Matthi Bolte-Richter: „Ein selbstbestimmtes studentisches Leben ist Ihnen offensichtlich suspekt“

Große Anfrage der GRÜNEN im Landtag zur Mitbestimmung an Hochschulen

 Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir haben diese Große Anfrage gestellt, weil wir dokumentieren wollen, welche Fortschritte für Freiheit, Mitbestimmung und Demokratie an unseren Hochschulen in Nordrhein-Westfalen diese Landesregierung kaputtmachen will – aus rein ideologischen Gründen und mit einer Retropolitik, die Studierende und Beschäftigte gängeln und ihre Rechte einschränken will.
Sie wollen Militärforschung statt gesellschaftlicher Verantwortung. Sie wollen weniger statt mehr studentische Selbstbestimmung. Ein selbstbestimmtes studentisches Leben ist Ihnen offensichtlich suspekt. Sie wollen Studierende zu einer Matrikelnummer in einem Massenabfertigungssystem machen.
Wenn Sie dann eines Tages doch mal in der Lage sind, Ihr Studierendengängelungsgesetz wahrscheinlich als vergiftetes Weihnachtsgeschenk – in diesen Landtag einzubringen, werden wir zeigen: Wo Schwarz-Gelb Hausarbeits-, Klausuren- und Scheinfabriken will, wollen wir kritisches Denken. Wir wollen Studierende, die Querdenkerinnen und Querdenker sind.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, das gibt es aber nur, wenn wir Studierenden die Freiheit lassen, die „Studium“ eigentlich bedeuten soll. Bei der Anwesenheitspflicht geht es los. Dabei geht es nicht darum, was Studierende in ihrer Freizeit treiben, sondern da geht es um die 6 % der Studierenden in Nordrhein-Westfalen, die Kinder erziehen, um die gut 5 %, die Angehörige pflegen, um die 13 %, die eine Behinderung oder chronische Erkrankung haben, und natürlich auch um die 68 % der Studierenden, die neben dem Studium arbeiten müssen, um ihren Aufstieg zu ermöglichen. Das sind Zehntausende Menschen, die Sie vor existenzielle Probleme stellen.
Das zeigen auch die Zahlen aus der Antwort auf die Große Anfrage. Sie zeigen, dass es heute mit der sehr engen, sehr restriktiven Regelung schon zum Teil in einigen Studiengängen in Richtung von 57 % Anwesenheitspflicht geht. Das zeigt die Richtung auf. Wenn Sie grundsätzlich Anwesenheitspflichten wieder ermöglichen, wird das zu einer flächendeckenden Anwesenheitspflicht in Seminaren kommen.
Meine Damen und Herren, wenn wir über Freiheit reden, reden Sie über die Freiheit der Hochschulräte oder über Kriegsforschung. Das ist der Unterschied zwischen uns, der sich schon durch die ganze Debatte zieht. Wir haben gefragt, wo die Zivilklausel Forschungsvorhaben verhindert hat. Das Ministerium war sichtlich bemüht – das muss man anerkennen –, ein paar Beispiele zu finden. Richtig erfolgreich war es aber nicht. Es konnte fünf Beispiele liefern, in denen die Zivilklausel Forschungsvorhaben verhindert hat. Aber wenn man sich die Forschungsvorhaben anschaut, um die es da ging, sieht man: Das sind solche Vorhaben, zu denen man definitiv sagen muss, dass es gut war, dass wir die Hochschulen an dieser Stelle auf gesellschaftliche Verantwortung verpflichtet haben.
(Zuruf von Dr. Stefan Berger [CDU])
–  Im Gegenteil, Herr Kollege Dr. Berger: Wenn es eine relevante Zahl an Forschungsvorhaben gegeben hätte, die große Probleme dokumentiert hätte, hätte das Ministerium doch nicht gezögert, die Beispiele aufzuführen. Bei den Beispielen, die Sie genannt haben, handelt es sich um wenige Fälle und um kleine Zahlen.
Beim Hochschulrat lässt sich das ähnlich aus den Zahlen ablesen. Hier sind Wirtschaftsvertreterinnen und Wirtschaftsvertreter überproportional vertreten. Das ist schlicht und ergreifend ein Argument mehr für die kommende Debatte und dafür, dass das Hochschulgesetz auch weiterhin dafür plädieren muss, dass alle organisierten Interessen wie Gewerkschaften und Kulturverbände ebenfalls vertreten sind. Es ist aber auch ein Beleg dafür, wie fragwürdig es ist, dass Sie letzten Endes den Hochschulrat wieder gegenüber dem Senat stärken wollen. Parallel beschneiden Sie dem Senat die demokratische Mitbestimmung und die demokratischen Möglichkeiten.
Meine Damen und Herren, es zeigt sich – da sind wir direkt beim Thema „Gruppenparität im Senat“ –: Wir haben damit an den Hochschulen bei uns an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen mit dem Hochschulzukunftsgesetz mehr Demokratie geschaffen. Die reine Gruppenparität oder eine Quasi-Gruppenparität wurde an mehr als der Hälfte der Hochschulen umgesetzt. Wenn dieses Modell, wie Sie es immer plakativ behaupten, so unglaublich bürokratisch, schwerfällig oder was auch immer ist, dass es für die Hochschulen überhaupt nicht gangbar gewesen wäre, hätten sie ein einfaches Kommissionsmodell beschließen können. Aber diese einfache Alternative haben wenige Hochschulen gewählt. Selbst die Hochschulen mit einem Kommissionsmodell haben noch viel weiter gehende Beteiligungsmöglichkeit für die Statusgruppen von Studierenden und Beschäftigten geschaffen.
Also: Es würde die Demokratie an den Hochschulen deutlich schwächen, würde nicht mehr die Gruppenparität als Regelfall angenommen und würde keine Pflicht zur Genehmigung von alternativen Mitbestimmungsmodellen mehr bestehen.
Auch da: Mit Ihrem Referentenentwurf, wahrscheinlich auch mit Ihrem Gesetzentwurf gibt es durch Schwarz-Gelb einen klaren Angriff auf die Mitbestimmung.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, es gehört zur Demokratie dazu, dass Mitbestimmungsrechte, die der Gesetzgeber gewährt, durch die Exekutive durchgesetzt werden. Es zeigt sich an den Zahlen: An 18 von 243 Fachbereichen gibt es immer noch keine Studienbeiräte.
Es ist ein schlimmes Versäumnis der ministerialen Rechtsaufsicht, dass drei Jahre nach Ablauf der Übergangsfrist in einigen Fachbereichen noch immer die gesetzlich garantierten Mitbestimmungsrechte von Studierenden missachtet werden. Das Ministerium muss endlich einschreiten, wenn es sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen will.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zum Schluss, meine Damen und Herren, möchte ich einen grundsätzlichen Ausblick geben. Sie sind jetzt seit anderthalb Jahren in der Regierung, und seit dem Tag, an dem Sie mit Schwarz-Gelb die Regierung übernommen haben, wurde kein Wort mehr über das verloren, was Sie uns immer vorgehalten haben. Es gab kein Wort mehr über die Verbesserung der Betreuungsrelation, kein Wort mehr über die Erhöhung von Qualitätsverbesserungsmitteln und kein Wort mehr über die deutliche Steigerung der Grundfinanzierung der Hochschulen oder insgesamt über mehr Mittel im System.
Meine Damen und Herren, wir wollen, dass Studierende einen Anspruch auf gute Lehre er- halten und dass dieser Anspruch dann auch realisiert werden kann. Das geht aber nur, wenn diese Landesregierung endlich dazu übergeht, ihr Geld nicht mehr in Heino und dicke Bohnen zu stecken sondern in die Köpfe, die unser Morgen gestalten. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)

