Matthi Bolte-Richter: „Nehmen wir gemeinsam der politischen Interessenvertretung ihren Mythos, damit sie nicht länger Gegenstand von Verschwörungsmythen sein kann“

Antrag der GRÜNEN im Landtag zur legislativen Transparenz

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Um es direkt zu sagen: Politische Interessenvertretung ist Bestandteil des demokratischen Prozesses. Unser heutiger Antrag richtet sich deshalb nicht gegen die Interessenvertretung per se.
Genauso wenig richtet er sich gegen einen Austausch zwischen Politik, Wirtschaft und Interessengruppen. Auch der Austausch zum Beispiel mit Unternehmen im Wahlkreis ist ein notwendiger und durchaus entscheidender Teil unserer Tätigkeit mit diesem Mandat.
Wir müssen aber doch zur Kenntnis nehmen, dass es in der Vergangenheit immer wieder Skandale – wie den Fall Amthor dieses Jahr im Sommer – gegeben hat, die in der Bevölkerung das Vertrauen in die Politik und auch in das parlamentarische System unter Druck gesetzt haben.
Immer wieder wird das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie erschüttert. Immer wieder gibt es gerade mit diesen Geschichten rund um Interessenvertretungen und Lobbytätigkeiten Verschwörungstheorien zu politischen Entscheidungen.
Deshalb müssen wir gemeinsam alles tun, um die Glaubwürdigkeit der politischen Institutionen zu stärken. Das schaffen wir nur mit transparenter Politik.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir wollen Bürgerinnen und Bürger ermächtigen, sich als starke Zivilgesellschaft in unserem Land beteiligen zu können und an Entscheidungsprozessen mitzuwirken. Dafür müssen sie Entscheidungsprozesse und auch die Grundlage von politischen Entscheidungsprozessen nachvollziehen können. Dafür brauchen wir die Transparenz, wie und auf welcher Grundlage Entscheidungen zustande kommen.
Es geht uns heute darum, im Prozess der politischen Meinungsfindung Transparenz zu schaffen. Bei professioneller Interessenvertretung droht immer auch ein Ungleichgewicht zwischen ohnehin schon stark vertretenen Gruppen, die die Möglichkeit haben, durch verfügbare Ressourcen ihre Position oder auch die Position ihrer Auftraggeber sehr einflussreich zu vertreten, während andere oft weniger finanzkräftige Gruppen diese Möglichkeit nicht haben.
Diesem Ungleichgewicht wollen wir durch Transparenz entgegentreten. Für den Landtag und die Landesregierung soll dies durch ein Lobbyregister geschehen, in dem sich Lobbyist*innen registrieren müssen. Damit wollen wir jede Einflussnahme auf politische Prozesse und Gesetzgebungsakte transparent machen.
Durch einen legislativen Fußabdruck soll künftig aufgezeigt werden, welche Interessenvertreter*innen in welcher Weise auf einen Gesetzentwurf oder eine Verordnung der Landesregierung Einfluss genommen haben.
Diese Instrumente sind nichts Neues; sie sind bewährt, und zwar auf europäischer Ebene. Viele Tausend Lobbyist*innen versuchen, im Sinne ihrer Auftraggeber die europäische Politik zu beeinflussen. Sie tun das aber in einem sehr transparenten Rahmen.
Es gibt beim Europäischen Parlament seit vielen Jahren ein funktionierendes Lobbyregister, in dem vollständige Transparenz über Lobbytätigkeit und Auftraggeber geschaffen wird. Seit dem vergangenen Jahr gibt es auch den legislativen Fußabdruck.
Beides hat nicht dazu geführt, dass es zu wenig Austausch zwischen Politik und Verbänden auf europäischer Ebene gegeben hätte. Es hat auch nicht dazu geführt, dass das Parlament und die Europäische Kommission nicht mehr arbeiten könnten, sondern diese Maßnahmen haben einen entscheidenden Beitrag zu mehr Transparenz geleistet.
Auf Bundesebene haben wir den eben schon angesprochenen Fall „Amthor“ erlebt. Danach waren die Unionsfraktionen mittlerweile auch bereit, ein Lobbyregister einzuführen.
Doch vorgelegt wurde maximal ein unvollständiger Versuch. So ist beispielsweise die Regierung neben einer Reihe von Ausnahmen beim Bundestag komplett ausgenommen worden. So sollte man es nicht machen.
Deswegen nehmen wir in unserem Antrag die Regierung natürlich in diesen Prozess hinein und halten die Ausnahmen beschränkt, weil wir eben ein Lobbyregister brauchen, das wirklich Transparenz schafft.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das muss man sich vergegenwärtigen, weil in der Diskussion oft betrachtet wird, wessen Interessen – auch in dieser Debatte – eigentlich vertreten werden.
Wir sehen, dass einige, die versuchen, diese Transparenz zu schützen, schon viel weiter sind. Jüngst haben sich Transparency International, der NABU, aber eben auch der Verband der Chemischen Industrie und der Bundesverband der Deutschen Industrie in einer gemeinsamen Initiative für ein echtes Lobbyregister im Bund ausgesprochen. Das heißt also: Wir sind hier auf dem richtigen Weg, der auch breit getragen wird.
