Matthi Bolte-Richter: „Schwarz-Gelb will heute ein Zeichen gegen den Datenschutz setzen, aber da machen wir nicht mit“

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)

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Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es ist schon eine bemerkenswerte Aktuelle Stunde, die wir heute haben. Es ist schon eine berechtigte Frage, warum diese Aktuelle Stunde eigentlich aktuell ist. Zu der Datenschutz-Grundverordnung wurde der erste Entwurf vor sechs Jahren vorgelegt. Die Verordnung wurde vor zwei Jahren beschlossen. Wenn zwei Jahre für Sie von CDU und FDP „aktuell“ bedeutet, dann habe ich keine weiteren Fragen, höchstens die Frage, warum diese Aktuelle Stunde zugelassen wird, obwohl wir einen wichtigen Teil für uns als Landesgesetzgeber heute Abend noch regulär auf der Tagesordnung haben.
(Zurufe von Bodo Löttgen [CDU] und von Angela Freimuth [FDP])
Meine Damen und Herren, es sollte Ihnen schon ein Stück weit peinlich sein, wie Sie hier vor der Verantwortung fliehen. Die Bundeskanzlerin ist – völlig zu Recht – jahrelang dafür kritisiert worden, dass sie dieses wichtige Anliegen, ein Datenschutz für ganz Europa für das digitale Zeitalter zu schaffen, hintertrieben und sabotiert hat, wo es nur ging. Doch am Ende hat die Bundesregierung zugestimmt. Am Ende hat die EVP, haben die Liberalen im Europäischen Parlament zugestimmt.
(Beifall von Christian Loose [AfD])
Jetzt, neun Tage vor Inkrafttreten dieser Regelung, hier mit allem nichts zu tun haben wollen, das muss Ihnen wirklich peinlich sein.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Beifall des Abgeordneten Christian Loose [AfD])
Meine Damen und Herren, mir ist noch gut in Erinnerung, wie sich Herr Laschet zu seiner Zeit als Oppositionsführer hier immer aufgeplustert hat, wenn es um den Einfluss Nordrhein-Westfalens in Berlin ging.
Herr Ministerpräsident – gerade saß er noch da; scheint irgendwie kein relevantes Thema für ihn zu sein –,
(Zurufe von der CDU: Ah!)
Offenbar hat Ihr Ministerpräsident festgestellt, dass Selbstverzwergung eine Frage der Perspektive ist.
Der Ministerpräsident war doch das ganze Jahr über in Berlin. Deshalb frage ich mich schon: Hatte er da keine Möglichkeit, mit der Bundeskanzlerin über die Datenschutzreform zu sprechen? Hat er die ganze Zeit nur in Talkshows gesessen? Muss er sich wirklich von seinen Fraktionen hier im Haus dazu auffordern lassen?
(Beifall von den GRÜNEN)
Aber angesichts der Posse um Tihange muss man ja fast froh sein, wenn Herr Laschet nach der heutigen Landtagsdebatte nicht wieder einen Bus voller Pressevertreter nach Belgien schickt, um nach wenigen Stunden mitzuteilen, dass die böse und gemeine EU nicht auf ihn höre und jetzt die EU-Datenschutz-Grundverordnung zurücknehme.
Meine Damen und Herren, sogar die Bundeskanzlerin – Herr Kollege Hübner hat es gerade angemerkt – ist inzwischen weiter. Frau Merkel hat vorgestern bekanntgegeben, dass sie nicht mehr an das Gesetz herangehen, sondern für eine gute Umsetzung sorgen wird. Das muss eigentlich die Linie sein, die wir hier gemeinsam vertreten. Schwarz-Gelb will heute ein Zeichen setzen, und zwar ein Zeichen gegen den Datenschutz, aber da machen wir nicht mit.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Gerade CDU und FDP, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen sich fragen lassen: Was haben Sie hier in NRW bisher eigentlich konkret getan? – Nicht viel. Gestern ist noch von führenden Industrievertretern angemahnt worden, dass es mehr politische Unterstützung bei der Umsetzung und Aufklärung in der Wirtschaft brauche, um diese Reform zu einem Erfolg werden zu lassen. Genau das haben wir Grüne hier im Oktober mit genügend Vorlauf beantragt. Aber Sie haben das abgelehnt, und jetzt sind Sie dran. Jetzt müssen Sie den Unternehmen erklären, warum Sie sie nicht unterstützen wollten. Sie müssen den Unternehmen erklären, dass in Ihrer Koalition nicht nur der Datenschutz nicht viel zählt, sondern auch die Wirtschaft und das Ehrenamt in diesem Land.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Denn, meine Damen und Herren, nicht nur für die Verbraucher, auch für die Wirtschaft ist diese Reform ein Quantensprung. Ein einheitlicher Rechtsrahmen bedeutet weniger Bürokratie. Es gibt einen einzigen Standard, an den man sich in ganz Europa halten muss. Unternehmen müssen sich jetzt nicht mehr an 28 verschiedene Gesetze halten. Die Reform bringt für sie einheitliche Ansprechpartner, und sie bringt eine einheitliche Rechtsdurchsetzung. Kurz gesagt: Sie bringt Vorteile für die Unternehmen. Das muss man an dieser Stelle ganz klar sagen.
