Matthi Bolte-Richter: „Dieses BAföG gehört dringend reformiert – damit würden wir tatsächlich etwas für die Studierenden tun“

Antrag der Landesregierung zum Thema "BaföG digitalsieren"

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag gibt vor, Sie wollten Studierende unterstützen. In dieser historischen Situation, in der wir uns im Moment befinden, ist aber vermutlich die Frage der BAföG-Beantragung und welche Digitalisierungsschritte man im BAföG-Antragsverfahren noch einziehen kann, sicherlich eine der eher kleinen Baustellen, um das einmal sehr freundlich zu formulieren.
Was wir brauchen, um den Studierenden durch diese Pandemielage und die damit für sie verbundenen wirtschaftlichen Folgen zu helfen, wäre eine echte Nothilfe.
Wir haben inzwischen eine Reihe an Zahlen vorliegen. 40 % der Studierenden haben ihre Jobs verloren. Mehr als ein Drittel gibt in Befragungen an, große finanzielle Sorgen zu haben. 22 % der Studierenden mussten sich Geld leihen. Das geht aber auch nur dann, wenn man das entsprechende Umfeld hat. Es ist eben nicht so leicht, wenn man Eltern hat, die in Kurzarbeit sind, oder wenn man sich für das digitale Sommersemester neue Endgeräte kaufen muss. Da haben wir, glaube ich, eine größere Baustelle identifiziert.
Wir Grüne hätten uns sehr gewünscht, dass so etwas wie eine Soforthilfe für Studierende in Form eines bedarfsdeckenden Zuschusses aufgelegt worden wäre, der von den Studierenden, die krisenbedingt in finanzielle Probleme geraten sind, schnell hätte abgerufen werden können. Wenn man es einmal nüchtern konstatiert, dann ist die Überbrückungshilfe, die von der Bundesregierung gekommen ist, einfach nur ein schlechter Scherz.
Seit dem Shutdown sind drei Monate vergangen, bis überhaupt etwas gekommen ist. Dann funktionierten die Homepage und die Hotline nicht. Jetzt erleben wir, dass es sich noch einmal um weitere Tage verzögert, bis das erste Geld irgendwann Anfang Juli tatsächlich ausgezahlt werden soll. Das ist einfach ein großes Versagen seitens der Bundesregierung.
Die 500 Euro, die Studierende dann als Hilfe maximal bekommen können, reichen nicht aus, um davon unter anderem den Unterhalt zu finanzieren.
Auch Studienkredite, deren Zinsen nur kurzfristig ausgesetzt werden, sind keine vernünftige Lösung. Das geht ebenfalls an der Lebensrealität vorbei.
Beim BAföG haben wir aber vor allem das Problem, dass es zu wenig Studierende bekommen. Heute bekommen nur noch 13 % der Studierenden BAföG. Das ist ein viel zu niedriger Satz. Wenn man sich dann noch ansieht, wozu das BAföG eigentlich gedacht ist, muss man sagen: Schön, dass Sie sich mal wieder mit diesem Thema beschäftigen, aber das ist sicherlich nicht die Hauptbaustelle.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die BAföG-Digitalisierung ist eine Never Ending Story; das wissen wir alle, die wir uns im Wissenschaftsbereich herumtreiben. Das war sie auch schon vor vier Jahren, als wir im Landtag über einen Antrag der FDP debattiert haben – einige von uns erinnern sich noch daran.
Der grundsätzliche Befund, dass es nicht sein kann, dass nur jeder 500. Student bzw. jede 500. Studentin tatsächlich BAföG online beantragt, obwohl es diese Möglichkeit schon seit 2016 gibt, zeigt einfach, dass da offensichtlich etwas im Argen liegt. Im Übrigen war es eine bundesrechtliche Vorgabe, das so zu machen, wie es jetzt aufgesetzt wurde, und kein Werk von Rot-Grün.
Ich mache aber keinen Hehl daraus, dass es in den letzten Jahren von Rot-Grün auch keinen alternativen Weg gegeben hat und das natürlich nicht besonders befriedigend ist. Man muss aber, Frau Kollegin Beihl, durchaus auch einmal konstatieren, dass Sie mit dieser Koalition schon seit über drei Jahren in der Regierungsverantwortung sind und in dieser Zeit etwas hätte passieren können.
Jens Brandenburg, der hochschulpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, sagte am 12. November 2019 gegenüber dem „Handelsblatt“: Das ist eine Blamage für die Länder, die das BAföG seit Jahren digitalisieren sollen. – Unabhängig von der Frage, wer wann regiert hat: Er hat damit auf jeden Fall recht.
Das Anliegen, ein neues System für ein online zu beantragendes BAföG zu schaffen, ist gut und richtig, weil das bisherige Verfahren aus guten Gründen nicht angenommen wird. Ich glaube, wir sind uns sogar alle einig, dass dieser Weg mit dem De-Mail-Verfahren überhaupt nicht sinnvoll war, weil diese De-Mail von niemanden genutzt wird.
Wir hatten gerade die Anhörung zum E-Government-Gesetz. Da haben wir gehört, dass das Servicekonto NRW, das Sie jetzt als alternativen Weg vorschlagen, zwar von ein paar mehr Leuten genutzt wird, aber längst noch nicht von so vielen Leuten, wie wir bräuchten. Wir haben am Servicekonto 80.000 Registrierte für die notwendige Sicherheitsstufe „Vertrauensniveau hoch“.
Für die Personalausweisidentität haben wir gerade mal 5.200, die registriert sind – und das übrigens auf die gesamte nordrhein-westfälische Bevölkerung gesehen.
Das ist natürlich ein Problem, wenn man sich das anguckt und wenn man das jetzt als die Lösung für alle Probleme preist. Das geht an der studentischen Realität vorbei.
Das E-Government hat bekanntermaßen das Chicken-Egg-Problem, dass es erst wenige Angebote gibt, dann gibt es wenig Nachfrage und dann gibt es wenig Angebote, weil es wenig Nachfrage gibt.
Wenn Sie das lösen können, wäre das gut. Aber wichtiger wäre eigentlich, dass wir das Thema „BAföG“ endlich angehen, dass wir es schaffen, dass das BAföG nicht mehr zu niedrig, nicht mehr zu kompliziert, nicht mehr bologna- und familieninkompatibel ist, kurz: Dieses BAföG gehört dringend reformiert. Damit würden wir tatsächlich etwas für die Studierenden tun.
(Beifall von den GRÜNEN)