Die zweite Wortmeldung zu diesem Tagesordnungspunkt von
Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich hatte mich noch einmal zu Wort gemeldet zu einigen Reaktionen. Das Thema „Digitale Hochschule“ wurde 2016 letzten Endes auf Basis auch der Diskussionen rund um den Landeshochschulentwicklungsplan vom Land gemeinsam mit den Hochschulen angegangen. Das sollte man, glaube ich, zu den Ausführungen dazusagen.
Lieber Kollege Dr. Berger, entweder haben Sie den Hochschulentwicklungsplan als Instrument nicht verstanden, oder Sie verdrehen Fakten. Beides finde ich in so einer Debatte nicht unbedingt statthaft. Das haben Sie in der letzten Legislatur immer gemacht, und das machen Sie in dieser Debatte jetzt wieder. Das finde ich, wie gesagt, nicht statthaft. Sie versuchen hier wieder, uns zu unterstellen, wir wollten da wirklich in die Hochschulen hineinregieren. Im Gegenteil, es geht darum, ein Instrument von Koordination zu haben. Das war auch ein Wunsch, der aus den Hochschulen an uns herangetragen wurde. Da geht es um Themen wie Infrastruktur und auch Digitalisierung. Dabei geht es um Fragen wie: Wie schaffen wir es, in den kleinen Fächern eine landesweite Versorgung zu gewährleisten?
Es geht genauso wie bei der Zivilklausel, lieber Moritz Körner – Moin! –, nicht darum, zentral vorzugeben, sondern darum, eine Diskussion für bestimmte gesellschaftlich relevante Themen zu ermöglichen. Ich finde, das ist mit dem Modell, wie wir es gefahren haben, sehr gut gelungen.
Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollte ich noch gerne eine versöhnliche Anmerkung machen, weil es mir im ersten Beitrag tatsächlich passiert ist, es zu unterlassen.
Liebe Frau Ministerin, bitte nehmen Sie auch meinen ausdrücklichen Dank mit in Ihr Haus. Wir haben Ihnen mit dieser Großen Anfrage viel Arbeit gemacht. Sie haben sich mit den Antworten viel Arbeit gemacht. Geben Sie das in Ihr Haus weiter! Geben Sie das auch gerne in die Hochschulen weiter! Auch die hatten damit ein bisschen Arbeit. Deswegen zum Schluss dafür ganz herzlichen Dank! – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)