Matthi Bolte-Richter: „Alle sind sie dagegen, Sie haben keine gesellschaftliche Mehrheit hinter sich“

Antrag der SPD-Fraktion zu Studiengebühren von Nicht-EU-Bürger*innen

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Moritz Körner, sehr gerne gehe ich auf das ein, was Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg unterscheidet – abgesehen davon, dass wir in Ihrem Redebeitrag heute klar erkannt haben, dass es Ihnen nicht um das Baden-Württemberg-Modell geht, sondern dass die FDP am liebsten allgemeine Studiengebühren hätte, wie sie sie schon einmal eingeführt hat.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
Man muss auch sagen: Es gibt einen klaren Unterschied zwischen dem, was Sie hier in Nordrhein-Westfalen machen, und dem, was Baden-Württemberg macht.
Dass wir das Modell der Ausländerstudiengebühren in Baden-Württemberg für falsch halten, haben wir zu allen Zeiten klargemacht.
(Widerspruch von der FDP)
Aber Sie dürfen sehr gerne zur Kenntnis nehmen, dass es noch einen weiteren gewichtigen Unterschied gibt, nämlich: Baden-Württemberg erhöht die Grundfinanzierung seiner Hochschulen jährlich um 3 % bis 4 %.
Das tun Sie nicht, lieber Kollege Körner; das tun Sie nicht, meine Damen und Herren von CDU und FDP.
(Christof Rasche [FDP]: Was haben Sie denn gemacht?)
Die Einnahmen aus diesen Ausländerstudiengebühren sind also in Baden-Württemberg nicht das Einzige, was es für die Unis gibt, und das ist der Unterschied. In NRW wird nicht viel mehr bei den Unis ankommen, wie der Kollege Bell eben vorgerechnet hat. Denn für die Unis in NRW gibt es nur diesen kleinen Betrag aus Studiengebühren, aber keine Erhöhung der Grundfinanzierung.
(Anhaltende Unruhe – Glocke)
Es gibt keine Steigerung der Grundfinanzierung, es gibt keine Dynamisierung der Qualitätsverbesserungsmittel, und es gibt keine Verbesserung der Betreuungsrelation: Nichts von alledem, was Sie in Ihrer Oppositionszeit versprochen haben, kommt unter Ihrer Regierung.
(Christof Rasche [FDP]: Was haben Sie denn gemacht?)
Lassen Sie mich noch einmal klarstellen: Studiengebühren sind – das haben wir Grüne in Nordrhein-Westfalen immer betont – ein Irrweg. Das gilt vor dem Studium, nach dem Studium und während des Studiums, und das gilt für einzelne Gruppen sowie für die Allgemeinheit. Sie sind ein Irrweg, und deshalb war für uns in der rot-grünen Koalition die einzige Option, Studiengebühren abzuschaffen.
Ich finde es spannend, was wir hier seit einem Jahr, seitdem der Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb vorliegt, von allen Rednern in den Debatten immer wieder hören – ob gestern zum „Studigängelungsgesetz“ oder heute zu den Studiengebühren. Wir stehen immer hier und debattieren über das, was Sie vorhaben, und über das, was aus Ihrem Haus kommt, und dann sagen die Koalitionsredner an diesem Pult: Ach, wir müssen mal schauen, wir müssen mal prüfen, wir müssen mal sehen. Vielleicht war das Wetter in Baden-Württemberg im Wintersemester nicht so gut.
Beenden Sie doch endlich dieses Schauspiel. Sagen Sie: Das Modell, wie Baden-Württemberg es gefahren hat, haben wir uns angeschaut. Das funktioniert nicht, es schreckt die Leute vom Studium ab. Deswegen beerdigen wir dieses bürokratische Monstrum.
Alle Zahlen sprechen nämlich gegen Ihr Vorhaben. Das Statistische Landesamt Baden-Württemberg meldete am 8. Mai:
„Trendwende bei den Studierendenzahlen … Weniger Bildungsausländerinnen und -ausländer nach Einführung von Studiengebühren … Gegenüber dem Wintersemester 2016/2017 sank die Anzahl … um 21 %“.
Das ist die Zahl, auf die Sie immer warten wollten, die Sie immer prüfen und sich anschauen wollten.
Wenn man die Zahlen genauer betrachtet, sieht man auch, was für Disruptionen Ihre Pläne in NRW auch auslösen könnten. Es gibt in Baden-Württemberg fast keine Neueinschreibungen von Studierenden aus Afrika mehr, und es gibt deutlich weniger Studierende aus Asien. Die Studiengebühren in Baden-Württemberg führen dazu, dass künftig vorrangig das Geld darüber entscheidet, wer aus dem Nicht-EU-Ausland in Baden-Württemberg studieren kann, und das ist kein Modell für unser Land, meine Damen und Herren.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Diese Zahlen zeigen ganz klar: Studiengebühren für Nicht-EU-Bürgerinnen schrecken Talente vom Studium in NRW ab. Sie passen nicht zu einer weltoffenen Hochschulkultur. Sie sind unausgegoren, unsozial, diskriminierend, und sie schaden den Internationalisierungsbemühungen am Hochschulstandort Nordrhein-Westfalen. Sie sind schlecht für NRW.
(Beifall von den GRÜNEN)
Man dachte immer, die Ausländermaut auf den Autobahnen, die Herr Dobrindt in den letzten Jahren vorangetrieben hat, sei die größte bürokratische Schnapsidee dieses Jahrzehnts. Aber Sie sind gerade dabei – das zeigen alle Zahlen –, ihm diese Trophäe abzunehmen.
Lassen Sie es also bleiben. Die fiskalische Situation ist eine deutlich einfachere als zu der Zeit, in der wir die Studiengebühren abgeschafft haben. Überzeugen Sie den Finanzminister endlich, dass von seinen Überschüssen auch einmal etwas im Wissenschaftsetat ankommen muss. Wenn diese Zahlen Sie nicht überzeugen können, dann hören Sie auf die gesellschaftlich relevanten Gruppen. Das raten wir Ihnen auch immer wieder.
Die Studierendenvertreter sind dagegen, die Studierendenwerke sind dagegen, die Senate wichtiger Universitäten sind dagegen, und die Landesrektorenkonferenzen sind dagegen. Alle sind sie dagegen. Sie haben keine gesellschaftliche Mehrheit hinter sich, und dennoch lassen Sie sich bisher nicht davon abbringen, diesen wahnwitzigen Plan in die Tat umzusetzen.
Meine Damen und Herren, ich kann zum Schluss nur feststellen: Wenn Zahlen Sie nicht überzeugen, wenn der Protest der beteiligten gesellschaftlichen Gruppen Sie nicht überzeugt und wenn – daran darf ich erinnern – die CDU nicht einmal von ihrem eigenen Wahlprogramm überzeugt ist, haben wir es bei den Ausländerstudiengebühren mit einem ideologiegetriebenen, neoliberalen Retroprojekt zu tun, das wir in aller Entschiedenheit ablehnen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)