Vielleicht wird gleich in der Debatte gesagt: Das ist auf Landesebene doch alles halb so wild. – Das mag auf den ersten Blick vielleicht so aussehen. Mit den 35.000 Lobbyist*innen auf europäischer Ebene können Landtag und Landesregierung sicher nicht mithalten.
Aber natürlich wird auch auf Landesebene versucht, Politik zu beeinflussen. Auch wenn es weniger Interessenvertreter gibt, wollen wir ihre Arbeit transparent machen.
Dafür ist nicht alleine das Lobbyregister ein wichtiger Schritt, sondern auch der legislative Fußabdruck, denn die große Mehrheit der Gesetz- und Verordnungsentwürfe kommt von der Landesregierung. Dort haben wir in der Vergangenheit immer mal wieder Beispiele erlebt, bei denen Vorlagen aus Verbänden eins zu eins in Regierungsdokumente übernommen wurden.
Meine Damen und Herren, ich möchte an Sie appellieren: Gehen wir diesen für unsere Demokratie wichtigen Weg gemeinsam. Schaffen wir mehr Transparenz. Nehmen wir gemeinsam der politischen Interessenvertretung ihren Mythos, damit sie nicht länger Gegenstand von Verschwörungsmythen sein kann.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass wir mehr Offenheit und mehr Nachvollziehbarkeit für politische Interessenvertretungen bewirken, damit wir letztlich dadurch die Grundlage bilden, mehr Beteiligung zu ermöglichen und mehr Demokratie für unser Land zu schaffen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Erst einmal vielen Dank für die Debatte bis hier. Es ist eine ganze Reihe von Gesprächsangeboten formuliert worden. Ich hoffe natürlich, dass sie ernst gemeint sind, und würde sie dann sehr gerne annehmen.
Ich glaube, es ist tatsächlich ein Thema. Deswegen habe ich zum Schluss meiner Rede die Gemeinsamkeit in den Vordergrund gerückt, was wir gemeinsam angehen sollten. Denn wir haben auch festgestellt, dass es von der Bundesebene ausgehend eine gewisse Bewegung bei dem Thema gibt.
Ich würde gerne auf einige Punkte eingehen. Kollege Höne hat erklärt, dass die Exekutive in dieser Diskussion stärker berücksichtigt werden muss. Diese Kritik haben Grüne und FDP auf der Bundesebene gemeinsam an dem Gesetzentwurf geäußert.
Bei unserem Antrag ist die Exekutive enthalten, und mit dem Instrument des legislativen Fußabdrucks wird noch einmal abgesichert, dass gerade auf Regierungsseite eine umfassende Transparenz besteht. Da müssen wir als Parlament uns nicht kleinmachen. Das können wir von einer Regierung auch einfordern, die von unserem Vertrauen abhängig ist.
Herr Wolf hatte das Thema „Bagatellschwelle“ angesprochen. Wir haben in den Antrag bewusst nur aufgenommen, dass es solch ein Instrument geben muss, weil eben Grenzfälle existieren. Das ist völlig klar. Es gibt durchaus Grenzfälle. Beim US-Kongress etwa, um ein Beispiel zu nennen, liegt die Schwelle für Lobbyaufwendungen an einem konkreten Fall bei bis zu 2.500 Dollar, die aufgewendet werden dürfen, ohne dass es anzeigepflichtig ist. Ich finde das relativ hoch gesetzt, aber solche Instrumente gibt es.
Natürlich steht im Mittelpunkt unseres Antrags die Interessenvertretung mit dem Ziel, Politik zu beeinflussen. Das bedeutet: Wenn mich jemand fragt, wie er die Coronahilfe beantragen kann, dann ist das selbstverständlich kein Lobbyismus.
Letzter Punkt, auf den ich gerne eingehen möchte: Lieber Kollege Geerlings, das, was Sie vorgetragen haben, war genau das Schwarz-Weiß, das Sie mir unterstellt haben. Selbstverständlich ist es möglich, sich mit Unternehmen zu treffen, mit Kirchen, mit Sozialpartnern, mit Umweltverbänden und allen anderen, die in Punkt 1 b) unseres Antrags aufgeführt sind. Wir wollen, dass es diese Treffen gibt, weil sie richtig sind, weil sie zu unserer Meinungsbildung dazugehören. Wir wollen lediglich Transparenz darüber, dass es diese Treffen gibt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es muss nicht unbedingt Transparenz darüber geschaffen werden, wer welche einzelne Meinung vertreten hat, Herr Minister, sondern das Thema muss klar sein. Anhand des Themas kann ich nachvollziehen, was Gegenstand des Treffens war.
Ich komme zum Schluss. Wir alle gemeinsam brauchen diese Diskussion. Ich habe aus der Debatte mitgenommen, dass es eine Bereitschaft gibt, in die Diskussion einzutreten. Wenn wir das schaffen, dann haben wir heute tatsächlich einen großen Schritt hin zu mehr Transparenz und mehr Demokratie in unserem Land geschafft. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)