Matthi Bolte-Richter: „Heute geben wir das große Versprechen, dass wir diesen Tag und diese Menschen nicht vergessen werden“

Antrag der Fraktion von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN zum 10. Jahrestag des Loveparade-Unglücks

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast zehn Jahre sind vergangen seit dem 24. Juli 2010, dem Tag, an dem 21 junge Menschen – wir haben ihre Namen eben gehört – ihr Leben verloren haben, mehr als 500 verletzt und zahllose traumatisiert wurden. Ein Tag, der für diese Menschen und für ihre Angehörigen das Leben für immer verändert hat. Aber eben auch ein Tag, der unser Land so tief verändert hat und der trotzdem so viele Fragen offenlässt, vor denen wir bis heute ratlos und manchmal ohnmächtig stehen.
Wir wollen heute, kurz vor dem zehnten Jahrestag, die Erinnerung wachhalten. In demokratischer Einigkeit wollen wir gedenken und helfen. Wir gedenken gemeinsam der jungen Menschen aus aller Welt, die nicht erleben durften, dass ihre Träume Wirklichkeit werden.
Wir denken an diejenigen, die an diesem Tag als Besucher der Loveparade, als Rettungskräfte, als Polizisten, als Seelsorger mutig zugepackt haben. Wir danken ihnen für ihren Einsatz, und wir wissen, dass dieser Einsatz viele von ihnen nicht mehr losgelassen hat. Wir danken auch denen, die in den letzten zehn Jahren immer wieder an unterschiedlichsten Stellen geholfen haben.
Wir denken aber auch an die, die in ihrer Trauer, in ihrer Suche nach dem Sinn und nach der einfachen Antwort auf die Frage der Schuld allein geblieben sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Prozess vor dem Landgericht lässt uns erahnen, wie viele einzelne Teilstücke zu dieser Katastrophe geführt haben. Auch ich persönlich, damals frisch gewählter Innenpolitiker, habe diesen Prozess natürlich verfolgt. Ich hadere damit, auf meine Fragen in all den Jahren nicht die Antworten gefunden zu haben. Wie muss es erst denen gehen, für die diese Katastrophe das Leben so einschneidend verändert hat? – Das habe ich mich in den letzten Jahren oft gefragt.
Auch wenn ich die rechtsstaatlichen Grundsätze, nach denen dieser Prozess geführt und nach denen er auch eingestellt wurde, niemals infrage stellen würde, kann ich die Menschen verstehen, die wütend sind, dass dieser Prozess die Antworten nicht geliefert hat, und die in ihrer Trauer und ihrer Betroffenheit noch immer keinen Abschluss gefunden haben.
Wir mussten aber auch einsehen – und das ist ein schmerzlicher Prozess gewesen –, dass ein Strafprozess, in den auch ich große Hoffnung gesetzt habe, offenbar nicht der richtige Ort ist, wenn es um die Aufarbeitung einer komplexen Katastrophe geht, genauso wie wir es auch bei anderen strukturellen Komplexen erkennen mussten. Die Antwort auf das große Ganze ist eine andere Antwort als die auf die Frage nach individuell zurechenbarer Schuld und beweisbarer Kausalketten.
Letztere hat das Gericht gesucht, und es hat beachtliche Erkenntnisse geliefert.
Aber wir alle suchen bis heute nach der Antwort auf das große Ganze. Für die Suche auf diese Antwort gilt es, neue Wege zu finden. Viele Faktoren der Katastrophe sind in den letzten zehn Jahren immer wieder auch hier im Landtag diskutiert worden.
Auch wenn wir und auch das Gericht nicht ausmachen konnten, was der eine, der entscheidende Faktor war, so haben wir doch in der Folge nach bestem Wissen versucht, Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Es gab direkt nach der Katastrophe eine Soforthilfe, es gab auch bald danach erste Schritte, Großveranstaltungen in unserem Land sicherer zu machen.
Wir wollen dafür sorgen, dass Menschen gleich welchen Alters in unserem Land die Leichtigkeit und das Vergnügen großer Veranstaltungen, großer Feiern erleben können – spätestens, wenn die berechtigten Einschränkungen aufgrund der Pandemie wieder ein Ende finden; denn Feiern, Genuss, unbeschwert sein, manchmal auch jugendlicher Leichtsinn gehören in einer Gesellschaft dazu. Es ist öffentliche Aufgabe, dabei die Sicherheit zu gewährleisten.
Meine Damen und Herren, wir haben Antworten versprochen, die in den letzten zehn Jahren nicht gefunden werden konnten. Wir denken heute an die, die den schlimmsten Verlust erlitten haben, für die das bange Warten auf eine Nachricht von ihren Kindern, von ihren Angehörigen, von ihren Freunden an jenem Nachmittag des 24. Juli 2010 kein Ende nahm.
Wir denken an die, die geholfen haben, als es kein Halten mehr gab, und um das Leben anderer Menschen gerungen haben. Heute geben wir das große Versprechen, dass wir diesen Tag und diese Menschen nicht vergessen werden.
(Beifall von allen Fraktionen)