Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir befinden uns nach wie vor in einer überaus ernsten Lage, und wir wollen die Erfolge nicht gefährden, die in den letzten Wochen erzielt worden sind. Deshalb ist es notwendig, hier auch über den Stand der wissenschaftlichen Debatte und der Coronaforschung zu sprechen.
Wir haben es mit einem Antrag zu tun, der die Landesregierung auffordert, eine weitere Studie in Auftrag zu geben, die an die Heinsberg-Studie anschließt und insbesondere hinsichtlich der Immunitätsrate und der Anwendbarkeit auf das gesamte Bundesland Rückschlüsse zum Infektionsverlauf ermöglichen soll. Ungefähr so steht es in dem Antrag.
Wir Grüne glauben, dass es weitere Forschung zum Coronavirus in der Bevölkerung dringend braucht. Wir verstehen insgesamt als Gesellschaft dieses Virus nicht vollumfänglich, weder in seinen medizinischen noch in seinen sozialen und gesellschaftlichen Folgen. Wir sehen auch weiterhin, dass wissenschaftliche Grundlagen für Politik unglaublich wichtig sind, dass sie allerdings politisches Entscheiden nicht ersetzen.
Für weitere Forschung muss festgehalten werden, dass wir, wenn wir hier in Nordrhein-Westfalen weiter zum Coronavirus forschen wollen, nicht nur den Kreis Heinsberg und nicht nur eine Kommune wie Gangelt als Hotspot untersuchen. Das war ein wichtiger und interessanter Untersuchungsgegenstand. Bei weiteren Studien muss es aber um repräsentative Studien für die Bundesrepublik gehen. Wir brauchen neben dieser allgemeinen Untersuchung auch Antworten auf ganz spezielle Fragen.
Uns eint sicherlich, dass wir mehr Testkapazitäten brauchen, dass die Devise „am besten testen“ gelten muss, dass wir breite Ergebnisse haben müssen, dass Reihenuntersuchungen notwendig sind usw. Aber wir brauchen eben auch Antworten auf sehr konkrete Fragestellungen.
Ein Beispiel möchte ich aus eigener Betroffenheit hier gerne in die Debatte einbringen. Millionen von Familien stemmen im Moment ohne jegliche Unterstützungsnetzwerke die Kinderbetreuung. Die Eltern sind zu Hause und kümmern sich um die Bildung ihrer Kinder – einfach deshalb, weil wir bisher nicht wissen, welche Rolle Kinder bei den Übertragungswegen haben. Das kann nur wissenschaftliche Forschung herausfinden.
Darum führt Baden-Württemberg beispielsweise eine große Screening-Studie durch, an der sich vier baden-württembergische Universitätskliniken beteiligen. An der Studie sollen rund 2.000 Eltern-Kind-Paare teilnehmen, jeweils Kinder im Alter von einem Jahr bis zehn Jahren und ein Elternteil. In diesem Rahmen wird untersucht, wie viele Kinder und Eltern aktuell mit dem Coronavirus infiziert sind und wie Kontakte zu Coronapatienten waren, wie also die Infektionsketten gelaufen sind, wie Antikörper als Abwehrstoffe gebildet wurden und welche Rolle konkret die Kinder in diesen Ketten gespielt haben.
Bei allen Einschränkungen von persönlichen Freiheiten, die wir der Bevölkerung derzeit zumuten müssen, weil wir die Erfolge, die wir erreicht haben, nicht gefährden wollen, sind Kinder die Hauptbetroffenen. Wir nehmen ihnen die Kita und die Schule sowie den Zugang zu ihren Freunden und zu ihren Großeltern. Für die Eltern bedeutet dies auch, dass sie nicht einfach improvisieren können, wie das Herr Stamp den Betroffenen geraten hat. Ohne Unterstützungsnetzwerk geht Improvisieren eben nicht.
Das heißt: Wir haben es mit einer riesengroßen gesellschaftlichen Herausforderung zu tun, die wir ganz dringend angehen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich habe dieses Beispiel jetzt herausgehoben, weil es zeigt, dass es sehr vieles gibt, was man in dieser Debatte klären muss, und welche Fragestellungen wissenschaftlich beantwortet werden müssen.
Aber einen Antrag, wie ihn die AfD hier vorlegt, brauchen wir nicht. Die AfD sagt nämlich nicht, was sie mit dieser Studie anfangen will und wofür diese die Grundlage sein soll. Sie als AfD haben ohnehin ein eher fragwürdiges Wissenschaftsverständnis.
Es muss klar sein, dass wir selbstverständlich mehr Forschung zu Corona brauchen, aber es macht keinen Sinn, einfach ins Blaue hinein zu forschen. Man muss politische Fragen und Herausforderungen konkret benennen, diese mit wissenschaftlicher Methode ergebnisoffen bearbeiten, und die Antworten müssen dann politisch gegeben werden. Ich hoffe, dass das auch in der nächsten Zeit wieder die Vorgehensweise sein wird. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)