Die Beispiele, die Sie in Ihrem Antrag aufführen, sind wirklich hanebüchen. Es ist selbstverständlich heute schon unzulässig, Mitgliedsdaten von Vereinen auszuspionieren. Schon die Wortwahl in Ihrem Text ist verräterisch. Auch nach dem heute geltenden Datenschutzrecht darf man mit personenbezogenen Daten nicht einfach das machen, was man will. Tun Sie nicht so, als sei Europa an allem schuld, nur weil sich jetzt endlich alle einmal mit Datenschutz beschäftigen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Eine rechtmäßige Datenschutzerklärung auf eine Webseite zu stellen kostet den Betreiber vielleicht einen Nachmittag, wodurch die Seite aber nicht teurer wird. Diese Aufzählung ließe sich jetzt beliebig fortsetzen.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Meine Damen und Herren, wir haben – das sage ich insbesondere vor dem Hintergrund des Wortbeitrags des Kollegen Lehne – in diesem Parlament eine Verantwortung, und deshalb sollten wir die zahllosen Falschbehauptungen
(Zuruf von der CDU: Die nehmen Sie nicht wahr!)
die im Moment im Zuge der EU-Datenschutz-Grundverordnung kursieren, nicht einfach nachplappern, sondern hier richtigstellen. Aber das haben Sie heute nicht geschafft.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ja, es mag eine Herausforderung sein, die neuen Standards umzusetzen. Das stimmt. Die Konsequenz kann dann aber doch nicht sein, jetzt, kurz vor Toresschluss, hinzugehen und die Standards aufzuweichen. Die Konsequenz muss vielmehr sein, diejenigen, die diese Standards im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher umsetzen müssen, bestmöglich zu unterstützen. Das haben Sie abgelehnt.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Die Koalition vergibt heute die Chance, an diesem historischen Wendepunkt für den Datenschutz auch Impulse für Nordrhein-Westfalen zu setzen. Insbesondere die FDP muss sich fragen lassen, was von der vermeintlichen Bürgerrechtspartei eigentlich noch übrig ist. Beim Datenschutz-Anpassungsgesetz, das wir heute Abend beraten werden, hat Ihr Koalitionspartner Sie nach Strich und Faden hinter die Fichte geführt. Sollten Sie das alles jedoch bewusst mitgemacht haben, dann sollten Sie sich schämen. Schließlich ist es nicht liberal, Wildpinkler mit Videokameras zu jagen und dafür Hunderttausende unbescholtene Bürger zu überwachen.
(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: In welcher Realität leben Sie eigentlich!)
Das alles passt zu einer Politik, bei der Sie mit dem neuen Polizeigesetz der unverhältnismäßigen und uferlosen Ausweitung der Videoüberwachung ohnehin Raubbau an den Freiheitsrechten betreiben.
(Zuruf: Genau!)
Die aktuellen Proteste in Bayern zeigen, meine Damen und Herren, (Zuruf von der CDU)
dass es eine Zivilgesellschaft gibt, der Datenschutz wichtig ist. (Beifall von den GRÜNEN)
Sie von CDU und FDP stellen sich heute gegen diese Menschen.
Wer in Nordrhein-Westfalen für die Freiheit eintritt, der hat uns Grüne an seiner Seite. Wir sagen klar Nein zu Ihrem Datenschutzgesetz ohne Datenschutz. Wir sagen klar Nein zu Ihrer Polemik gegen die Datenschutzreform.
(Zuruf von der CDU)
Aber wir sagen eindeutig Ja zu mehr Datenschutz für alle Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa. – Vielen Dank.

Der zweite Redebeitrag zu diesem Thema 
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Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Optendrenk, Sie haben jetzt gerade noch einmal die Frage aufgeworfen: Wie ist das denn eigentlich alles entstanden? Ich glaube, das, was uns an dieser Stelle definitiv trennt, betrifft die Frage, ob man neun Tage vor Inkrafttreten einer solchen Regelung – von der wir seit zwei Jahren wissen, dass sie in Kraft treten wird – hier mit großem Brimborium diese Plenardebatte führen muss. Darum geht es uns.
Sie hätten Ihre Hausaufgaben längst machen können. Wir haben Ihnen im Oktober letzten Jahres dazu sogar Hinweise gegeben, wie Sie diese hätten machen können. Das ist der Punkt, weshalb wir uns hier definitiv nicht einig sind.
Was das Differenzieren angeht: Sie haben gerade zwischen Bundesdatenschutzgesetz und Datenschutzgesetz NRW differenziert. Das stimmt so weit. Es ist aber – man muss das fairerweise sagen – in der Anhörung auch nicht allen Kolleginnen und Kollegen gelungen.
