Matthi Bolte-Richter: „Mit mit der Verwaltungsdigitalisierung geht auch ein Kulturwandel einher“

Gesetzentwurf der Landesregierung zu E-Gouvernment

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Einige gehen einen kleinen Schritt und machen damit einen großen Sprung, andere versprechen einen großen Sprung und machen dann nur einen kleinen Schritt.

Auch wenn ich durchaus anerkenne, dass die Koalition an dieser Stelle bemüht war: Dieser Entwurf ist eben ein kleiner Schritt und reicht nicht – Herr Minister, Sie hatten das Glück, dass Sie die fünf Jahre mit Christian Lindner nicht erleben mussten –, erst recht nicht, wenn man sich die großen Forderungen und die großen Ankündigungen aus der Oppositionszeit der FDP danebenlegt.

Wo von „Digital first“ die Rede war: Wir haben jetzt erlebt, dass erst mal drei Jahre ins Land gehen mussten – es gab vier verschobene Zeitpläne; das habe ich Ihnen bei der ersten Lesung schon vorgehalten –, damit es überhaupt einen Gesetzentwurf gab.

Das haben wir in der Anhörung auch gehört, Kollege Matheisen, denn natürlich hören wir auch zu, was die Expertinnen und Experten uns erzählen. Da ist durchaus eine Menge an Kritik herausgekommen. Aber man muss nicht immer auf die anderen hören, man kann sich auch einfach mal ansehen, was die Landesregierung selbst berichtet.

Wir sehen: Bei der Einführung der elektronischen Aktenführung hakt es. Sie wollen einigen Behörden von 2022 auf 2024 schieben. Das Innenministerium bekommt erst einmal pauschal zwei Jahre Digitalisierungsferien. Das Digitalste bei Herrn Reul sind also weiterhin die Pausen, vielleicht noch der Staatstrojaner.

Digitale Verwaltung gibt es nicht. Warum nicht? Da kann man die Landesregierung mal für ihre Transparenz loben; ich habe im Entschließungsantrag den Zwischenbericht zitiert. Die Landesregierung schreibt ganz offen: Das liegt bei uns am Personal- und Ressourcenmangel.

Der zweite Satz fehlt ein bisschen, denn Personal- und Ressourcenmangel fallen in der Regel nicht vom Himmel. In der Regel hat eine Regierung auch irgendetwas damit zu tun, wie es in ihrem Haushalt aussieht.

Dann kommen wir mal zur kommunalen Ebene, die 2016 nicht vollständig vom E-Government-Gesetz umfasst war. Wir Grüne haben aber auch immer klar gemacht: Wir finden, dass sie hineingehört, weil eine Verwaltung nur dann schneller, agiler und bürgernäher wird, wenn sie auch digital für ihre Bürgerinnen und Bürger da sein kann, wenn sie auch nach innen vollständig durchdigitalisiert ist. Das geht eben nur, wenn man die elektronische Aktenführung auch auf kommunaler Ebene einführt.

Dazu gehört auch die elektronische Prozessoptimierung, denn sonst wird Digitalisierung vor Ort zum Flickenteppich und zur freiwilligen Aufgabe, und das können wir nicht zulassen.

Kommen wir noch zu Open Data; dazu haben wir jetzt schon einiges an Selbstlob der Koalition gehört. Was Sie auch im Änderungsantrag vorlegen, ist nichts anderes als das gute alte „alles kann, nichts muss“. Es bleibt ein reiner Etikettenschwindel, wenn man „Open Data“ darüberschreibt.

Dieser Etikettenschwindel wird mit dem Änderungsantrag sogar noch verschlimmert, denn die Tatsache, dass kein Anspruch auf offene Daten besteht – der wird jetzt aus dem Gesetzentwurf herausgestrichen, bleibt aber in der Begründung stehen – und es immer noch eine Holschuld der Bürgerinnen und Bürger bleibt, an Daten zu kommen, dass es keine Bringschuld der Verwaltung gibt, wird jetzt versteckt, wo es vorher wenigstens ehrlich im Gesetz stand, dass Sie Open Data nicht wirklich wollen.

Die Kommunen bleiben auch an dieser Stelle ausgenommen. Dabei gibt es natürlich auch auf der kommunalen Ebene – ich würde sogar sagen: eher noch auf der kommunalen Ebene – interessante Daten für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für Unternehmen. So wird Open Data nicht verwirklicht; so wird Open Data ausgehöhlt.

(Beifall von den GRÜNEN)

An dieser Stelle sieht man, was sich durch diesen Gesetzentwurf zieht: Bei Ihnen geht es um die Überschriften, aber nicht darum, die Digitalisierung wirklich voranzubringen.

Ich finde einen Punkt aus der Anhörung besonders wichtig und besonders hervorhebenswert: Wie schaffen wir es in diesem Prozess, die Beschäftigten mitzunehmen?

Das ist nicht Bedenkenträgerei. Die Leute, die da arbeiten, sagen: Wir schaffen das nicht alles so schnell und vor allem nicht in diesem Prozess, wie ihr euch das vorstellt. Die sind nicht faul und keine Bedenkenträger, sondern einfach nur diejenigen, die am Ende umsetzen sollen, was Sie in die Gesetze schreiben.

Ich finde, man muss zur Kenntnis nehmen, dass die Beschäftigtenvertreter in der Anhörung sehr klar kommuniziert haben, dass das zumindest in dem Prozess, so wie Sie ihn anlegen, mit dieser Ressourcenausstattung und mit dieser Personalausstattung für 2025 nicht funktionieren wird. Ich will das an dieser Stelle klar gesagt haben.

Ich freue mich über jeden Tag und über jedes Jahr, den oder das wir schneller in diesem Prozess vorankommen, aber man kann doch nicht einfach sagen: Diese Kritik, wischen wir jetzt einfach mal vom Tisch. Das ist an dieser Stelle wirklich wichtig.

Natürlich muss man es auch nach vorn wenden, sich über Fragen wie Verwaltungsausbildung und Digitalisierung austauschen und welche Rolle die spielen kann. An dieser Stelle muss man sich damit auseinandersetzen, weil mit der Verwaltungsdigitalisierung auch ein Kulturwandel einhergeht.

Wir lehnen den Gesetzentwurf ab, weil er uns nicht weiterbringt. Der Entschließungsantrag enthält ein paar Prüfaufträge. Ich verstehe ihn so, dass Sie sich comitten. Das ist auch dringend notwendig.

Ich hoffe sehr, dass Sie dranbleiben, denn dieser Entwurf ist vor allem eine verpasste Chance für die Digitalisierung in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von den GRÜNEN)