Matthi Bolte-Richter: „Die Reform riskiert trotz aller Warnungen den Innovationsstandort Europa“

Antrag der GRÜNEN im Landtag zum EU-Urheberrechtsgesetz

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir erleben gerade eine breite Welle des Protests gegen die EU- Urheberrechtsreform. Schon seit Wochen gehen Tausende Menschen an unterschiedlichen Orten auf die Straße. Es sind überwiegend junge Menschen, für die das freie Internet selbstverständlicher Bestandteil ihres Lebens ist. Es sind Profis; es sind keine Bots. Es sind Menschen, die sich das Internet nicht von Leuten, die keine Ahnung davon haben, kaputtmachen lassen wollen.
Mit ihnen solidarisieren sich heute die Autorinnen und Autoren der deutschsprachigen Wikipedia, des bedeutendsten Nachschlagewerks unserer Zeit. Ebenso solidarisieren sich Künstlerinnen und Künstler, Journalistinnen und Journalisten. An ihrer Seite stehen Wirtschaftsverbände wie der deutsche Start-up-Verband genauso wie Menschenrechtsorganisationen. Deshalb sollte sich dieses Parlament diesen Forderungen anschließen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, es ist eine politisch, rechtlich und technisch völlig abwegige Reform, die von der CDU im Europäischen Parlament und von der deutschen Bundesregierung von Union und SPD maßgeblich vorangetrieben wird. Diese Reform bringt keine Fortschritte bei der Überführung des Urheberrechts ins digitale Zeitalter, im Gegenteil: Sie blockiert eine konstruktive Debatte.
Wenn, wie im Art. 13 vorgeschlagen, die Plattformen immer eine Vorabkontrolle der Inhalte durchführen sollen, kann das selbstverständlich nur über Upload-Filter gewährleistet werden. Die Folge wäre, dass weitaus mehr Beiträge als eigentlich nötig blockiert würden. Das ist ein Riesenproblem für Parodien, Remixe und Memes – schönen Gruß in diesem Zusammenhang an Axel Voss, der das für eine Rubrik bei Google hält.
Die Urheberrechtsreform verdreht die Verantwortlichkeiten im Netz, denn diese Art von Platt- formhaftung auf eine andere Welt übertragen würde bedeuten, dass nicht der Täter, sondern die Telekom zukünftig verantwortlich wäre, wenn von einer Telefonzelle aus ein Drohanruf getätigt wird. Das kann doch kein Mensch, das würde doch auch kein Mensch, der bei klarem Verstand ist, so fordern.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Reform riskiert trotz aller Warnungen den Innovationsstandort Europa. Wir brauchen Offenheit für digitale Innovationen in Europa. Wir brauchen mehr davon, nicht weniger. Deshalb ist es umso schändlicher, dass mit dieser Reform Start-ups für den Markteintritt und für die Umsetzung ihrer Geschäftsmodelle hohe Hürden in den Weg gelegt werden.
Wir haben es aber nicht nur mit den Upload-Filtern zu tun – das ist mir wichtig zu betonen –, wir haben es auch mit der Einführung eines europaweiten Leistungsschutzrechts zu tun. Dieser Art. 11 steht auch zu Recht der Kritik. In Deutschland haben wir die Erfahrung gemacht, dass dieses Leistungsschutzrecht ein völlig untaugliches Rechtsinstrument ist. Es wird von allen Expertinnen und Experten als gescheitert angesehen. Deswegen ist es genau der falsche Weg, den die Union jetzt beschritten hat, wenn sie sagt: Obwohl etwas in Deutschland nicht funktioniert hat, probieren wir es einmal in Europa, vielleicht klappt es ja da. – Das ist doch absurd, das macht man doch nicht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir haben Ihnen heute einen Antrag vorgelegt, der einer interfraktionellen Initiative aus Schleswig-Holstein ähnelt. Dort gibt es eine Jamaika-Mehrheit. Weil wir uns daran orientiert haben, hoffen wir natürlich auf eine breite Zustimmung auch aus dem schwarz-gelben Lager. Der einzige wesentliche Unterschied ist, dass wir die Landesanstalt für Medien auch mit dieser Frage behelligen wollen. Es wäre aus unserer Sicht nicht verkehrt, wenn Sie sich da anschließen würden.
Ich möchte noch einen Aspekt erwähnen, der mir sehr wichtig ist. Wir haben es wieder mit einer Debatte zu tun, in der wir sehen müssen, dass die Konservativen den legitimen Protest von jungen Menschen nicht ernst nehmen. Ich habe es am Anfang gesagt: Es gehen Tausende überwiegend junge Menschen gegen diese Reform auf die Straße. Und was der Union dazu einfällt, ist zu behaupten, das seien Bots oder sie seien von Google bezahlt. Das ist genau der gleiche Umgang, wie wir ihn im Moment mit „Fridays for Future“ erleben.
Es ist mir wichtig, an dieser Stelle klar zu sagen, dass es gut ist, dass sich junge Menschen politisch engagieren. Es ist oft kritisiert worden, dass die Jugend angeblich unpolitisch sei. Das hat noch nie gestimmt, aber gerade ist eine Bewegung im Gange, die zeigt: Junge Menschen wollen ihre Zukunft in die Hand nehmen. Überlassen wir ihnen auch diese Zukunft! – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, als nächster Redner hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Kollege Bolte-Richter das Wort.

