Matthi Bolte-Richter: „Da kann man nicht einfach sagen: Wir gehen ein paar Jahrzehnte zurück, und dann wird alles gut“

Antrag der Fraktion der AfD zu Studienabschlüssen in NRW

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Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin jetzt der Zweite, der in dieser Debatte sprechen darf, der zu Bologna-Bedingungen studiert hat.
Ich habe 2005 in Bielefeld angefangen, Politikwissenschaft zu studieren, war damals im zweiten Jahrgang unter Bologna-Bedingungen. Wir hatten in diesem zweiten Jahrgang die zweite Studien- und Prüfungsordnung. Als ich nach sechs Semestern abgeschlossen habe, hatten wir die dritte, und die vierte war in Planung. Das ist das, was der Kollege Körner gerade richtigerweise als Umstellungsschwierigkeiten bezeichnet hat, also wenn man das eine System auf das andere System umstellt.
Jetzt kann man aber nicht, wie es der vorliegende Antrag macht, die Vergangenheit in einer völlig unreflektierten Weise verklären. Gab es denn bei den alten Diplom-, Staatsexamen- und Magisterstudiengängen keine Probleme in der Studienqualität? Gab es keine Probleme beim Hochschulwechsel, bei der Auslandsmobilität? Gab es keine Studienabbrüche? Konnten alle Absolventinnen und Absolventen sofort problemlos in den Beruf wechseln? Konnten alle Absolventinnen und Absolventen sofort einen Beruf ergreifen? Die alten Studiengänge hatten Jahrzehnte Zeit, sich zu entwickeln, und dennoch konnten zahlreiche Probleme nicht behoben werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall von den GRÜNEN)
In bildungspolitischen Debatten ist es beliebt, Strukturfragen vor Inhalte zu stellen. Bologna ist doch sicherlich nicht die Wurzel allen Übels, und die Struktur ist nicht der einzige Faktor, von der ein gutes Studium abhängt. Da geht es um Finanzierungen, um Betreuungsrelation, um Ausstattung, um Methoden und viele weitere Punkte mehr. Strukturfragen sind nur ein kleiner Baustein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeiten haben sich verändert. Das muss man mit ins Kalkül ziehen. Die heutige Studierendengeneration unterscheidet sich nicht nur quantitativ deutlich von der vor zehn oder 20 Jahren. Der Arbeitsmarkt ist ein anderer. Die Anforderungen an mindestens europäische Mobilität sind andere. Die gesellschaftlichen Erwartungen sind andere. Und es gibt heute viele Studierende, für die es eben genau das richtige Angebot ist, nach sechs Semestern einen vollwertigen Abschluss zu haben. Da kann man nicht einfach sagen: Wir gehen ein paar Jahrzehnte zurück, und dann wird alles gut.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
In ihrer Vergangenheitsfixierung verkennt die AfD, dass es für die Wiedereinführung der Bezeichnung „Diplom-Ingenieurin/Diplom-Ingenieur“ in Mecklenburg-Vorpommern aus keinem Fachverband Rückhalt gab. Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Hochschulrektorenkonferenz, Stifterverband, die Fachhochschulen des Landes, die Vereinigung der Unternehmens-verbände, alle waren gegen die Wiedereinführung der Bezeichnung „Diplom-Ingenieurin/Diplom-Ingenieur“ in Mecklenburg-Vorpommern. Die, die sich mit der Situation auskennen, vertritt die AfD jedenfalls nicht.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Meine Damen und Herren, wir Grüne stehen für Europa. Wir stehen für mehr Europa, für ein besseres Europa und deshalb auch für den europäischen Hochschulraum.
Wo es Korrekturbedarf bei der Umsetzung der Bologna-Reform gibt, muss auch nach so langer Zeit noch konsequent korrigiert werden, insbesondere da, wo die Studienqualität gelitten hat, weil die Bologna-Reform zu rigide oder schlecht umgesetzt wurde. Alle Bachelor- und Masterstudiengänge müssen studierbar sein. Die Studienordnungen müssen von überflüssigem Ballast und zu früher, engführender Spezialisierung befreit werden.
Wir haben beispielsweise im Hochschulzukunftsgesetz die Möglichkeit geschaffen, im ersten Jahr nur Prüfungen ohne Benotung und lediglich mit dem Ergebnis „bestanden“ oder „nicht bestanden“ abzulegen. Das sind erste richtige Schritte gewesen, um die Studierbarkeit herbeizuführen. Alle Universitäten müssen prüfen, ob ein Studiengang zwingend in sechs Semestern absolviert werden soll oder ob nicht sieben oder acht Semester besser sind. Neben fachlichem Lernen muss auch Raum für Auslandsphasen, für Persönlichkeitsentwicklung bleiben.
Die Hochschulrektorenkonferenz und die Kultusministerkonferenz haben sich im Mai letzten Jahres gemeinsam für die vollständige Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master entschieden. Darüber hinaus haben sie sich für weitere Verbesserungen in der Studienqualität ausgesprochen.
In diesem Zusammenhang möchte ich die Landesregierung warnen: Passen Sie auf, was Sie mit Ihrer ideologisch verblendeten Rückabwicklung des Hochschulgesetzes anstellen. Zahl-reiche Änderungen durch das Hochschulzukunftsgesetz – auf eine habe ich gerade Bezug genommen – zielten genau darauf ab, das Studium studierbar zu machen und im Sinne des Bologna-Prozesses weiterzuentwickeln. Machen Sie das nicht kaputt! – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Ralf Witzel [FDP]: Gut, dass die Grünen keine Ideologie haben!)