Jetzt zu der Frage, meine Damen und Herren, wie strittig oder unstrittig eigentlich im Europäischen Parlament diskutiert wurde. Ich habe mir gerade noch einmal das Abstimmungsergebnis aus dem Ausschuss rausgesucht. Es lautet: 51:1 bei drei Enthaltungen. Viel einmütiger geht es im Europäischen Parlament nicht.
Herr Minister Reul, Sie hatten an einer Stelle – das will ich ganz deutlich sagen –, nämlich da, wo Sie Ihren Fraktionen widersprochen haben, Recht. Vieles gab es schon. Vieles von den Regelungen, die jetzt mit der Datenschutz-Grundverordnung eingeführt werden, gab es schon in Deutschland. Daten dürfen zum Beispiel – das haben Sie herausgehoben – nicht allgemein zugänglich gelagert werden.
In diesem Zusammenhang widersprechen Sie eindeutig dem, was der Kollege Lehne vorhin erzählt hat und was in dem Antrag der regierungstragenden Fraktionen steht. Dort wird genau das behauptet: Es handele sich um eine neue Verpflichtung, um eine neue, jetzt dazugekommene Drangsalierung aus Europa. Darüber sollten Sie sich möglicherweise noch mal unterhalten und Ihren Fraktionen ein bisschen Nachhilfe geben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, – das muss man einfach sagen – wir haben es durchaus mit einer sehr komplexen rechtlichen Materie zu tun. An diesem Beispiel zeigt sich, dass sich die Begrifflichkeiten verändert haben, womit möglicherweise jetzt neue Fragestellungen einher- gehen. Was bisher im deutschen Recht „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ hieß, das heißt jetzt „informierte Einwilligung“. Und es gibt ja auch einzelne Angebote – das will ich auch an dieser Stelle durchaus noch mal hervorheben.
Deswegen zitiere ich jetzt zu dieser Frage. Auf Ihrer Internetplattform „engagiert in NRW“ heißt es: Vorhandene Strukturen und Prozesse in Vereinen, die sich an dem geltenden Datenschutzrecht ausrichten, machen sich jetzt bezahlt. Vereine, die das Thema „Datenschutz“ bislang vernachlässigt haben, haben viel nachzuholen.
Ja, um ihre Organisation datenschutzgerecht zu gestalten stimmt das. Ich will an dieser Stelle – es ist mir wichtig, das zu sagen – den Engagierten und Ehrenamtlichen keinen Vorwurf machen, wenn bisher nicht alles datenschutzkonform gelaufen ist. Wenn Sie sich jetzt Gedanken machen, wie Sie zu einem hohen Datenschutzstandard kommen, dann ist das ein großer Fortschritt. Aber ich sage Ihnen von CDU und FDP noch einmal: Tun Sie nicht so, als sei Europa jetzt an allem schuld.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist an dieser Stelle ganz wichtig, noch einmal genau hinzuschauen, welche neuen Verpflichtungen bestehen und wo möglicherweise auch etwas in die Datenschutz-Grundverordnung hineininterpretiert wird, was offensichtlich nicht zutreffend ist. Ich erwähne jetzt einfach mal als Beispiel – auch in den Reden der regierungstragenden Fraktionen ist es gefallen – die Frage nach Fotos von größeren Menschenmengen.
Natürlich sind Fotos von größeren Menschenmengen auch in Zukunft zulässig. Das ist selbstverständlich. Da besteht ein bereichsspezifischer Datenschutz bzw. KUG. Er ging bisher dem BDSG vor, und er wird auch in Zukunft dem BDSG vorgehen. Das haben alle, die sich mit dieser Rechtsmaterie beschäftigen, inzwischen klargestellt, inklusive der Datenschutzaufsichtsbehörden.
Es wird auch kein Blog-Sterben geben. Auch dazu gibt es genügend rechtliche Einschätzungen, die ganz klar aufzeigen, warum dieser Vorwurf gegenüber der europäischen Verordnung unzutreffend ist. Und es gibt auch klare Ankündigungen der Aufsichtsbehörden, mit Augenmaß vorzugehen. Gerade in dem Umstellungszeitraum ist das wichtig, weil wir natürlich die Engagierten fördern und unterstützen wollen und weil wir hier die Verantwortung tragen, nicht alles nachzuplappern, was es an Polemik gibt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt konkrete Hilfestellungen. Wir brauchen keine Polemik und auch keine Signale gegen den Datenschutz, so wie Sie das eingefordert haben, sondern wir brauchen hier von diesem Ort aus ein Signal für den Datenschutz.
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Wir brauchen ein eindeutiges Signal, dass wir die Ehrenamtlichen, die Zivilgesellschaft und die Unternehmen und die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen bei der Umsetzung dieses wichtigen Fortschritts, also bei der Einführung von mehr Datenschutz in Europa, unterstützen.

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