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich habe mich ein zweites Mal zu Wort gemeldet, um noch einige Aspekte, die aus meiner Sicht für die Debatte wichtig sind, darzulegen.
Es ist natürlich so, dass es in allen Parteien auf den unterschiedlichen Ebenen durchaus Befürworterinnen und Befürworter dieser Reform gibt. Aber man muss sich auch einmal die Mehrheitsverhältnisse ansehen. Bei uns ist es eine verschwindend kleine Minderheit – um genau zu sein: eine Abgeordnete aus unser EP-Fraktion –, Herr Kollege Untrieser, und bei Ihnen ist es der Berichterstatter, der im Parlament Verantwortung für diesen Vorgang trägt.
(Beifall von den GRÜNEN)
Insofern muss man die Verantwortlichleiten schon ein wenig auseinanderhalten.
Herr Dr. Untrieser, Sie haben zu Recht angemahnt, dass es eine Reform beim Urheberrecht geben muss. Niemand, der den aktuell vorliegenden Reformvorschlag zum Urheberrecht ablehnt, würde bestreiten, dass das Urheberrecht eine gute und großartige Erfindung ist. Aber es wird auch niemand bestreiten, dass es Änderungen geben muss, um im digitalen Zeitalter anzukommen.
Sie haben mehrere Baustellen konkret benannt. Die Verwertungsgesellschaften sind nicht gut organisiert. Gerade für die kleinen Produzenten, die Sie angesprochen haben, funktioniert das Modell der Verwertungsgesellschaften nicht. Dafür bräuchten wir dringend eine Reform. Wir brauchen eine Reform im Urhebervertragsrecht. Wir brauchen funktionierende Lizenzmodelle. Aber wir brauchen eben nicht diese unverhältnismäßigen Instrumente wie Upload-Filter, wo wirklich mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird.
Hier droht sich ein absurder Treppenwitz zu ereignen. Erst behauptet die CDU, mit dieser Reform werde es niemals Upload-Filter geben. Dann wird das Europäische Parlament sehr wahrscheinlich auf Vorschlag eines CDU-Berichterstatters Upload-Filter beschließen. Auf nationaler Ebene sagt die CDU jedoch: Das, was es eigentlich nicht gab, verhindern wir jetzt. – Das ist doch einfach nur noch absurd und Politik zum Abgewöhnen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend möchte ich noch einen Aspekt ansprechen, um auf die Ausführungen des Abgeordneten Tritschler zu reagieren. Dieser Punkt eignet sich nicht für Europa-Bashing. Insbesondere das Leistungsschutzrecht ist eine deutsche Erfindung. Es ist in Deutschland erfunden und in Deutschland gescheitert. Derzeit versucht man, weil man nicht kapiert hat, dass das Ding gescheitert ist, es auf europäische Ebene zu übertragen. Da ist nicht Europa das Problem. Da ist das Problem, dass es bei Herrn Voss und seinen Kumpanen diese politische Position gibt. Dort liegt das Problem. Nicht Europa ist das Problem.
Im Gegenteil: Wenn wir tatsächlich zu einer Urheberrechtsreform kommen wollen, die dem digitalen Zeitalter angemessen ist, machen wir doch keine Reform für ein deutsches Internet, wie das am Ende das Ergebnis des CDU-Kompromissvorschlags ist, sondern treffen eine Regelung mindestens auf europäischem Level. Denn das haben wir doch gerade im letzten Jahr mit der Datenschutz-Grundverordnung gelernt: Wenn Europa mal zusammensteht, wenn Europa mal einen verbindlichen Rahmen macht, dann kann Europa Zähne zeigen und Probleme lösen.
Deswegen ist Europa an dieser Stelle die Lösung. Ich hoffe, dass Europa diese Chance tatsächlich ergreift – nicht mit dem vorliegenden Vorschlag, sondern mit einem besseren. – Ich danke Ihnen.
(Beifall von den GRÜNEN)