegt, für unsere gesamte Wirtschaft, für unsere gesamte Industrie, für unseren gesamten Standort Nordrhein-Westfalen und auch für Deutschland schaffen. Wie gestalten wir die Debatte so, dass wir die Bewältigung der Klimakrise, die Bewältigung der Coronakrise und die Gestaltung der Digitalisierung als die großen wirtschaftlichen Megatrends endlich zusammengeführt bekommen? Ja, es ist gut, dass wir diese Debatte hier geführt haben, und es ist wichtig, dass wir sie auch weiterhin führen.
Wir nehmen gerne den Wettbewerb um die besseren Konzepte für ein grünes Wirtschaftswunder an,
(Zuruf von Henning Rehbaum [CDU])
das Investitionen in die Industrie, in die Infrastruktur und in die Forschung in den Mittelpunkt stellt, das einen Ordnungsrahmen schafft und das auch den Klimaschutz in den Mittelpunkt stellt; denn er ist nun einmal die entscheidende Herausforderung, die wir gemeinsam angehen müssen. Natürlich werden wir das gemeinsam mit der Industrie tun müssen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)