Matthi Bolte-Richter: „Noch können wir unsere Privatsphäre schützen“

Antrag der SPD-Fraktion zu digitaler Souveränität

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Kollege Hafke, wenn wir uns schon damit beschäftigen, wer dieser Debatte hier folgt und wer dieser Debatte nicht folgt, dann ist es doch bemerkenswert, dass es bei einem so zentralen Thema wie der digitalen Sicherheit, wo wir Millionen von Betroffenen von Cybercrime, von Onlinebetrug und diesen ganzen Geschichten haben, der Innenminister, der für die Sicherheit verantwortlich wäre, nicht für nötig hält, dieser Debatte zu folgen an dieser entscheidenden Stelle.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir haben es gehört. Das Jahr 2019 begann für viele Personen des öffentlichen Lebens mit einem Schock. Ihre persönlichen Informationen wurden im Internet veröffentlicht. Viele Telefonnummern waren dabei, Wohnadressen, aber auch höchstpersönliche Inhalte wie private Chatverläufe und Fotos.
Wir haben es hier – das will ich an dieser Stelle eingangs betonen – mit einem ganz klaren Versuch der Einschüchterung der Demokratinnen und Demokraten in diesem Land zu tun. Wir haben es zu tun mit einem Angriff auf unsere Demokratie, und den dürfen wir nicht unwidersprochen lassen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vor allem sollten wir diesen Angriff auf unsere Demokratie nicht, wie das in der Debatte immer wieder versucht wird, als Dummen-Jungen-Streich abtun. Wir haben es mit einer politischen Tat zu tun. Der mutmaßliche Täter hatte eindeutige Verbindungen ins rechte Milieu. Er hatte gezielt die demokratischen Kräfte unseres Landes im Visier und diejenigen, die für Demokratie und für Offenheit einstehen. Seine politische Motivation und seine Einstellungen zeigen sich im Übrigen auch darin, wen er gerade nicht im Visier hatte.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, wir brauchen eine sehr grundsätzliche Debatte über besseren Schutz der Privatsphäre und die Rolle, die alle Akteurinnen und Akteure dabei spielen.
Ich sage gerichtet an die Kolleginnen und Kollegen der regierungstragenden Fraktionen, weil es sich dabei um ein ziemlich billiges Ablenkungsmanöver handelt: Lassen Sie an dieser Stelle einfach mal dieses Gerede, Datenarmut, Datenschutz und die Gestaltung der Digitalisierung schlössen einander nicht aus.
Im Gegenteil, sie sind zwei Seiten einer Medaille. Wer das für von gestern hält, dem ist es egal, dass es Millionen von Opfern von Cybercrime gibt. Der ignoriert diese Opfer.
(Beifall von den GRÜNEN)
Erneut ist klar geworden: Unsere Systeme sind verletzlich. Wir sind alle angreifbar. Vielen ist aber auch deutlich geworden, dass wir uns selbst schützen müssen.
Wir müssen aber auch sehen: Digitale Selbstverteidigung ist eine solidarische Handlung. Denn in einer hochvernetzten Welt gehen bei einem Angriff nicht nur unsere eigenen Daten verloren, sondern eben auch die Daten unseres privaten Umfelds, unserer Freundinnen und Freunde und unserer Kontakte.
Wenn wir uns schützen, dann schützen wir auch die Menschen, die uns nahestehen. Das ist relevant für das Zusammenleben in einer digitalisierten Welt.
Deshalb ist es natürlich erst einmal richtig, was die SPD hier beantragt. Beraten, unterstützen, kompetent machen – all das ist nicht falsch, nur man sollte sich, liebe Kollegin Kampmann, bei den entscheidenden Punkten, die Sie benannt haben, schon fragen – weil Sie da auch so freundlich in Richtung Berlin geschimpft haben –, wer in dieser Bundesregierung sitzt und wer es gerade nicht hinbekommt, die Digitalkonzerne an den Stellen an die Kette zu legen, an denen es um den Schutz unserer Privatheit geht. Sie sollten sich vielleicht einmal damit beschäftigen, welche Verantwortung die SPD in der Bündnisregierung wahrnehmen könnte.
(Beifall von den GRÜNEN und der FDP)
Meine Damen und Herren, wie immer nach den großen Leaks, nach den Angriffen wird auf die Verantwortung des Einzelnen oder der Einzelnen verwiesen. Das ist aber nicht alles, denn wir haben als öffentliche Akteure da auch einen Gestaltunganspruch. Man darf den Staat nicht aus der Verantwortung herauslassen. Ich denke, dass in Deutschland dieser Verantwortung zu lange nicht nachgekommen wurde.
