Matthi Bolte-Richter: „NRW ist unter Schwarz-Gelb definitiv nicht Digital First“

Zur Großen Anfrage der GRÜNEN im Landtag zur Digitalisierung

Die Große Anfrage

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte der Landesregierung zum Einstieg erst einmal herzlich danken. Wir haben sicherlich eine unterschiedliche Bewertung, was die Konsequenzen aus der Antwort der Landesregierung auf unsere Große Anfrage angeht. Aber in diesen fast 1.300 Seiten der Antwort stecken viele Stunden Arbeit, für die ich mich ganz herzlich bedanken möchte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben gefragt, was denn aus den großen Ankündigungen zur Digitalisierung geworden ist, mit denen diese Landesregierung gestartet ist. Die Digitalbilanz der Landesregierung ist dürftig. Sie sind weit hinter den Erwartungen, die Sie selbst geweckt haben, zurückgeblieben.

Das zeigt sich in den Zahlen. Sie haben 44 Ziele in Ihre Digitalstrategie aufgenommen und davon kurz vor Schluss der Regierungszeit nur 8 erreicht.

Einige dieser erreichten Ziele der Digitalstrategie waren von Anfang an lächerlich ambitionslos. Die Landesregierung strebte zum Beispiel an – Zitat –, „dass NRW in den kommenden fünf Jahren bei den EXIST-Gründerstipendien unter die Top‑3-Bundesländer aufsteigt“. NRW lag zu dem Zeitpunkt, zu dem Sie diese Strategie beschlossen haben, auf Platz 2. Von Platz 2 in die Top 3: Respekt, dass Sie dieses Ziel erreicht haben!

(Beifall von den GRÜNEN)

Ohnehin war die Digitalstrategie alles andere als eine Strategie, durch die Ziele erreicht werden und dann ausgeführt werden. So wurden die Projekte im Umweltministerium – da ging es um Ressourcenkreisläufe bei digitaler Hardware – oder auch in der Staatskanzlei – ich nenne nur die Leitlinien zur Bürgerbeteiligung und die angekündigten Projekte für eine agilere Verwaltungskultur – bis zur Vorlage der Antwort überhaupt nicht angegangen. Ob Ziele umgesetzt werden oder nicht, liegt im Gutdünken der jeweiligen Minister*innen.

Was das bedeutet, sehen wir etwa beim größten Digitalisierungsexperten dieser Landesregierung, dem Justizminister. Wir haben nachgefragt. Der Papierverbrauch in seinem Ministerium ist gegenüber 2017 um 1 Million Blatt Papier gestiegen, und zwar pro Jahr. Die Staatskanzlei unter Armin Laschet steigerte ihren Papierverbrauch um 170.000 Blatt jährlich. Die Digitalisierung steckt bei CDU und FDP im Papierstau fest.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, eine digitale Gesellschaft braucht einen digitalen Staat. Gestern hat Kollege Löttgen hier an diesem Pult gestanden und die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes gelobt. Er sagte, in NRW seien bereits 218 OZG-Leistungen verfügbar. Gut wäre gewesen, Herrn Löttgen einmal zu erklären, wie das OZG eigentlich funktioniert, nämlich nach dem Einer-für-alle-Prinzip. Das heißt, dass der Bund und die Länder Verfahren in eigener Zuständigkeit digitalisieren und die Lösung dann den anderen zur Verfügung stellen. NRW hat die Digitalisierung von 152 Verfahren übernommen. Geschafft unter Schwarz-Gelb: 2. Von den in NRW verfügbaren OZG-Leistungen sind also weniger als 1 % tatsächlich made in NRW. Sie schmücken sich da mit fremden Federn.

Mehr als 64 % der Verwaltungsprozesse der Landesverwaltung sind nicht digitalisiert. Die Kommunen sind weiter vom E-Government-Gesetz ausgenommen. Die Liste mit nicht digitalisierten Verwaltungsprozessen ist unglaubliche 123 Seiten lang. NRW ist unter Schwarz-Gelb definitiv nicht Digital First.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Das können Sie durch alle Bereiche durchdeklinieren. Noch immer sind nur gut 6 % der Unternehmen „eher digitalisiert“ oder „stark digitalisiert“. Die Antwort von Schwarz-Gelb: 160 KI-Broschüren für 670.000 Unternehmen und 6 Digitalcoaches für 110.000 Einzelhändler.

Der NRW.BANK-Digitalisierungskredit wurde erst zur Hälfte bereitgestellt. Die geplanten 500 Millionen Euro Venture Capital sind in weiter Ferne.

Auch die Ausbauziele bei der digitalen Infrastruktur werden absehbar nicht erreicht.

Sie wollen Glasfaser für alle Gewerbegebiete bis 2022. Das ist nicht mehr so richtig weit hin. Umsetzungsstand jetzt: 20 %. Selbst wenn Sie die aktuell geplanten Gewerbegebiete – das sind 57 % – bis 2022 realisiert bekommen würden, wäre Ihr Ziel noch lange nicht erreicht.

Sie wollen gigabitfähige Netze – das ist der Euphemismus, den Sie immer verwenden – für alle Privathaushalte bis 2025. Heutiger Ausbaustand: 66 %. Eine Zielerreichung ist, wenn man auf die Verfahrensdauern guckt, äußerst unwahrscheinlich. Heute sind schon ein Drittel der Menschen mit ihrer Internetgeschwindigkeit unzufrieden. Ich prognostiziere: Das werden noch mehr werden.

Sie wollen gigabitfähige Netze für alle Schulen bis 2022. Heutiger Ausbaustand: 65 %. Die Zielerreichung ist äußerst unwahrscheinlich – und das ist ja schon eine schöngeredete Übergangstechnologie. Echte Glasfaser gibt es nur in 12 % der Schulen. So wird das nichts mit digitaler Bildung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Digitalisierung wird von CDU und FDP verwaltet und nicht gestaltet. Die Bilanz ist dürftig. Einen digitalen Aufbruch hat es in den vergangenen viereinhalb Jahren nicht gegeben. Das bleibt eine Aufgabe für eine neue Landesregierung. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)