Oft ging es sogar eher in die falsche Richtung; zuletzt in Nordrhein-Westfalen mit dem Polizeigesetz. Dabei ging es nicht nur allgemein um digitale Freiheitseinschränkungen, sondern dabei ging es mit der Quellen-TKÜ knallhart um die IT-Sicherheit für die Menschen und für die Betriebe hier in unserem Land. Wenn sich der Staat selbst zum Hacker macht, nimmt er die Gefahr in Kauf, dass Kriminelle die gleichen Lücken für ihre Zwecke nutzen. Sie – die CDU, die FDP, die SPD – haben bei diesem Gesetz nicht nur aktiv Raubbau an unseren bürgerlichen Freiheitsrechten betrieben,
(Zuruf von der FDP: Das ist doch Quatsch!)
sondern Sie haben auch die IT-Sicherheit bewusst aufs Spiel gesetzt. (Beifall von den GRÜNEN)
Diese Landesregierung hat in diesem Vorgang auch ansonsten keine gute Figur gemacht. Die Kollegin Kampmann hat das eben durchaus richtigerweise angerissen. Die Behörden müssen sich schon fragen lassen, warum mehrere gleichgelagerte Fälle von Datenklau und Datenmissbrauch im Herbst des vergangenen Jahres nicht als organisierter Hackerangriff erkannt wurden. Warum wurden daraus keine Schlüsse gezogen? Warum konnten die dadurch gewonnenen Daten wochenlang häppchenweise, peu à peu, im Internet veröffentlicht werden, ohne dass sich irgendein Sicherheitsorgan dieser Republik – nicht nur die in Nordrhein-Westfalen, die anderen haben es auch nicht hinbekommen – darum gekümmert hat?
Meine Damen und Herren, wir alle sind im digitalen Zeitalter verletzlich, aber die Konsequenz kann nicht sein, entweder nach Strafverschärfungen zu rufen – das macht Schwarz-Gelb immer, wenn ihnen nichts einfällt – oder einfach nur den Kopf in den Sand zu stecken. Das kann nicht die Lösung sein. Deswegen haben wir als Grüne hier im Landtag bereits in der vergangenen Woche einen Sechspunkteplan für IT-Sicherheit und Datenschutz auf den Weg gebracht, mit dem wir Datenklau und Internetbetrug entgegentreten wollen.
Wir haben dazu konkrete Vorschläge gemacht. Wir wollen Kompetenzen bündeln und für die Bürgerinnen und Bürger greifbarer machen. Wir kennen vieles aus der analogen Welt, zum Beispiel beim Einbruchschutz Programme wie „Riegel vor!“. Präventions-, Beratungs- und Informationsangebote – all das muss näher zu den Bürgerinnen und Bürgern kommen. Es muss näher zu den Unternehmen kommen; gerade zu den kleinen und mittelständischen Unternehmen. In unserer durch den Mittelstand und durch mittelständisches Know-how geprägten Wirtschaft ist das ein unglaublich wichtiger Faktor, weil die Sicherheitslage dort bei ganz vielen immer noch bedenklich ist. Das gilt genauso für Vereine und Verbände.
Wir brauchen die gleichen Schutzstandards, wir brauchen hohe Schutzstandards auch in der digitalen Welt, und wir brauchen unabhängige Beratungsangebote für alle Menschen.
Wir wollen die Betreiber von großen Internetplattformen verpflichten, Notfallkontakte bereitzuhalten. Sie müssen umgehend Profile sperren, die für IT-Angriffe oder die Verbreitung gestohlener Inhalte verantwortlich sind.
Wir wollen auch, dass es im Sinne der Betroffenen eine Hotline gibt, an die man sich kurzfristig wenden kann.
Wir wollen aber auch konkret in die Prävention gehen. Wir brauchen Mindeststandards für europäische IT-Sicherheit. Wir wollen Hochschulausgründungen im Sicherheitsbereich unter- stützen und Internetsicherheitsunternehmen fördern. Wir wollen anwendungsfreundliche Verschlüsselungsmöglichkeiten entwickeln lassen, weil es da sicherlich auch noch hakt. Das Potenzial für Gründerinnen und Gründer ist hier unglaublich groß, und wir wollen dieses Potenzial jetzt gemeinsam heben.
Unsere Gesellschaft steht heute am Scheideweg, liebe Kolleginnen und Kollegen. Heute können wir aber noch etwas dagegen tun. Noch können wir unsere Privatsphäre schützen. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)